Satirische Videos von angeblichem Sohn eines ukrainischen Staatsanwalts von prorussischen Accounts geteilt - Featured image

Satirische Videos von angeblichem Sohn eines ukrainischen Staatsanwalts von prorussischen Accounts geteilt

Ein satirisches Tiktok-Video zeigt einen Mann, der vermeintlich in Monaco mit einem Luxusauto prahlt. Dazu ist eine Stimme zu hören, die erklärt, der Mann sei der Sohn des ukrainischen Generalstaatsanwalts. Seit Juli 2023 wurde es zahlreich nachgeahmt und tausendfach geliked – aber auch ohne den Satirehinweis durch prorussische Kanäle verbreitet. Eines der Videos soll in Monaco aufgenommen worden sein. Der Mann in den Clips ist jedoch ein ukrainischer Tech-Unternehmer mit einer Firma in den Vereinten Arabischen Emiraten, der nicht mit dem amtierenden ukrainischen Generalstaatsanwalt verwandt ist. 

„Monaco. Der Sohn eines ukrainischen Staatsanwalts sendet Grüße an alle ukrainischen Kämpfer in der Nähe von Avdiivka“, heißt es in einem tausendfach geteilten Facebook-Video vom 14. Januar 2024. Das Video ist Teil eines größeren satirischen Trends in sozialen Medien. AFP fand hunderte ähnliche Videos mit dem gleichen Tiktok-Sound. Ukrainischen Desinformationsexperten zufolge wurde das Tiktok-Video von prorussischen Propagandisten genutzt, um die Ukraine in ein schlechtes Licht zu rücken.

In dem Clip steigen ein Mann und eine Frau in ein Luxusauto ein. Es scheint, als seien die Aufnahmen von jemandem gemacht worden, der den Mann überrascht hat und auf Russisch sagt: „Bataillon Monaco, Leute, der Sohn eines bekannten ukrainischen Staatsanwalts protzt mit teuren Autos, während sein Vater arbeitet. Hier ist es.“

Auch auf Instagram, X und Telegram sowie Tiktok wird das Video vielfach verbreitet. Auf anderen Sprachen wie Englisch, Französisch, Slowakisch oder Tschechisch kursiert es ebenfalls. In einigen dieser Posts ist von „einem Staatsanwalt“ die Rede, in anderen von dem „ukrainischen Generalstaatsanwalt“.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 18. März 2024

Das Video taucht auch in russischen kremlfreundlichen Telegram-Kanälen auf sowie auf russischen Websites auf (hier, hier und hier). Diese Behauptungen sind jedoch falsch oder aus ihrem Kontext gerissen.

Virale Tiktok-Videos

Mithilfe einer umgekehrten Bildsuche und einer erweiterten Websuche mit Stichworten wie „Sohn eines Staatsanwalts“ in verschiedenen Sprachen fand AFP heraus, dass das Video Teil eines größeren Tiktok-Trends ist, bei dem sich hunderte User mit teuren Autos filmen und die Clips mit dem gleichen Tiktok-Sound versehen. Diese Videos sind als Scherz gemeint und sollen die User als „Sohn eines bekannten ukrainischen Staatsanwalts“ zeigen.

Die Suche ergab, dass ähnliche Videos mit dem gleichen Mann und der gleichen Audiospur seit Monaten in verschiedenen sozialen Medien geteilt werden, so zum Beispiel dieses Video im August 2023. Der einflussreiche prorussische Fernsehmoderator Wladimir Solowjow teilte eine weitere Version des Videos im September 2023 auf seinem Telegram-Kanal. Ähnliche Falschbehauptungen wurden bereits über Solowjow selbst verbreitet.

Telegram-Screenshots der Beiträge: 29. Februar 2024

In einigen dieser Beiträge ist der Verweis auf den Tiktok-Account „@tolanshinkarev“ zu erkennen, der Anatoly (Tolyan) Schinkarew (hier archiviert) gehört. Schinkarew hat über 94.000 Follower und beschreibt sich als ukrainischer Investor und Tech-Unternehmer. Auf seinem Account hat er seit August 2023 über 20 Videos hochgeladen, die dem gleichen Muster folgen. Einige wurden millionenfach angesehen (hier, hier oder hier).

