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Keine Hinweise für «radioaktive Wolke» – EU-Daten weiter abrufbar

Nach einer Explosion in der ukrainischen Stadt Chmelnyzkyj kursieren im Netz derzeit viele Spekulationen. In mehreren Beiträgen ist die Rede von einer angeblich «radioaktiven Wolke», die durch die Detonation freigesetzt worden sei und nun über Europa schwebe. In einem Tiktok-Video wird in diesem Zusammenhang behauptet, in Polen seien nach der Explosion erhöhte Strahlenwerte gemessen worden. Anschließend sei «in der gesamten EU das Monitoringsystem für die Radioaktivität abgeschaltet worden», heißt es in dem Clip. Dazu wird eine EU-Webseite eingeblendet, auf der nur ein Puffersymbol statt eines Messwertes zu sehen ist. Stimmen die Aussagen und gibt es die angebliche «Uran-Wolke» überhaupt? 

Bewertung

Die Behauptungen sind falsch: Die im Video gezeigte EU-Seite zum Radioactivity Environmental Monitoring (REM) sowie gemessene Strahlenwerte sind weiter einsehbar. Es gibt keine Anzeichen für eine vermeintlich «radioaktive Wolke» über Europa. Sowohl die Behörden in Polen als auch in der Ukraine warnen vor Desinformation und erklärten, dass die festgestellten Strahlenwerte niedrig und unbedenklich sind. Ebenso sieht das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Deutschland keine Hinweise auf eine Freisetzung radioaktiver Stoffe in der Ukraine.

Fakten

Der Tiktok-Clip zeigt einen Ausschnitt aus einem über neun Minuten langen Video, das bei Facebook und Telegram kursiert. Neben weiteren Themen und Behauptungen geht es darin unter anderem um die Explosion in Chmelnyzkyj. Zu der Behauptung, das EU-Monitoringsystem der Radioaktivität sei abgeschaltet worden, wird als vermeintlicher Beleg eine Karte der EU-Webseite des Radioactivity Environmental Monitoring (REM) eingeblendet.

Hohe Zugriffszahlen: EU-Messwerte weiter einsehbar

In der EU werden im Rahmen der Europäischen Plattform zum Austausch Radiologischer Daten (EURDEP) nationale radiologischen Messwerte gesammelt. Bürger können sich auf der erwähnten Seite unter dem Punkt Echtzeitüberwachung («Real-Time Monitoring») über die Strahlenwerte informieren. Dazu stehen zwei Karten zu Auswahl – eine vereinfachte «Simple Map» und eine ausführlichere «Advanced Map». Ein Unterschied: Die «Simple Map» zeigt vor allem Durchschnittswerte der letzten 24 Stunden an, auf der ausführlicheren Karte werden den Angaben nach stündliche Durchschnittswerte abgebildet.

Beim Öffnen der «Simple Map» erscheint aktuell – Stand 30. Mai 2023 – jedoch eine Fehlermeldung: «Aufgrund der hohen Zugriffszahlen sind die Simple Maps derzeit nicht verfügbar», heißt es bevor man zur «Advanced Map» weitergeleitet wird. Die ausführlichere Karte ist ohne Probleme einsehbar. Abgeschaltet ist das Monitoringsystem also nicht.

Unter dem Bereich «FAQ» warnt die EU explizit davor, aus den Daten falsche Schlüsse zu ziehen – etwa bei einem erhöhten Wert. Die meisten gezeigten Messwerte seien noch nicht validiert. So könnten etwa meteorologische Bedingungen wie starker Regen oder Schnee oder Defekte an den Instrumenten, der Elektronik oder der Software zu fehlerhaften Werten führen. «Ohne vorherige Rücksprache mit dem Datenanbieter sollten auf der Grundlage dieser Daten keine Maßnahmen ergriffen werden», betont die EU.

Die beispielsweise für Deutschland angegebenen Daten auf der «Advanced Map» sind derweil völlig normal. Laut dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) liegt die natürliche radioaktive Gamma-Strahlung je nach örtlichen Gegebenheiten zwischen 0,05 und 0,18 Mikrosievert pro Stunde und unterliegt natürlichen Schwankungen. Auf der EU-Karte waren beispielsweise an den Messpunkten für Deutschland am 30. Mai 2023 ausschließlich Werte zwischen 0 und 200 Nanosievert pro Stunde (nSv/h) angegeben. Umgerechnet lagen diese Werte also unterhalb von 0,2 Mikrosievert pro Stunde (µSv/h) und damit im vom BfS als normal angegebenen Bereich.

