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Vorsicht vor irreführenden Beiträgen zum Verzehr von Insekten

Der Stoff Chitin kommt in zahlreichen Organismen vor. Zu finden ist er unter anderem im Panzer von Insekten, in Pilzen, Hefen oder Algen. Online behaupten User, Chitin aus Insekten könne vom menschlichen Darm nicht verarbeitet werden. Der Stoff verursache angeblich Krankheiten und sei nicht für Säugetiere geeignet. Obwohl einige Teile von Insekten tatsächlich nicht verdaubar sind, birgt deren Verzehr aber keine Gefahr, wie Expertinnen und Experten gegenüber AFP erklärten. Der Verzehr löse auch nicht Krankheiten wie Krebs aus.

Dutzende User haben die Beiträge zum Verzehr von Insekten auf Facebook geteilt. Auch auf Twitter werden die Behauptungen verbreitet.

Die Behauptung: In einigen der Beiträge wird ein Video geteilt, das zeigt, wie Forschende der Universität Gent in Belgien einen Kuchen aus Insekten und Würmern vorstellen. Dazu heißt es, das in den Insekten enthaltene Chitin könne nicht im Darm verarbeitet werden. Der Stoff sei eine Grundlage für Krebs, Parasiten, Pilze und andere Krankheiten.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 01.09.2022

Die Behauptung zum Verzehr von Insekten ist nicht neu. Bereits in der Vergangenheit wurde online das Gerücht geteilt, dass globale Eliten Menschen dazu zwingen wollten, Insekten zu essen. Organisationen wie das Weltwirtschaftsforum (WEF), regelmäßiges Ziel von Verschwörungstheorien, hatten im Februar 2022 Insekten als ein Mittel zur Bekämpfung des Klimawandels genannt, da ihre Produktion weniger Ressourcen verbrauchten als die anderer tierischer Lebensmittel wie Rinder. Insekten sind schon seit Tausenden von Jahren Teil der menschlichen Ernährung und werden noch immer von Milliarden von Menschen in verschiedenen Regionen weltweit verzehrt.

Das zu der Behauptung angehängte Video zeigt einen echten Bericht der singapurischen Tageszeitung „Straits Times“ aus dem Jahr 2020. Im Original heißt es, Forschende der Universität Gent in Belgien hätten versucht, die in Kuchen verwendete Butter mit Larven-Fett zu ersetzen.

Chitin ist ein sogenanntes Polysaccharid, auch Vielfachzucker oder polymerer Zucker genannt. Der Stoff kommt häufig in der Natur vor und ist Bestandteil des Panzers von Insekten, Krustentieren, Pilzen, Bakterien, Hefen und Algen. Nach der Cellulose, die vor allem in Pflanzen zu finden ist, ist Chitin das zweithäufigste Polysaccharid, das in der Natur vorkommt. Es kann als Düngemittel, Lebensmittelzusatzstoff und für medizinische Zwecke verwendet werden.

Nicht Ursache von Krankheiten

Pia Gödecke, Insektenexpertin am Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Westfalen, erklärte am 12. September 2022 gegenüber AFP, sie könne sich nicht vorstellen, dass das in Insekten enthaltene Chitin für die online beschriebenen Krankheiten wie Krebs und Pilze verantwortlich sei. Insekten seien eine gute Alternative zu Fleisch: „Es wird ja auch schon in vielen Ländern gegessen. Da müsste das längst aufgefallen sein.“ Vom Verzehr der Tiere müsse man aufgrund des Chitins nicht abraten, so Gödecke.

Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) beschrieb Chitin als Nahrungsergänzungsmittel bereits 2010 als sicheren Lebensmittelbestandteil. Die Europäische Kommission schreibt mit Stand von Februar 2022, in der Europäischen Union (EU) seien bereits drei Insekten als sogenanntes „Novel Food“ zugelassen, also Lebensmittel, die in der EU zuvor nicht in großen Mengen konsumiert wurden.

Aktuell zugelassen seien Hausgrillen, Mehlwürmer und Wanderheuschrecken. Diese seien auch sicher für den Verzehr: „Novel Foods können nur zugelassen werden, wenn sie kein Risiko für die menschliche Gesundheit darstellen, sonst wäre ihre Zulassung nicht von der Kommission an die Mitgliedstaaten übermittelt worden.“ Weitere neun Insektenarten würden aktuell auf ihre Sicherheit geprüft.