Alle diese Videos nutzen den Tiktok-Sound „Bataillon Monaco“ (im Original „Батальон Монако“, hier archiviert). Wie auf Tiktok zu sehen ist, wurde der Sound zum ersten Mal von einem User mit dem Account „@N.perepechaev27“ in seinem Video vom 29. Juli 2023 genutzt (hier archiviert). Das Video wurde über 1,8 Millionen Mal angesehen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels wurde der Sound in 668 Tiktok-Videos verwendet.

Tiktok-Screenshot der Videos mit dem verwendeten Sound, Hervorhebungen durch AFP: 19. März 2024

Schinkarews Videos sind darunter die meistgeteilten. Sein Originalvideo, das laut deutschen Posts einen „Sohn eines ukrainischen Staatsanwalts“ zeigt, wurde von ihm am 31. Dezember 2023 veröffentlicht (hier archiviert) und seither über 4,3 Millionen Mal angezeigt. Das Video hat die zweitgrößte Reichweite aller Videos, die den Tiktok-Sound verwenden, direkt nach einem anderen Clip von Schinkarew vom 25. Dezember 2023.  Auch andere User luden viel geteilte Videos nach dem gleichen Muster hoch.

Ukrainischer Krypto-Unternehmer in Dubai

AFP hat versucht, Anatoly Schinkarew über seine Kanäle auf Tiktok, Facebook und Instagram zu kontaktieren, jedoch bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels keine Antwort erhalten.

Durch seine Accounts hat AFP versucht, mehr über Schinkarew herauszufinden. Auf einem der in seinem Tiktok-Account verlinkten Instagram-Profile beschreibt er sich selbst als „Investor„. Ein weiterer Account nennt „Ukraine, Donezk-Kiew“ in seiner Bio. Einem alten Profil einer ukrainischen Talentagentur von 2016 zufolge sollte Schinkarew heute 31 Jahre alt sein.

Eine Stichwortsuche bei Google und Yandex auf Ukrainisch und Russisch mit Schinkarews Namen ergab mehrere ukrainische Quellen, wonach Schinkarew Unternehmer und Mitgründer der IT-Firma IT Freedom ist. In einem Beitrag des Instagram-Profils „it_freedom_official“ ist er zudem als „Präsident“ der Firma angegeben (hier archiviert).

Einem gesponserten Artikel auf der Website „usreporter.com“ von September 2023 zufolge (hier archiviert) stammt Schinkarew aus Donezk, zog nach 2014 allerdings nach Kiew. Seine Firma beschäftige sich mit Lösungen für Cybersicherheit und Blockchain-Neuheiten. „Der erstaunliche Erfolg von ‚IT Freedom‘ zeigt sich auch in seiner internationalen Reichweite. Anatoly’s Erfindung hat Grenzen überwunden, mit starker Präsenz in Dubai und einem Netzwerk von Büros in vielen Ländern“, heißt es in dem Artikel.

Laut Schinkarews Profil auf der ukrainischen Website „speka.media“ ist er zudem „Gründer von WOLLT“; AFP fand eine Website einer Kryptowährungs-Wallet mit diesem Namen. Die Nutzungsbedingungen der Seite listen die Firma IT Freedom FZCO als Software-Dienstleister ihrer Website und ihrer Produkte.

Screenshot der Website „ner.economy.ae“: 4. März 2024

Auf einer Website des Wirtschaftsministeriums der Vereinten Arabischen Emirate hatte eine Firma mit diesem Namen tatsächlich eine dort eingetragene Geschäftslizenz von September 2022 bis September 2023. Diese ist jedoch ausgelaufen.

Satire-Video für „russische Propaganda“ benutzt

Um mehr über die Videos herauszufinden, hat AFP ukrainische Expertinnen und Experten für Falschinformationen angefragt. Olena Churanowa ist Faktencheckerin für die IFCN-zertifizierte ukrainische Faktencheck-Organisation StopFake.org. Sie erklärte in einer E-Mail an AFP vom 27. Februar 2024, das Narrativ, Kinder hochrangiger ukrainischer Beamter oder Vertreter der ukrainischen Regierung würden sich dem Wehrdienst entziehen, während „normale Ukrainer aus Dörfern Kriegsdienst leisten, wird sehr aktiv von russischer Propaganda genutzt“. „Für diesen Zweck werden jegliche solcher Videos genutzt“, erklärte sie.

Churanowa erklärte zudem, die Bezeichnung „Sohn eines Staatsanwalts“ sei in der ukrainischen Bevölkerung ein bekannter Platzhalter für jene, die Schutz durch hochrangige Verwandte genießen würden.

