Bewertung
Die Kurve zeigt Klimadaten eines Bohrkerns aus dem grönländischen Eisschild – nicht die Entwicklung der globalen Durchschnittstemperatur. Sie endet zudem Mitte des 19. Jahrhunderts und damit, als die menschengemachte globale Erwärmung gerade erst begann.
Fakten
«Temperatur-Anomalie in Grad Celsius 7643 vor Christus bis heute» steht über der Grafik. Dass sich die Daten auf einen Eisbohrkern in Grönland beziehen, wird nicht erwähnt. Ebenfalls nicht, dass sie Mitte des 19. Jahrhunderts enden.
Aber von Anfang an: Ausgangspunkt ist das Greenland Ice Sheet Project 2 (GISP2), die zweite Auflage eines Programms zur Gewinnung von Eisbohrkernen und den darin enthaltenen paläoklimatologischen Daten aus dem grönländischen Eisschild. In der Paläoklimatologie rekonstruiert man anhand von Messungen und Modellrechnungen die klimatischen Verhältnisse der erdgeschichtlichen Vergangenheit, um etwa die Mechanismen von Klimawandel-Ereignissen zu begreifen.
1997 veröffentlichten zwei amerikanische Wissenschaftler eine Temperatur-Rekonstruktion, bei der sie GISP2-Daten verwendeten. Auch der amerikanische Geologe Richard Alley beschäftigte sich mit diesen in einem 2000 erschienenen Aufsatz. Vergleiche zwischen den historischen und damals aktuellen klimatischen Bedingungen ziehen die Forscher nicht.
Alleys Daten werden falsch interpretiert
Im Jahr 2004 erschien der Artikel Alleys, dessen Daten als Grundlage für die irreführende Grafik missbraucht wurden. So steht auch «R.B. Alley 2004» darüber. «Ich bekomme jedes Jahr ein paar Anfragen dazu, und das schon seit mehr als einem Jahrzehnt», antwortete der Geowissenschaftler auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Zu finden ist eine ähnliche Grafik beispielsweise in einem Beitrag des Geowissenschaftlers Don Easterbrook von 2010. Easterbrook behauptete bereits zuvor, dass der aktuelle Wärmezyklus bald enden solle und sich die globalen Temperaturen bis etwa 2035 leicht abkühlten.
Warum die Schlussfolgerung aus der Grafik, die Klimakrise sei nicht menschengemacht, unzulässig ist, erklärte Geologe Alley bereits 2010 in einem Artikel des «Dot Earth»-Blogs der «New York Times». Auf diesen verweist er in seiner Antwort auf die Anfrage der dpa. «Zunächst einmal kann keine einzelne Temperaturaufzeichnung von irgendwoher die globale Erwärmung beweisen oder widerlegen, da die Temperatur eine lokale Aufzeichnung ist und ein Ort nicht die ganze Welt ist», antwortete Alley damals dem Autor des Artikels.
Außerdem seien die Eisbohrkern-Daten in Zentralgrönland zwar die – damals – besten verfügbaren paläoklimatischen Temperaturaufzeichnungen gewesen. Aber eine solche Aufzeichnung beziehe sich nicht nur auf die Temperatur. Das müsse man bei der Interpretation berücksichtigen und Aussagen dementsprechend einordnen. Und: Dass es in der Vergangenheit große Klimaveränderungen ohne Menschen gegeben habe, beweise keineswegs, dass die Menschen jetzt nicht verantwortlich seien.
In seiner aktuellen Mail-Antwort stellt Alley die Frage, ob es überhaupt eine Rolle spiele, wann es in der Erdgeschichte wie warm gewesen sei. Hohe Temperaturen seien in der Vergangenheit von hohen CO2-Konzentrationen verursacht worden, die eine natürliche Ursache hatten. Zudem sei die Erwärmung viel langsamer aufgetreten. «Der aktuelle Anstieg ist nicht natürlich, sondern von uns verursacht.»
Grafik zeigt Temperaturentwicklung bis 1855
Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung fasste jüngst bei Twitter die Strategie hinter der irreführenden Grafik zusammen: «Das gibt’s in vielen Varianten: Klimaleugner, die eine Paläoklimakurve posten, die nicht die globale Mitteltemperatur zeigt (oft ist’s Grönland), und schon vor der moderne Erwärmung endet.» (fehlender Buchstabe im Original)
Da die Grafik hier in einer besseren Auflösung vorliegt, ist deutlich zu erkennen, dass die jüngste Jahreszahl am unteren Rand 1885 ist. Allerdings ist diese Angabe nicht korrekt. Tatsächlich reichen die Daten sogar nur bis 1855, wie man dem Original-Datenset entnehmen kann. Das Wissenschafts-Blog Skeptical Science ließ sich die Jahreszahl für seinen Artikel von Forscher Alley schriftlich bestätigen.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich international einig, dass die aktuelle Erwärmung menschengemacht ist. «Es ist unbestreitbar, dass menschliche Aktivitäten den Klimawandel verursachen und der menschliche Einfluss extreme Klimaereignisse wie Hitzewellen, starke Regenfälle und Dürren häufiger und schwerwiegender macht. Menschliche Aktivitäten haben den Planeten in einer Geschwindigkeit erwärmt, die es zumindest in den letzten 2000 Jahren nicht gegeben hat, und wir sind auf dem besten Weg, innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte eine globale Erwärmung von 1,5 °C zu erreichen», fasste der Vorsitzende des Weltklimarats IPCC, Hoesung Lee, im Juni zusammen.
Der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) trägt die wissenschaftlichen Grundlagen und den weltweiten Forschungsstand über die Auswirkungen der globalen Erwärmung und seine Risiken zusammen und bewertet sie. Dazu beruft er Tausende Wissenschaftler aus aller Welt.
(Stand: 26.01.2023)