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Mikrowellen zerstören nicht einen Großteil der Nährstoffe im Essen und verursachen keinen Krebs

Wenn Nahrungsmittel erwärmt werden, kann sich die Struktur der Nährstoffe verändern. Im Netz wird behauptet, dass im Essen 93 Prozent der Nährstoffe „abgetötet“ werden, wenn man diese in einer Mikrowelle erwärmt. Zudem sollen die Geräte einer der Hauptursachen für Krebs sein. Das stimmt nicht. Das Erhitzen in der Mikrowelle hat einen ähnlichen Effekt auf Lebensmittel wie das Erhitzen im Ofen oder auf dem Herd. Experten erklärten gegenüber AFP, dass es sogar schonender für den Erhalt von Nährstoffen sein kann, eine Mikrowelle zu benutzen. Auch geht kein Krebsrisiko von den Geräten aus.

Ein Video zeigt dystopische Bilder von brennenden Städten und verrückten Wissenschaftlern, dazu spricht eine Stimme aus dem Off: „Eine Mikrowelle tötet tatsächlich 93 Prozent der Nährstoffe ab, die Ihr Essen enthält. Das bedeutet, dass Sie im Grunde genommen nur Materie in Ihren Körper einbringen. Ohne jeden Nährwert.“ Außerdem soll Mikrowellenherde angeblich radioaktive Strahlung aussenden, die Krebs verursachen. Deshalb solle man laut dem Video „alle Lebensmittel in einem Ofen kochen und erhitzen“.

Das Video wurde auf vom Account „puregesund“ auf Tiktok und Instagram gepostet und dort über 160.000 Menschen gesehen. Der Account „puregesund“ verlinkt in seiner Beschreibung auf einen Online-Shop, auf dem Nahrungsergänzungsmittel verkauft werden. Auf AFP-Anfrage nach der Quelle für die Behauptung reagierte der Account nicht.

Instagram-Screenshot der Behauptung: 20. März 2024

Mikrowellengeräte sind in Deutschland sehr weit verbreitet. Laut Statistischem Bundesamt besitzen 73,8 Prozent aller Haushalte ein solches Gerät. Experten erklärten gegenüber AFP, dass der Einsatz von Mikrowellen weder radioaktive Strahlung freisetzt, noch Krebs verursacht oder einen Großteil der Nährstoffe in Lebensmitteln „abtötet“.  Woher die im Post genannten 93 Prozent stammen konnte nicht geklärt werden.

„Das ist völliger Unsinn“, sagte Martin Loessner, Professor am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie an der ETH Zürich am 14. März gegenüber AFP. Er erklärte die Funktionsweise einer Mikrowelle: „Das Prinzip einer Mikrowelle ist, dass durch elektromagnetische Strahlung ein Molekül zum Schwingen gebracht wird.“ Das funktioniere nur bei speziellen Molekülen, zum Beispiel bei Wasser oder auch Fetten. Diese Moleküle würden durch die Wellen angeregt, zu schwingen und so erwärmt. „Das ist ein Energieübertragungsprozess, der rein physikalisch ist. Das hat mit Radioaktivität nichts zu tun.“

Nährstoffe werden nicht „abgetötet“

Dem schloss sich Marc Regier an. Der Professor für Lebensmittelverfahrenstechnik an der Universität Karlsruhe forscht zu Trocknungsprozessen und Mikrowellenanwendungen. Er erklärte gegenüber AFP am 15. März 2024 zunächst, was Nährstoffe sind: „Typischerweise versteht man darunter Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße.“ Diese würde durch die Mikrowelle aber nicht wie behauptet „abgetötet“. Eine Ausnahme seien Mikroorganismen, wie etwa Milchsäurebakterien, die in einigen Lebensmitteln, etwa im Joghurt vorkommen. „Wenn man Joghurt in der Mikrowelle stark erwärmt, werden diese getötet. Jedoch würde man solche Mikroorganismen nicht als Nährstoffe bezeichnen.“

Die Milchsäurebakterien würden aber schlicht durch die Hitze getötet, wenn das Lebensmittel im Mikrowellenherd erwärmt wird und nicht durch radioaktive Strahlung, so Regier: „Mikrowellen zählen zu elektromagnetischer, aber nicht radioaktiver Strahlung, wie im Video behauptet wird.“