Im Sicherheitsbericht der in der EU zugelassenen Mehlwürmer heißt es, das in den Insekten enthaltene Chitin werde wohl nicht gänzlich vom Menschen verdaut, der Verzehr der Würmer berge aber keine Nachteile bei der Ernährung. Sicherheitsbedenken gebe es nicht. Auch die Berichte zu Heuschrecken und Hausgrillen kommen zum gleichen Ergebnis, lediglich auf allergische Reaktion solle Rücksicht genommen werden.

Auch die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) teilte auf AFP-Anfrage am 12. September mit: „Weder die Internationale Agentur für die Krebsforschung (IARC) noch der World Cancer Research Fund (WCRF) stufen den Verzehr von Insekten und Chitin als krebserregend ein. Eine erste Recherche in den Datenbanken PubMed und Embase nach wissenschaftlichen Studien zu Krebs und dem Chitin-Verzehr ergab keinen Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang.“

Verdauung von Chitin 

Mareike Janiak, Autorin einer Studie über Chitin abbauende Enzyme, die 2017 in der Fachzeitschrift Molecular Biology and Evolution veröffentlicht wurde, erklärte am 8. August 2022 gegenüber AFP, dass Chitin zwar nicht vollständig verdaulich sei, deshalb aber nicht unbedingt schädlich für den menschlichen Körper sei.

„Biologen dachten lange Zeit, dass Säugetiere kein Enzym produzieren, das Chitin abbauen kann, aber das bedeutet nicht, dass ein Insekt nicht vom Darm verarbeitet werden kann“, erläuterte sie.

Dabei verglich Janiak Chitin mit der Zellulose aus den Zellwänden vieler Pflanzen, für die der menschliche Körper ebenfalls kein Enzym besitzt, um diese abzubauen. „Wir essen nach wie vor Dinge wie Sellerie und sie sind gut für uns“, erklärte Janiak.

Auch wenn einige Teile des Gemüses nicht vollständig verdaut werden könnten, würden die darin enthaltenen unlöslichen Ballaststoffe dennoch zur Gesundheit beitragen: „Unser Darm extrahiert die Nährstoffe aus den Pflanzen und gibt die unverdaulichen Ballaststoffe weiter, die unseren Verdauungstrakt in Bewegung halten und für einen gesunden Stuhlgang sorgen. Ein Mangel an unlöslichen Ballaststoffen kann zum Beispiel zu Verstopfung führen.“

Janiaks Forschung ergab, dass Primaten (die biologische Ordnung der Säugetiere, zu der auch der Mensch gehört) sowie Mäuse und insektenfressende Fledermäuse ein bestimmtes Enzym zur Verdauung von Chitin verwenden.

„Lange Zeit dachte man, Chitin sei wie Zellulose für Säugetiere – eine unlösliche Faser, die durch den Darm geleitet wird, während Energie und Nährstoffe aus dem Rest des Insekts gewonnen werden.“ Die Entdeckung eines Chitinase-Enzyms bei Säugetieren, beispielsweise in den Mägen von Mäusen und Fledermäusen, habe dies jedoch infrage gestellt und deute stark darauf hin, dass einige Säugetiere tatsächlich Chitin verdauen könnten, erklärte Janiak.

„Der Mensch und viele andere Primaten haben ein funktionsfähiges Gen für dieses Enzym, sodass es möglich ist, dass wir tatsächlich Chitin in unserem Darm verarbeiten können. Aber selbst wenn wir es nicht könnten, würde es einfach durch unser System geschleust, genau wie die Zellulose in Sellerie und anderem Gemüse.“

In einer Literaturübersicht, die 2021 im „Journal of Functional Foods“ veröffentlicht wurde, heißt es zudem, Chitin bestehe zu 90,6 Prozent aus Ballaststoffen und „kann als funktioneller Lebensmittelbestandteil definiert werden, der Lebensmitteln besondere Vorteile bietet, beispielsweise einen Beitrag zur Darmgesundheit, zur Gesundheit der Herzkranzgefäße, zur Senkung des Cholesterinspiegels und vieles mehr“.

Säugetiere können Insekten verzehren

In dem Facebook-Beitrag heißt es weiter, Insekten würden „metamorphe Steroide, insbesondere Ecdysteron“ enthalten. Sie seien daher „kein Nahrungsmittel für Säugetiere“.

Die sogenannten Ecdysteroide sind eine Klasse von Steroidhormonen, die in wirbellosen Tieren mit einem Exoskelett wie beispielsweise Tausendfüßlern, Krebstieren und Insekten vorkommen. Sie regulieren deren Entwicklung, etwa Häutung und Fortpflanzung. Ecdysteron kann zudem als Leistungsförderer im Sport eingesetzt werden und hemmt das Wachstum von Brustkrebszellen.