Unbedenkliche Werte: Behörden warnen vor Desinformation

Doch was hat es mit der Explosion, der angeblich «radioaktiven Wolke» und den vermeintlich erhöhten Werten in Polen und der Ukraine auf sich? Mit diesen Fragen hat sich die dpa bereits in einem ausführlichen Faktencheck beschäftigt.

In Chmelnyzkyj ist am 13. Mai mutmaßlich ein Waffenlager angegriffen worden und explodiert. In den Folgetagen erschienen im Netz Beiträge, die sich mit Strahlenmesswerten in der ukrainischen Stadt und in Polen beschäftigten. So sei in der polnischen Stadt Lublin, die etwa 360 Kilometer nordwestlich von Chmelnyzkyj liegt, in der Luft ein hoher Wert für das schwach radioaktive Element Wismut beziehungsweise Bismut gemessen worden. Nutzer legen einen Zusammenhang mit sogenannter Uranmunition nahe, die angeblich in Chmelnyzkyj zerstört worden sei. Es fehlen jedoch Belege, dass dort abgereicherte Uran-Munition gelagert und zerstört wurde.

Den ukrainischen und polnischen Behörden zufolge wurde zudem keine ungewöhnliche Strahlung festgestellt. Die polnische Atomenergiebehörde betonte in einer Mitteilung: «Diese Werte sind niedrig und stellen weder eine Gefahr für Leben noch Gesundheit dar. Es ist erwähnenswert, dass dieses Isotop in keiner Industrie verwendet wird, auch nicht in der Rüstungsindustrie.» Dass zuletzt eine etwas höhere Konzentration des natürlich vorkommenden Isotops Bismut-214 (konkreter: die von ihm ausgehende Gammastrahlung) gemessen wurde, führt die Behörde auf Regen zurück, der Bismut vom Boden aufwirbele und aus der Luft auswasche.

Die ukrainische Militärverwaltung der Region Chmelnyzkyj teilte am 15. Mai mit: «Wir betonen, dass in der Region keine Abweichungen von den Normen für Strahlung und andere lebensbedrohliche Stoffe festgestellt wurden.»

Zudem schrieb das staatliche ukrainische Zentrum zur Bekämpfung von Desinformation in einer Stellungnahme am 18. Mai von einer «Desinformationskampagne» des Feindes, also Russlands. Nach Angaben des Zentrums gibt es auch kein Dokument des ukrainischen Gesundheitsministeriums mit einer vermeintlichen Warnung vor Strahlenbelastung in Chmelnyzkyj. Ein solches angebliches Dokument war in russischen Telegram-Kanälen aufgetaucht. Die Behauptungen über die angebliche «radioaktive Wolke» war vor allem von prorussischen Akteuren sowie dem staatlichen russischen Medium «RT» verbreitet worden.

BfS und IAEA haben ebenfalls keine Hinweise auf ungewöhnliche Werte

Auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) beobachtet die Lage in der Ukraine angesichts des seit 24. Februar 2022 andauernden Krieges. «Messwerte aus der Ukraine liefern keine Hinweise auf Freisetzung radioaktiver Stoffe», schreibt die Behörde auf ihrer Webseite.

Gegenüber Faktencheckern des Bayrischen Rundfunks (BR) sowie der ARD erklärte das BfS zudem: «Eine einzelne ukrainische Sonde südlich der Stadt Chmelnyzkyj zeigt seit dem 11. Mai minimal erhöhte Radioaktivitäts-Werte. Diese bewegen sich im natürlichen Schwankungsbereich und sind so gering, dass radiologische Auswirkungen auf Mensch und Umwelt ausgeschlossen sind.» Dass die Explosion in Chmelnyzkyj damit zusammenhängt, «ist schon wegen des zeitlichen Ablaufs sicher ausgeschlossen», wird das BfS zitiert. Denn die Explosion ereignete sich am 13. Mai, die leicht erhöhten Werte wurden bereits am 11. Mai gemessen.

Selbst falls bei der Explosion abgereichertes Uran freigesetzt worden wäre, wäre dies nur für die Region dort von Belang. Ein Transport dieser radioaktiven Stoffe bis nach Deutschland in gesundheitlich bedenklichem Umfang sei laut der Behörde ausgeschlossen.

Darüber hinaus teilte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) gegenüber dem US-amerikanischen Portal «Newsweek» mit, dass ihr keine erhöhten Werte in der westlichen Ukraine bekannt seien. Sie berief sich dabei auf offizielle ukrainische Stellen.

(Stand: 30.5.2023)

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Politik, Gesundheit, Ukraine

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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