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Kein Wort in Thunberg-Tweet über Menschheitsende im Juni 2023

Greta Thunberg wird nicht müde, auf die Gefahren der Erderhitzung hinzuweisen. Gegner der schwedischen Klimaaktivistin werfen ihr vor, eine Apokalypse heraufzubeschwören und Panik zu verbreiten. Jüngst wird ein gelöschter Tweet Thunbergs von 2018 hervorgekramt, in dem sie angeblich den Untergang der Menschheit innerhalb von fünf Jahren vorhergesagt haben soll. Auch ein österreichischer Privatsender verbreitet am 21. Juni 2023 in einem Beitrag, die Schwedin habe «am 21. Juni 2018 in einem Tweet das Ende der Welt für den heutigen Mittwoch prophezeit». Doch der Vorwurf ist blanker Unsinn.

Bewertung

Der Satz lässt eine solche Lesart überhaupt nicht zu. Der Zeitraum von fünf Jahren bezieht sich auf die Nutzung fossiler Brennstoffe. Richtig ist, dass Thunberg den Tweet gelöscht hat. Der darin zitierte Online-Artikel gibt die Aussagen des angeblich paraphrasierten US-Wissenschaftlers völlig falsch wieder. Dieser sprach 2018 vielmehr vom Einfluss fossiler Brennstoffe auf das Eis in der Arktis, nicht von einem Ende der Menschheit.

Fakten

Klimaskeptiker unterstellen Thunberg Alarmismus und legen anhand ihres Tweets teils mit hämischem Unterton nahe, dass die Menschheit zum jetzigen Zeitpunkt bereits ausgestorben sein müsste, wenn die Klimawissenschaft richtig läge. Dabei ist der verbreitete Satz überhaupt nicht für diese Lesart heranzuziehen.

Zunächst aber: Was hat es mit dem Tweet auf sich?

Aufhänger der Falschbehauptung ist ein mittlerweile gelöschter Tweet Thunbergs vom 21. Juni 2018. In Internet-Archiven ist dessen Inhalt aber noch nachzuvollziehen. Der Archiv-Plattform «archive.today» zufolge wurde der Tweet irgendwann im Laufe des 11. März 2023 (vergleiche hier und hier) aus der Plattform entfernt.

In dem Tweet zitierte die Schwedin einen Satz aus einem Artikel der Plattform «gritpost.com» vom Februar 2018. Der Bericht steht spätestens seit Januar 2021 online nicht mehr zur Verfügung. Jedoch sind auch hier Archivversionen verfügbar, die den Text zeigen – wie etwa die vom 1. Mai 2018.

Was genau ist der Satz zu verstehen?

In dem am 21. Juni 2018 von Thunberg abgesetzten Tweet heißt es: «A top climate scientist is warning that climate change will wipe out all of humanity unless we stop using fossil fuels over the next five years.» (auf Deutsch: «Ein führender Klimawissenschaftler warnt, dass der Klimawandel die gesamte Menschheit auslöschen wird, wenn wir nicht in den nächsten fünf Jahren aufhören, fossile Brennstoffe zu nutzen.») Der Satz steht gleich am Beginn des «gritpost.com»-Artikels.

Wer darin hineinliest, es werde die Auslöschung der Menschheit in fünf Jahren bevorstehen, hat ein völlig falsches Textverständnis. Vielmehr geht es darum, dass die Menschheit bis 2023 bestimmte Grenzwerte für Schadstoffemissionen erreichen müsse, da sonst aufgrund von Rückkopplungen im Klimasystem katastrophale Ereignisse Jahrzehnte bis Jahrhunderte später garantiert seien. Nirgendwo steht, die Welt würde 2023 enden.

Wer ist der Urheber des Satzes?

Verantwortlich dafür ist der Autor des «gritpost.com»-Textes. Dieser paraphrasiert scheinbar eine Rede des Harvard-Professors James Anderson («a top climate scientist»). Doch selbst dies geschieht nur ungenau.

Der «gritpost.com»-Artikel berichtet über einen Vortrag des Experten auf dem Gebiet der Atmosphärenforschung in Chicago am 11. Januar 2018. In der Rede, über die etwa das «Forbes»-Magazin berichtete, ging es etwa um die Auswirkungen des Kohlenstoffgehalts in der Atmosphäre: Die Welt müsse, so Anderson demnach, bis 2023 aufhören, fossile Brennstoffe zu verwenden. Ansonsten wären die Auswirkungen auf die polaren Eiskappen irreversibel. Von einer Auslöschung der Menschheit bis 2023 ist nirgendwo die Rede.

Gegenüber den Faktencheckern der Nachrichtenagentur AP stellte Anderson im März 2023 mit Blick auf die ihm zugeordnete Aussage («dass der Klimawandel die gesamte Menschheit auslöschen wird, wenn wir nicht in den nächsten fünf Jahren aufhören, fossile Brennstoffe zu nutzen») denn auch richtig: Dem Publikum sei bei seiner Rede klar gewesen, dass sich seine Aussage «auf das schwimmende Eisvolumen bezog». Der untergeschobene Satz über eine Ausrottung der Menschheit innerhalb von fünf Jahren sei «eine völlige Verzerrung» seines Vortrags. «Eine solche Aussage würde ich niemals treffen», so Anderson.

Wie ist das wissenschaftlich einzuordnen?

Szenarien wie das beschriebene bezeichnet die seriöse Klimawissenschaft als sogenannte Kipppunkte, die unbedingt vermieden werden sollten. Der Weltklimarat IPCC schreibt, dass Kipppunkte kritische Schwellenwerte in einem System seien, deren Überschreitung zu einer signifikanten Veränderung des Systemzustands führen könne, wobei die Veränderung oft als unumkehrbar gelte.

So heißt es etwa im IPCC-Sonderbericht zur Erderwärmung zum Beispiel über den Regenwald: Eine globale Erwärmung von drei bis vier Grad Celsius könne einen Kipppunkt darstellen, der zu einem erheblichen Waldsterben im Amazonasgebiet führe. Angetrieben werde dies durch stärkere El-Niño-Ereignisse, die häufiger Dürren in der Region verursachen würden.

In einem Papier des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung von 2019 heißt es: «Die Kipppunkte im Erdsystem stellen gravierende Risiken für die Menschheit dar.» Sie könnten unkontrollierbare Prozesse auslösen wie etwa einen Jahrtausende anhaltenden massiven Meeresspiegelanstieg, den Totalverlust wichtiger Ökosysteme oder verstärktes Extremwetter.

(Stand: 22.06.2023)

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Klimawandel, Gesellschaft

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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