„Das Konzept des ‚Sohns eines Staatsanwalts‘ wird für Menschen genutzt, die sich alles erlauben können, während die Gesetze und generelle Normen – auf die sich die Gesellschaft ansonsten geeinigt hat – nicht für sie zu gelten scheinen. Das Konzept selbst entstand hauptsächlich in den 1990er-Jahren, als Straffreiheit und Korruption in der Regierung groß waren“, so Churanowa. Die Nutzung des Begriffs sei deshalb noch emotional in der ukrainischen Gesellschaft verankert.

„Viele Tiktok-User nutzen den Sound als ein Meme. Es wird aber auch von russischen Propagandisten für ihre eigene Agenda gegen Ukrainerinnen und Ukrainer benutzt“, erklärte ein Sprecher der Molfar OSINT Agency gegenüber AFP in einer E-Mail vom 27. Februar 2024. Molfar Agency ist eine ukrainische Organisation, die sich auf das Widerlegen von Desinformation und Identifikation von Kriegsverbrecherinnen und -verbrechern spezialisiert. Sie wurde auch vom Europäischen Exzellenzzentrum für die Bekämpfung hybrider Bedrohungen im Bericht über bewährte ukrainische Praktiken zur Bekämpfung von Desinformation von Januar 2024 erwähnt.

Molfar erklärte gegenüber AFP, diese Videos würden von „russischer Propaganda“ dafür genutzt, „Ukrainerinnen und Ukrainer im Westen zu diskreditieren“, besonders in Ländern, die die Ukraine finanziell unterstützen. „Die Absicht ist, Ukrainerinnen und Ukrainer in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen. Damit soll impliziert werden: Während europäische Länder, die USA und andere wichtige Verbündete die Ukraine finanziell unterstützen, prahlen einzelne, mit Regierungsbeamten in Verbindung gebrachte Personen mit Luxusautos“, so der Sprecher von Molfar.

Molfar konnte keine Verbindung zwischen Anatoly Schinkarew und ukrainischen Staatsanwälten feststellen.

Schinkarew bezeichnete das Video als Scherz 

Laut der Falschbehauptungen sei das Video in Monaco oder Monte Carlo gedreht worden. Durch verschiedene Elemente im Originalvideo wie ein Straßenschild mit arabischer Aufschrift und „Marasi Drive“ oder einen großen Schriftzug mit den Buchstaben „MAG“ auf einem Gebäude im Hintergrund konnte das Originalvideo vor dem MAG 18 Residential Tower im Marasi Drive in Dubai verortet werden.

Die Kommentare unter dem Originalvideo zeigen, dass viele Nutzerinnen und Nutzer verwirrt sind, ob es tatsächlich den Sohn des ukrainischen Generalstaatsanwalts zeigt. Ein Nutzer kommentierte auf Russisch: „Es ist ein Scherz, weißt du“, worauf Schinkarew antwortete: „Gut, dass du die Wahrheit sagst“.

Dass seine Videos als Scherz gemeint seien, implizierte oder erklärte Schinkarew auch in anderen Kommentaren. In einem Video vom 30. Dezember 2023 scheint Schinkarew sich über das gesamte Phänomen lustig zu machen, indem er sagt: „Ich möchte sagen, es wäre wundervoll, der Sohn Gottes zu sein, aber der Sohn eines Staatsanwalts zu sein ist noch besser.“ Ähnlich äußerte er sich in einem Video vom 12. Januar 2024, worin er die Worte „Sohn eines bekannten ukrainischen Staatsanwalts“ lachend wiederholte und von der Person, die ihn filmt, als „Tiktok-Star“ bezeichnet wurde.

AFP fand zumindest einen Fall, in dem Schinkarew anzuerkennen scheint, dass seine Videos für prorussische Propaganda benutzt werden. In einem Kommentar unter einem seiner Instagram-Videos rief er seine Followerinnen und Follower dazu auf, ihm Beiträge zu schicken, „in denen Kreml-Propaganda meine Videos verdreht“.

