Josep Borrell sagte nicht, dass es ein Verbrechen sei, seine Wohnung zu sehr zu heizen - Featured image

Josep Borrell sagte nicht, dass es ein Verbrechen sei, seine Wohnung zu sehr zu heizen

Der spanische Politiker Josep Borrell ist der Außenbeauftragte der Europäischen Union. Seit Ende November verbreiten sich online Screenshots und Artikel, in denen es heißt, Borrell habe erklärt, es sei ein „Verbrechen gegen EU-Werte“, seine Wohnung auf mehr als 17 Grad zu heizen. AFP konnte eine solche Aussage des EU-Politikers aber nicht ausfindig machen. Borrells Sprecherin wies die Behauptung als pro-russische Desinformation zurück. Bevor die Falschbehauptung sich im deutschsprachigen Raum verbreitete, wurde diese zuerst von einem russischen Satirekanal auf Telegram veröffentlicht. 

Hunderte User haben die Behauptungen zu Borrell auf Twitter und Facebook geteilt. Zehntausende sahen diese auf Telegram. Auch Politiker der rechtspopulistischen Parteien FPÖ und der AfD teilten die Beiträge. Die Postings beinhalten dabei häufig einen Link zu einem am 20. November 2022 erschienenen Artikel der österreichischen Nachrichtenseite „Exxpress“. Andere Veröffentlichungen nutzen Screenshots von einem Instagram-Beitrag des „Exxpress“ zu Borrell. Auch in anderen Ländern wie etwa Bulgarien verbreitete sich die Behauptung unter Berufung auf den “Exxpress”.

Die Behauptung: „EU-Chefdiplomat Borrell: Mehr als 17 Grad in der Wohnung ‚Verbrechen gegen EU-Werte'“ lautet der Titel eines Artikels des „Exxpress“. Europa stehe vor der Wahl zwischen Freiheit und Komfort, soll Borrell weiter angefügt haben.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 20.12.2022

Der Borrell-Artikel des „Exxpress“ kursiert in einer Zeit, in der Europa eine schwere Energiekrise durchlebt, die eine Folge der russischen Offensive gegen die Ukraine ist. Um den Anstieg der Gas- und Strompreise zu stoppen, sprachen sich die EU-Energieminister am 9. September 2022 für eine Reihe von Entlastungsmaßnahmen aus. Bereits in der Vergangenheit überprüfte AFP ähnliche Falschbehauptungen, wonach Schweizer und österreichische Behörden angeblich dazu aufgerufen hätten, Nachbarn zu melden, die ihre Wohnung über 19 Grad heizen. Faktenchecks zum Thema Energie sammelt AFP hier.

Der „Exxpress“ war zudem bereits häufiger Gegenstand von Überprüfungen durch AFP (hier, hier). Das Boulevardmedium stellte in der Vergangenheit immer wieder die Sicherheit der Corona-Impfstoffe infrage. Zuletzt geriet der „Exxpress“ aufgrund der Veröffentlichung einer antisemitischen Karikatur in die Kritik, die im Anschluss entfernt wurde.

Aussage ist frei erfunden

Der „Exxpress“ liefert in seinem Artikel keine Quelle, Ort oder Datum für die angebliche Aussage Josep Borrells. In dem Text findet sich lediglich der Link zu einem am 19. November 2022 veröffentlichten Tweet, in dem das angebliche Zitat auf Englisch zu finden ist. Bei dem Verfasser handelt es sich um kein Profil eines bekannten Mediums. Im Profilbild findet sich das Foto einer an eine Wand gemalten russischen Flagge mit den Worten „Danke Russland“ auf Russisch. Das Profil teilt regelmäßig pro-russische Inhalte.

Paloma Hall-Caballero, EU-Sprecherin für Außen- und Sicherheitspolitik, erklärte auf AFP-Anfrage am 6. Dezember 2022, Borrell habe nie eine solche Aussage getätigt: „Das ist eine immer wiederkehrende Desinformationserzählung von kremlnahen Medien, die versuchen, Misstrauen in die europäischen Behörden zu säen und die Bemühungen Europas um eine Senkung des Energieverbrauchs im Zusammenhang mit dem illegalen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine herunterzuspielen.“

Das Projekt EUvsDesinfo, das 2015 als Reaktion auf die anhaltenden Desinformationskampagnen Russlands gegründet wurde, überprüfte die angebliche Aussage Josep Borrells ebenfalls. Ursprünglich stamme die Meldung von einem Satire-Kanal auf Telegram, heißt es in einem Beitrag von EUvsDesinfo. Der Kanal @lastoppo gebe in seinen Profilinformationen an, ausschließlich satirische und falsche Inhalte zu veröffentlichen.

Tatsächlich findet sich auf dem Kanal ein Beitrag vom 18. November 2022 mit dem angeblichen Borrell-Zitat „Wir stehen vor der Wahl zwischen Freiheit und Komfort“ wieder – zwei Tage vor der Veröffentlichung des „Exxpress“. Weiter wird dem EU-Außenbeauftragten zugeschrieben gesagt zu haben: „Wir haben viel darüber gesprochen, dass wir bereit sind, für die Ideale der Demokratie zu sterben; es ist an der Zeit, dies zu beweisen.“

In der Profilbeschreibung des Kanals heißt es: „Parodie, Satire der politischen Realität, nur überprüfte Fakes“. In dem Beitrag vom 18. November ist allerdings von einer Temperatur von 18 Grad, nicht 17 Grad, die Rede. Borrells angebliche Aussage ist dort auch nicht als direkte Äußerung gekennzeichnet.

Eine Stichwortsuche nach dem vermeintlichen Zitat Borrells brachte AFP keine passenden Ergebnisse vertrauensvoller Medien. Weitere Hinweise auf ein mögliches Datum oder einen Ort zu der angeblich getätigten Aussage konnte AFP ebenfalls nicht finden. Es findet sich zudem kein solches Zitat auf der Website des Diplomatischen Dienstes der Europäischen Union, wo Borrells Aussagen normalerweise veröffentlicht werden.

Obwohl die Aussage nicht von Borrell stammt, rief der EU-Politiker tatsächlich wiederholt europäische Bürgerinnen und Bürger dazu auf, ihren Gaskonsum durch reduziertes Heizen zu verringern, so zum Beispiel im März und im September 2022.

Im Artikel des „Exxpress“ wird zudem auf kürzliche Kritik an Borrell eingegangen, der im Oktober 2022 in Bezug auf Europa erklärte: „Der größte Teil der übrigen Welt ist ein Dschungel, und der Dschungel könnte in den Garten eindringen“. Dafür wurde der EU-Politiker scharf kritisiert, woraufhin er sich später entschuldigte.

Eine AFP-Anfrage an die Redaktion des „Exxpress“ blieb bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks unbeantwortet.

Fazit: Nein, Josep Borrell hat das Heizen von Wohnungen über 17 Grad nicht als „Verbrechen gegen EU-Werte“ bezeichnet. Der EU-Außenbeauftragte rief zwar in der Vergangenheit tatsächlich dazu auf, den Gaskonsum in Europa zu verringern, die aktuell geteilte Aussage ist aber frei erfunden und stammt ursprünglich von einem Satire-Kanal auf Telegram. Eine Sprecherin der EU wies die Behauptungen gegenüber AFP ebenfalls zurück. 

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Politik, Umwelt, EU

Autor(en): Saladin SALEM, Rossen BOSSEV, AFP Bulgarien

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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