Nein, Ukrainerinnen und Ukrainer erhalten nicht ohne irgendeine Prüfung Bürgergeld

Vivien ist empört: Angeblich, so habe sie in ihrem Urlaub auf Teneriffa erfahren, bekämen Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland ohne irgendeine Prüfung Bürgergeld und könnten damit Urlaub auf der Insel vor Nordwestafrika machen. Doch damit nicht genug, zusätzlich hätten die Menschen neben dem Bürgergeld noch einen Job in der Ukraine. Ihr Video auf Tiktok wurde seit dem 26. März bereits 1,3 Million Mal aufgerufen, es gefällt mehr als 49.000 Personen und verbreitet sich auch auf Telegram (hier, hier, hier) und Facebook.

Mindestens ein Teil ihrer Geschichte ist falsch: Ukrainerinnen und Ukrainer erhalten in Deutschland nicht ohne irgendeine Prüfung Bürgergeld, wie uns ein Pressesprecher der Bundesagentur für Arbeit mitteilt. Sie dürfen aber – wie alle Menschen, die in Deutschland Bürgergeld erhalten – 21 Tage im Jahr abseits ihres Wohnortes verbringen und generell einer Beschäftigung nachgehen.

Das Video schließt an eine Reihe weiterer Falschbehauptungen an, die sich in den vergangenen Monaten verbreiteten und Stimmung gegen Ukrainerinnen und Ukrainer machen. Darunter zum Beispiel die Behauptungen, Menschen aus der Ukraine pendelten mit dem Flixbus nach Deutschland, um sich Sozialleistungen zu erschleichen, doch das ist unbelegt. Sie erhielten ein Begrüßungsgeld von 500 Euro – eine frei erfundene Behauptung, und müssten angeblich keinen Ausweis haben, um Sozialleistungen zu erhalten, was größtenteils falsch ist.

Bürgergeld: Ukrainerinnen und Ukrainer müssen Unterlagen vorlegen – wie alle, die einen Antrag stellen 

Das Bürgergeld soll ein „menschenwürdiges Existenzminimum“ sichern und steht Menschen zu, die ein zu geringes Einkommen haben, erklärt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf seiner Webseite. Laut der Bundesagentur für Arbeit kann jede Person das Bürgergeld beantragen, die mindestens 15 Jahre alt, noch nicht im Rentenalter ist, in Deutschland wohnt, mindestens drei Stunden pro Tag arbeiten kann oder hilfsbedürftig ist, weil sie zu wenig verdient. Auch wer in einer Bedarfsgemeinschaft mit einer hilfsbedürftigen Person lebt, kann Bürgergeld beantragen.

Genauso wie alle anderen Menschen in Deutschland müssen ukrainische Geflüchtete Nachweise einreichen, um Bürgergeld zu erhalten. Christian Ludwig, Pressesprecher der Bundesagentur für Arbeit schreibt uns: „Nur wer erwerbsfähig ist und seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen decken kann und andere, vorrangige Leistungen (Arbeitslosengeld, Wohngeld, Kinderzuschlag, etc.) nicht ausreichend sind, erhält Bürgergeld. Ukrainerinnen und Ukrainer müssen ebenso wie alle anderen Antragstellerinnen und Antragsteller die notwendigen Unterlagen vorlegen, etwa zu Einkommen und Vermögen.“

Wie wir Ende Januar in einem Faktencheck erklärten, benötigen alle geflüchteten Menschen, die in Deutschland Sozialleistungen erhalten möchten, zudem eine Aufenthaltserlaubnis. Für die Beantragung der Aufenthaltserlaubnis wird laut Online-Portal des Bundesinnenministeriums ein „Nachweis über die Staatsangehörigkeit“ zum Beispiel in Form eines Reisepasses oder ein ukrainisches Personaldokument verlangt. Wer über kein Dokument verfügt, muss sich vor Ort an eine Ausländerbehörde wenden. Anders als in dem Tiktok-Video behauptet, erhalten Ukrainerinnen und Ukrainer also nur mit einer Überprüfung Bürgergeld.

Urlaub trotz Bürgergeld, ist das möglich?