Dominique Bureau, Professor an der Abteilung für Biowissenschaften der Universität von Guelph in Kanada, erklärte am 8. August 2022 gegenüber AFP, es sei irreführend, Ecdysteron zwangsläufig als schädlich zu bezeichnen. Praktisch alle tierischen Gewebe oder Lebensmittel würden „gewisse Mengen an Steroidhormonen enthalten“.

„Milch, Fleisch, Leber und so weiter enthalten alle Hormone. Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs, wie viele Ölsaaten und Hülsenfrüchte, enthalten Vorstufen von Steroidhormonen“, erklärte Bureau.

René Lafont, emeritierter Professor am Institut für Biologie Paris-Seine der Universität Sorbonne, erklärte ebenfalls am 10. August 2022 gegenüber AFP, dass diese Hormone in der Tat in kleinen Mengen in Insekten, aber auch in viel größeren Mengen in Pflanzen vorkämen. Darunter seien auch einige Pflanzen, die Menschen zu sich nehmen, wie Spinat und Quinoa. „Diese Verbindungen sind für den Menschen nicht giftig und haben sogar interessante anabole und antidiabetische Eigenschaften“, erklärte er.

Die Behauptung, Insekten seien für Säugetiere unverträglich, ist auch laut Mareike Janiak „kategorisch falsch“. Ameisenbären, Spitzmäuse und Gürteltiere seien Beispiele für Säugetiere, die sich von Insekten ernähren, einige von ihnen sogar fast ausschließlich, erklärte sie.

„Wichtig ist, dass viele Primaten Insekten fressen“, erläuterte Janiak. Kleine Affen wie Kapuzineräffchen, Totenkopfäffchen, Tamarine, aber auch Schimpansen würden diese beispielsweise verzehren.

Sicherheit beim Verzehr von Insekten

Eine im Januar 2020 in der Fachzeitschrift „NFS Journal“ veröffentlichte Studie konnte zeigen, dass die Nährstoffqualität von essbaren Insekten der „von tierischen Lebensmitteln gleichwertig ist und diese manchmal sogar übertrifft“.

„Dies und die Tatsache, dass essbare Insekten eine schnellere Wachstumsrate und eine höhere Effizienz bei der Nahrungsumwandlung haben und im Vergleich zu Nutztieren weniger Ressourcen für die Aufzucht benötigen, macht sie zu einer attraktiveren, qualitativ hochwertigen Nahrungsquelle, insbesondere für die arme Landbevölkerung in den Entwicklungsländern“, heißt es im Schlusswort der Arbeit. Während Insekten dort als sicher gelten, seien Verbraucher in Industrieländern oft misstrauisch.

„Die wissenschaftliche Literatur über Aspekte der Lebensmittelsicherheit von essbaren Insekten ist begrenzt“, heißt es weiter. Es müsse daher weiter geforscht werden, um die mit dem Verzehr von Insekten verbundenen Risiken zu verstehen und die Gesundheit der Verbraucher zu schützen.

Grafik zu essbaren Insekten, die weltweit verzehrt werden.

In einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) heißt es allerdings auch, dass bei der Erzeugung und dem Verzehr von essbaren Insekten Anstrengungen zur Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit unternommen werden müssten. So sollten allergene, biologische, chemische oder physikalische Gefahren vermieden werden.

Weiter heißt es, dass die Risiken höher sein könnten, wenn die Insekten in freier Wildbahn geerntet und roh verzehrt werden und dass Menschen, die allergisch auf Schalentiere reagieren, einige von ihnen nicht verzehren sollten. Dass Chitin aus Insekten angeblich Krankheiten auslösen könne, wird in dem Bericht nicht erwähnt.

In einem Artikel des Michelin-Führers wird zudem empfohlen, sich über die Herkunft der Insekten zu informieren und sie vor dem Verzehr gründlich zu kochen, wie bei vielen anderen Lebensmittelzutaten auch.

Fazit: Der Verzehr von Insekten ist bei Beachtung von Regeln zur Lebensmittelsicherheit nicht gefährlich. Menschen weltweit nutzen die Tiere bereits seit tausenden Jahren als verträgliches Nahrungsmittel. Das in Insektenpanzern enthaltene Chitin ist zwar nicht vollständig verdaulich, die darin enthaltenen Ballaststoffe tragen aber zur Gesundheit bei und halten die Verdauung in Bewegung. Die genannten Steroidhormone sind laut Expertinnen und Experten nicht gefährlich und kommen in zahlreichen tierischen Lebensmitteln vor.

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Wissenschaft, Verbraucher, Gesundheit

Autor(en): Saladin SALEM, AFP Deutschland, AFP Kanada

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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