„Das darf doch jetzt nicht wahr sein. Und wir schuften bis zum Umfallen und wissen dennoch nicht, wie wir alles bezahlen sollen“, kommentierte eine Person ein Tiktok-Video. Es geht darin um einen angeblichen Beschluss des Deutschen Bundestags: Geflüchtete aus der Ukraine sollen sich an jeder Caritas-Stelle des Landes 500 Euro Begrüßungsgeld abholen können, sagt eine weibliche Stimme. Der Bundestag habe „dem Antrag im Eilverfahren“ zugestimmt, bezahlt werde das Ganze mit deutschem Steuergeld. Das Video schließt mit der Verabschiedung: „Ihre Grüne Bundesregierung“.
Es wurde 25.000 Mal abgespielt und ist nur eines von Dutzenden, in denen diese Behauptung verbreitet wird. Sie ist falsch. Das bestätigten uns die Caritas und der Deutsche Bundestag. Die Videos basieren auf einem Satire-Beitrag, der ernst genommen und weiterverbreitet wurde. Der Urheber fiel schon mehrfach mit Falschmeldungen zu angeblichen finanziellen Zuwendungen an ukrainische Geflüchtete auf – die oft nur versteckt oder gar nicht als Satire gekennzeichnet waren.
Laut Caritas und Bundestag bekommen Geflüchtete aus der Ukraine keine 500 Euro Begrüßungsgeld
Eine Online-Recherche liefert keine Hinweise auf das vermeintliche Begrüßungsgeld. Weder die Bundesregierung noch die Caritas haben dazu Informationen auf ihrer Webseite.
Auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck schreibt Caritas-Sprecherin Anja Stoiser, dass der Verband bundesweit kein Begrüßungsgeld bezahle oder anbiete. Es habe dazu auch keine Anfragen von Ukrainerinnen oder Ukrainern gegeben.
Auch im Bundestag gebe es zu dem Thema keine Entscheidung, schreibt uns der dortige Sprecher Sven Göran Mey auf Anfrage. Es befinde sich weder etwas „derartiges im parlamentarischen Verfahren des Bundestages“ noch gebe es einen „Entwurf, der in die Gremien ginge“.
Urheber des Beitrags fällt mit schlecht gekennzeichneter Satire auf
In die Welt gesetzt hat die Behauptung ein Tiktok-Account namens fettbaer_man. Der Nutzer bezeichnet sich als Satiriker, über 52.000 Accounts folgen ihm. Er fiel schon mehrfach mit falschen Behauptungen auf. Etwa, dass auf Mallorca Hotels mit deutschem Steuergeld für ukrainische Geflüchtete umgebaut werden würden, oder dass die Bundesregierung einen Solidaritätszuschlag für die Ukraine eingeführt habe. Oft kennzeichnet er seine Videos nur schwer sichtbar als Satire, manchmal fehlt die Kennzeichnung komplett.
Im Beitrag über das angebliche Begrüßungsgeld ist ein Satire-Hinweis in den Hashtags versteckt, das Video wurde über 230.000 Mal angesehen. Die Kommentare unter dem Beitrag zeigen, dass viele Nutzerinnen und Nutzer ihn ernst nehmen.
In der Aufnahme ist ein Mann zu sehen, der vor einem Gebäude mit einem Caritas-Schild steht und sich die Finger reibt. An dem Logo ist erkennbar, dass das Gebäude nicht in Deutschland steht. Die deutsche Caritas verwendet eine andere Grafik, auch die Schreibweise des Wortes „Caritas“ ist anders: Den Akzent über dem Buchstaben A gibt es in der deutschen Schreibweise nicht, in der spanischen zeigt er nach oben und in der katalanischen Schreibweise zeigt er – so wie im Video – nach unten.
Diese Schreibweise verwendet auch die Càritas Mallorca. Auf Anfrage bestätigt uns die dortige Pressesprecherin Begoña González, dass im Video eine Fahrradwerkstatt der Càritas zu sehen ist. Sie befindet sich etwa 35 Kilometer nordöstlich von Palma. Eine Aufnahme von Google Maps bestätigt, dass es sich um den gleichen Ort wie im Video handelt. Auch dort gebe es keine 500 Euro an ukrainische Geflüchtete, schreibt die Sprecherin.
Desinformationen über Sozialleistungen für Geflüchtete sind weit verbreitet
Immer wieder tauchen im Internet Falschbehauptungen auf, in denen es um die Versorgung von Geflüchteten geht. Im Dezember etwa hieß es, Geflüchtete verfügten in Deutschland über mehr Einkommen als Angestellte, doch – wie unser Faktencheck zeigt – waren die Zahlen veraltet und stammten aus Österreich. Im April kursierte die Behauptung, Geflüchtete aus der Ukraine könnten zehn Jahre früher als Deutsche Rente beziehen. Auch das stellte sich als falsch heraus.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Sophie Timmermann, Paulina Thom
Update, 12. Januar 2023: Nach der Veröffentlichung schrieb uns die Sprecherin der Càritas Mallorca, dass auch dort ukrainische Geflüchtete keine 500 Euro als Begrüßungsgeld bekämen. Wir haben diese Information ergänzt.