Wer in Deutschland Bürgergeld bekommt, hat Anspruch auf die sogenannte „Ortsabwesenheit“, also darauf, sich nicht am eigenen Wohnort aufzuhalten beziehungsweise zu verreisen. Pro Kalenderjahr sind 21 Tage Ortsabwesenheit erlaubt.

Christian Ludwig schreibt, diese Regelung gelte auch für ukrainische Geflüchtete, sie sei unabhängig von der Staatsangehörigkeit aber „nur mit Zustimmung der persönlichen Ansprechpartnerin oder des persönlichen Ansprechpartners erlaubt“. Innerhalb dieser drei Wochen erhalten Bürgergeldberechtigte weiterhin ihre Leistungen. Mit einer Zustimmung können Personen auch mehr als drei, maximal jedoch sechs Wochen von ihrem Wohnort abwesend sein, allerdings entfällt für diesen Zeitraum laut Ludwig das Bürgergeld.

Diese Regelung soll laut der Webseite der Bundesagentur für Arbeit gewährleisten, dass Arbeitssuchende jederzeit für Bewerbungsgespräche oder andere Maßnahmen der Bundesagentur, wie Weiterbildungen, zur Verfügung stehen. Dafür müssten sie kurzfristig erreichbar sein.

Arbeiten in der Ukraine und gleichzeitig Bürgergeld beziehen, geht das?

Nicht alle Menschen, die Bürgergeld bekommen, sind arbeitslos. Manche verdienen durch ihre Arbeit so wenig, dass es nicht für ihren Lebensunterhalt reicht. Diesen geringen Verdienst können sie mit Hilfe des Bürgergelds aufstocken.

Wie viel ihres Gehalts dürfen Personen, die Bürgergeld beziehen, behalten?

Wie viel ihres Gehalts Geringverdienende neben dem Bürgergeld behalten dürfen, erklärt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf seiner Webseite. Dort heißt es, die ersten 100 Euro eines Erwerbseinkommens würden nicht auf das Bürgergeld angerechnet. Darüber hinaus gebe es weitere Freibeträge, um sicherzustellen, dass Personen, die arbeiten, auch ein höheres Haushaltseinkommen haben als nicht Erwerbstätige. Wer ein Bruttoeinkommen zwischen 100 und 1.000 Euro habe, dürfe davon 20 Prozent behalten: „Beispielsweise ergibt sich bei 900 Euro Bruttoeinkommen aus Erwerbstätigkeit ein Freibetrag von 100 Euro plus 160 Euro (20 Prozent von 800 Euro), also insgesamt 260 Euro. Dieser Betrag wird vom erzielten Nettoeinkommen abgezogen und damit nicht bei der Feststellung der Höhe des Bürgergeldes berücksichtigt“, rechnet das BMAS vor.

 

Christian Ludwig schreibt uns dazu, dass diese Regelung grundsätzlich auch für ukrainische Geflüchtete gelte, die einen Job in der Ukraine haben, sofern der ukrainische Arbeitgeber keine Betriebsstätte in Deutschland hat. Eine solche Konstellation sei jedoch recht unwahrscheinlich, denn wie oben erklärt, müssen Personen, die Bürgergeld beziehen, „ortsanwesend“ sein. Seien sie das nicht, schreibt der Pressesprecher der Bundesagentur für Arbeit weiter, würde das dem Jobcenter auffallen. Beispielsweise dadurch, dass die Menschen an vereinbarten „Aktivierungsmaßnahmen“ nicht teilnehmen, nicht zu Terminen im Jobcenter erscheinen oder ihre Post nicht zustellbar ist. Auch durch Ausländerbehörden, Vermieter oder „anonyme Anzeigen“ könne das Jobcenter erfahren, wenn Menschen sich nicht mehr in Deutschland befänden.

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Redigatur: Paulina Thom, Kimberly Nicolaus

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Informationsseite des BMAS „Fragen und Antworten zum Bürgergeld“: Link
  • Informationsseite des BMAS „Einkommen und Vermögen“: Link
  • Informationsseite der Bundesagentur für Arbeit „Bürgergeld: Voraussetzungen, Einkommen und Vermögen“: Link
  • Informationsseite der Bundesagentur für Arbeit „Ortsabwesenheit“: Link
  • Informationsseite der Bundesagentur für Arbeit „Einkommen mit Bürgergeld ergänzen“: Link
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Autor(en): CORRECTIV

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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