Im Video wird empfohlen, die „Mikrowelle auf den Müll zu werfen“ und „alle Ihre Lebensmittel in einem Ofen zu kochen und zu erhitzen.“ Hierzu sieht Regier aus gesundheitlicher Perspektive keinen Grund: „Wenn man ein Lebensmittel auf dem Herd oder im Backofen für dieselbe Zeit auf dieselben Temperaturen erhitzt, hat man genau dieselben Wirkungen. Das ist schlicht ein Temperatur-Zeit-Effekt.“

Für den Forscher gibt es sogar gewisse Vorteile beim Erhitzen von Nahrung durch eine Mikrowelle: „Der einzige Unterschied zwischen etwa dem Backofen und der Mikrowelle ist, dass die Wärme im Backofen von außen, also von der Oberfläche nach innen in das Lebensmittel eindringt. Das ist üblicherweise sehr langsam.“ Die Mikrowellen eines Mikrowellenherdes würden in das Lebensmittel eindringen und es auch direkt im Inneren erwärmen. „Dadurch geht es schneller als im Ofen oder auf dem Herd. Das hat den Vorteil, dass das Produkt nicht so lange auf hoher Temperatur gehalten werden muss, bis es auch innen heiß ist. Das ist in Bezug auf die Nährstoffe oft ein Vorteil.“

Mikrowellen und Lebensmittel in der Forschung

Ein Artikel der Universität Harvard aus dem Jahr 2021 sieht das genau so: „Die nährstoffschonendste Garmethode ist diejenige, die schnell gart, die Lebensmittel in kürzester Zeit erhitzt und so wenig Flüssigkeit wie möglich verwendet.“ Die Mikrowelle erfülle diese Kriterien: „Bei der Verwendung der Mikrowelle mit einer kleinen Menge Wasser werden die Lebensmittel im Wesentlichen von innen nach außen gedämpft. Dadurch bleiben mehr Vitamine und Mineralstoffe erhalten als bei fast jeder anderen Garmethode, was zeigt, dass Mikrowellengerichte tatsächlich gesund sein können.“

Zur Frage, wie viele Nährstoffe bei unterschiedlichen Methoden der Erwärmung erhalten bleiben, wurden zudem über Jahrzehnte verschiedene wissenschaftliche Studien veröffentlicht. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2002 kommt zu dem Schluss, dass Kochen mit einer Mikrowelle deutliche Nachteile gegenüber einem normalen Kochtopf und einem Dampfgarer hat. Dabei testeten die Forschenden, wie viel Vitamin C und Glucosinolate, gesundheitsfördernde Pflanzenstoffe, in Brokkoli nach dem Kochen enthalten sind.

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl ähnlicher Studien, die sich mit den Nährstoffen von Brokkoli in einer Mikrowelle befasst haben, etwa im Jahr 2007, 2009, 2010 der 2012. Die Studien sehen einen Vorteil gegenüber herkömmlichen Methoden zur Erhitzung, wie etwa Kochen und Braten. Lediglich die Zubereitung im Dampfgarer schneidet in zwei Untersuchungen noch besser ab.

Eine Studie aus dem Jahr 2019 kommt etwa zu dem Ergebnis, dass das Kochen im Kochtopf zu einem beträchtlichen Verlust an Flavonoiden führt, einem Stoff, der das Risiko für Krebs senken kann. Bei gedämpftem und mikrowellenbehandeltem Brokkoli sei hingegen nur ein geringer Verlust oder sogar ein scheinbarer Gewinn zu beobachten gewesen. „Von den drei Kochmethoden schien die Mikrowelle die beste Methode zu sein, um komplexe Flavonoide in Brokkoli zu erhalten, gefolgt vom Dämpfen.“

Mikrowellen sind „sicher, verträglich und schonend“

Ralf Greiner, Leiter des Instituts für Lebensmittel- und Bioverfahrenstechnik des Max Rubner-Instituts, kennt keine Nachteile durch die Mikrowelle in Bezug auf Nährstoffe: „Wissenschaftliche Studien zufolge schneidet die Mikrowelle hinsichtlich von Nährstoffveränderungen auch nicht schlechter ab als andere Garverfahren, vielleicht mit Ausnahme des Dampfgarens.“ Zwar könnten hitzeempfindliche Inhaltsstoffe wie Vitamine durch den Kochvorgang in ihrem Gehalt reduziert werden und wasserlösliche Nährstoffe wie etwa Mineralstoffe und Spurenelemente aus den Lebensmitteln ins Kochwasser gelangen und gegebenenfalls mit diesem weggeschüttet werden. „Das ist aber unabhängig von der Art und Weise des Erhitzungsverfahrens und gilt auch für andere Methoden des Garens“, so Greiner in einer Mail vom 20. März 2024 an AFP.

