Für Thatcher hing Reichtum nicht von Rohstoffen ab - Featured image

Für Thatcher hing Reichtum nicht von Rohstoffen ab

Lange nichts mehr von Margaret Thatcher gehört? Die frühere britische Regierungschefin starb am 8. April 2013 in London, aber eine alte Rede der «Eisernen Lady» geistert gerade wieder durch die Sozialen Netzwerke. Schon in den 1970er Jahren soll Thatcher gesagt haben, Russland sei das reichste Land der Welt. Und das sei der wahre Grund, «warum London und jetzt die EU die UdSSR/Russland hassen», behauptet ein Facebook-Post. Hat Thatcher das tatsächlich so gesagt?

Bewertung

Nirgendwo in Thatchers Rede aus dem Jahr 1996 ging es um Hass auf Russland. Die Britin bezeichnete Russland auch nicht als reichstes Land: Mehr als Rohstoffe zählte aus ihrer Sicht die Entfaltung menschlicher Fähigkeiten und Initiative.

Fakten

Die Behauptungen des Facebook-Posts sind mit einem kurzen Videoausschnitt einer Rede Thatchers verbunden. In diesen 46 Sekunden spricht die Britin zwar von Russland und von Reichtum, aber ganz anders als im Text behauptet.

Ihre gesprochenen Worte lauten im geschriebenen Text wie folgt: «Wenn man eine Tabelle der Länder im Verhältnis zu ihren natürlichen Ressourcen aufstellen würde, stünde Russland mit Sicherheit an der Spitze. Es hat alles. Öl, Gas, Platin, Gold, Silber, alle Industriemetalle, wundervolles Holz, wunderbar reiche Böden. Aber Länder sind nicht reich im Verhältnis zu ihren natürlichen Ressourcen. Reich sind die Länder, deren Regierungen eine Politik betreiben, die die wesentliche Kreativität, die Initiative und den Unternehmergeist des Menschen fördert und seinen Wunsch anerkennt, für seine Familie etwas Besseres zu tun.»

Ein Land ist nach Ansicht Thatchers also nicht wegen seiner Rohstoffe reich. Vielmehr entsteht Reichtum, wenn richtige Politik den Menschen die Freiheit gibt, ihre kreativen und wirtschaftlichen Möglichkeiten zu entwickeln.

Vollständiger Vortrag von 1996 steht im Internet
Wer mit Thatchers Worten aus dem kurzen Clip in englischer Sprache googelt, findet die ganze Rede. Die Politikerin hielt sie nicht in den 1970er Jahren, sondern am 11. April 1996 in New York vor der Foundation for Economic Education (FEE).

Der vollständige Text der Rede ist knapp 30 Jahre danach ebenso abrufbar wie ein Video der gesamten Ansprache. In dieser 30 Minuten dauernden Rede ging es – anders als behauptet – nicht darum, warum «London und jetzt die EU die UdSSR/Russland hassen». Russland wird in dieser Rede nur viermal erwähnt. Dreimal im Zusammenhang mit der Russischen Revolution von 1917, ein viertes Mal schließlich im Zusammenhang mit den reichen Ressourcen des Landes.

Thatcher betont dabei, wo sie die tatsächlich reichsten Länder der Welt sieht: «Es wird in der Tat immer deutlicher, dass die größte Ressource des Menschen der Mensch selbst ist. So gehören Japan, die Schweiz, Hongkong, Singapur und Taiwan, die über keine natürlichen Ressourcen verfügen, heute zu den wohlhabendsten Ländern der Welt.» Thatcher meint also, dass nicht die Rohstoffe über den Reichtum eines Landes entscheiden, sondern die jeweilige Politik.

Von Hass ist keine Rede in der Thatcher-Rede
Margaret Thatcher war von Mai 1979 bis November 1990 Regierungschefin von Großbritannien. In der fraglichen Rede vom April 1996 in New York blickte sie auf ihre Regierungszeit zurück.

Dabei ging Thatcher in einer Passage über den französischen Historiker Alexis de Tocqueville, der sich im 19. Jahrhundert mit der französischen und der amerikanischen Revolution beschäftigte, noch einmal auf die Frage des Reichtums ein und sagte: «De Tocqueville erkannte, dass Länder nicht automatisch reich entsprechend ihren natürlichen Ressourcen sind.» Der Videoausschnitt setzt genau an das Ende dieses Satzes an.

Entsprechend ist die Behauptung «Laut Thatcher ist Russland das reichste Land der Welt» durch nichts belegt – ganz im Gegenteil. Die ehemalige Regierungschefin sagte auch nirgendwo in ihrer gesamten Rede, warum London oder die EU Russland «hassen» würden.

Dies hat möglicherweise damit zu tun, dass Russland damals, 1996, unter Präsident Boris Jelzin eine dem Westen offene und zugewandte Politik betrieb. Jelzin wurde auch von den USA unterstützt. Die russischen Bürgerinnen und Bürger wählten ihn im Sommer 1996 für eine zweite Amtszeit wieder.

(Stand: 18.12.2024)

Fact Checker Logo

Geschichte, Russland, Politik

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

Nach oben scrollen