Das Bataillon Monaco: Hochrangige Persönlichkeiten durch ukrainische Journalisten enttarnt

Der Begriff „Bataillon Monaco“ aus den Tiktok-Videos spielt auf eine Serie von Untersuchungen des ukrainischen Journalisten Mykhailo Tkach und seinen Kolleginnen und Kollegen der News-Website „Ukrainska Pravda“ an. Während der Jahre 2022 und 2023 haben Journalistinnen und Journalisten von „Ukrainska Pravda“ berichtet, wie dutzende aktuelle und ehemalige ukrainische Politikerinnen und Politiker, Beamte, Abgeordnete oder einflussreiche Businessmänner und -frauen sowie ihre Verwandten die Ukraine verließen, ehe oder nachdem das Kriegsrecht am 24. Februar 2022 in Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verhängt wurde. Sie zogen an die Côte d’Azur, nach Monaco, Nizza oder andere Städte an der französischen Riviera.

„Ukrainska Pravda“ veröffentlichte eine dreiteilige Investigativrecherche über das sogenannte Bataillon Monaco in Form von Youtube-Videos (hier, hier und hier) sowie ähnliche Recherchen über Dubai, London und Wien. Einige Monate nach der Veröffentlichung der ersten Recherchen verbot die Ukraine Beamten, während des Kriegsrechts abgesehen von Dienstreisen ins Ausland zu reisen.

Unter den im zweiten Teil der Recherche genannten Personen war ein ehemaliger Staatsanwalt, Igor Protsenko, der unter der Präsidentschaft von Wiktor Janukowytsch von 2010 bis 2014 als solcher tätig war und die Staatsanwaltschaft Odessa leitete.

AFP konnte nicht herausfinden, ob Anatoly Schinkarew die Ukraine vor oder nach der Verhängung des Kriegsrechts verlassen hat. Weder Schinkarew, noch praktizierende ukrainische Staatsanwälte werden in den Recherchen erwähnt.

Keine Verbindung zwischen Generalstaatsanwalt und Schinkarew nachgewiesen

Der derzeitige ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin wurde im Juli 2022 ernannt und ist ein ehemaliges hochrangiges Mitglied der Partei Diener des Volkes von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Bevor er 2019 Abgeordneter und 2020 Vorsitzender des rechtspolitischen Ausschusses des ukrainischen Parlaments Rada wurde, leitete er die Anwaltskanzlei Pravo in Odessa und war stellvertretender Vorsitzender der Anwaltskammer in Odessa.

Kostin wurde 1973 in Odessa geboren und hat seiner Biografie auf der ukrainischen News-Website „Livy Bereg“ zufolge drei Kinder. Nach Angaben der in Odessa ansässigen Zeitung „Intent“ hat er zwei Töchter und einen Sohn.

Die Suche nach verschiedenen Stichworten lieferte keine Ergebnisse zu einer Verbindung zwischen Anatoly Schinkarew und Andrij Kostin, zu einem anderen ukrainischen Staatsanwalt oder zu vertrauenswürdigen Quellen, denen zufolge Schinkarew der Sohn eines ukrainischen Staatsanwalts wäre.

Ukrainische Journalistinnen und Journalisten berichteten im August 2023 zudem, dass Kostins Sohn Mykhailo im Juni 2023 seinen 18. Geburtstag feierte, aber das Land verließ, bevor er ins wehrpflichtige Alter kam und offenbar ein Video von Wolkenkratzern in New York in sozialen Medien postete.

Zuvor berichteten ukrainische Medien in 2021, dass Kostins Tochter als Assistentin seines Fraktionskollegen Andrij Zadorozhny arbeitete. Nach der russischen Invasion schrieben Medien, sie lebe in Europa und habe in sozialen Medien geäußert, sie „vermisse ihr Zuhause in Monaco“. Später entschuldigte sie sich und erklärte, sie habe einen Scherz gemacht. Sie lebe mit ihrem Freund in Finnland und leiste Freiwilligenarbeit für Projekte, die sich für die Ukraine einsetzten. Über Kostins zweite Tochter konnte AFP keine öffentlich zugänglichen Informationen finden.

Fazit: Das Video zeigt keinen Sohn eines Staatsanwalts, sondern einen im Ausland lebenden ukrainischen Tech-Unternehmer. Recherchen von AFP zufolge hat er keine Verbindungen zu einem Staatsanwalt. Das bestätigten auch ukrainische Faktencheck-Organisationen. Das Video entstand als Satire und wird von prorussischen Kanälen für antiukrainische Propaganda genutzt.

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Politik, Ukraine

Autor(en): Robert BARCA / Johanna LEHN / AFP Slowakei

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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