Martin Loessner sieht die Mikrowelle ebenso als „eine der sichersten, verträglichsten und am wenigsten die Struktur eines Lebensmittels verändernden Methoden zum Erwärmen überhaupt.“ Dennoch würde immer wieder kolportiert, dass Vitamine und Mineralien durch eine Mikrowelle stärker leiden würden als bei anderen Verfahren. „Das ist aber nicht der Fall, eher das Gegenteil. Gerade in modernen Mikrowellenherden mit Drehteller ist die Erwärmung so schonend, dass das Lebensmittel eigentlich weitgehend so bleibt, wie es war. Außer, dass es eben etwas wärmer wird.“

Im Hinblick auf die Behauptung im Video, Mikrowellen seien für Krebserkrankungen verantwortlich, sagte der Wissenschaftler: „Gerade in der Pfanne mit heißem Fett verursacht man eher Veränderungen, die möglicherweise das Potenzial haben, Zellen zu schädigen und Krebs zu verursachen. In der Mikrowelle habe ich eben genau dieses Problem nicht.“

Kein Krebsrisiko durch Mikrowellen

Marc Regier betonte, dass von Mikrowellen keine radioaktive Strahlung ausgehe, wie im Video behauptet wird: „Die elektromagnetischen Felder, die eine Mikrowelle erzeugt, sind definitiv nicht radioaktiv. Sie treten auch nicht aus, da die Geräte gut abgeschirmt sind. Da gibt es klare Richtlinien, die auch überprüft werden.“

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) erklärte auf Anfrage von AFP am 20. März 2024 per Mail, dass die im Video verwendete Bezeichnung „radioaktive EMFs“ (elektromagnetische Felder, Anm. d. Red.) nicht bekannt sei. Diese sei weder in der Wissenschaft noch in der Wissenschaftskommunikation gebräuchlich. „Hochfrequente elektromagnetische Felder (HF EMF) eines Mikrowellenherds haben nach derzeitigem Kenntnisstand bei Einhaltung der Grenzwerte keinen negativen Einfluss auf die Gesundheit des Menschen“, so das Amt. Auch sei bei Mikrowellen durch Abschirmmaßnahmen gewährleistet, dass im Betrieb kaum Strahlung aus dem Inneren des Gerätes nach außen gelangt.

Zudem entstünden elektromagnetische Felder in einer Mikrowelle nur so lange das Gerät in Betrieb sei. Das Essen werde also nicht „bestrahlt“, wie behauptet wird: „Es ist physikalisch nicht möglich, dass elektromagnetische Felder in irgendeiner Form in Nahrungsmitteln fortbestehen, wenn diese aus dem Gerät entnommen wurden.“ Insgesamt sei laut dem BfS das Erwärmen von Lebensmittel im Mikrowellengerät „nicht schädlicher als die herkömmliche Zubereitung“.

Laut Marc Regier besteht durch die Mikrowellenstrahlung ohnehin nicht die Gefahr, dass sie direkt menschliches Erbmaterial beschädigen und Krebs auslösen könnte: „Wenn man der Mikrowellenstrahlung ausgesetzt wäre, ist die Gefahr lediglich, dass die menschlichen Zellen genauso heiß werden, wie das Essen im Inneren der Mikrowelle.“

Im Zusammenhang mit verschiedenen Arten von Strahlung gab es bereits Falschinformationen, die AFP überprüft hat. So wurde etwa fälschlich behauptet, dass sich mit Radaranlagen und Mobilfunkmasten das Wetter beeinflussen lässt oder das WLAN menschliche Zellen zerstören würde.

Fazit: Im Netz wird behauptet, Mikrowellen würden Nährstoffe im Essen zerstören und Krebs verursachen. Das ist falsch. Der Effekt eines Mikrowellenherdes auf Lebensmittel ist ähnlich wie beim Kochen im Ofen oder auf dem Herd, erklärten Experten gegenüber AFP. Mikrowellen können sogar schonender für den Erhalt von Nährstoffen sein.

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Wissenschaft, Verbraucher

Autor(en): Till EICHENAUER / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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