Warum die Kosten für den Einsatz in Lützerath noch nicht feststehen

Fünf Tage lang wurde Lützerath, ein Dorf in Nordrhein-Westfalen, geräumt. Protestierende hatten es besetzt, um zu verhindern, dass dort Braunkohle abgebaut wird. Tausende Kräfte aus mehreren Bundesländern und des Bundes waren im Einsatz. Am Abend des 15. Januars war die Räumung so gut wie abgeschlossen – schneller als gedacht, denn eigentlich hatte die Polizei mit einem wochenlangen Einsatz gerechnet.

Schon am 18. Januar kam auf Facebook die Behauptung auf, der Polizeieinsatz in Lützerath habe 25 Millionen Euro gekostet. Sie wurde seither über 4.000 Mal geteilt. Doch woher diese Zahl von 25 Millionen kommt, ist unklar. Auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck nannten weder Polizei, noch Ministerien oder das Land NRW eine Summe. Zahlen zu anderen Großeinsätzen in der Vergangenheit bewegen sich teils in Millionenhöhe, sind aber schwer zu vergleichen.

In einem Facebook-Posting wird behauptet, die Räumung von Lützerath habe 25 Millionen Euro gekostet. Dafür hätte man im Ahrtal so manche Schule oder so manchen Kindergarten wieder in Schuss bringen können. Ideologie scheine größer als Menschlichkeit. Danke Ampel.
Diese Behauptung über die Kosten der Räumung Lützeraths wird vielfach auf Facebook geteilt. Wo die Zahl von 25 Millionen Euro herkommt, ist unklar. (Quelle: Facebook; Screenshot / Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)


Innenministerium Nordrhein-Westfalen: Zahlen erst im Folgejahr

Online ist auf Frag den Staat bereits eine Anfrage vom 13. Januar 2023 an die Kreispolizeibehörde Heinsberg – Lützerath liegt im Kreis Heinsberg – nach den Kosten des Einsatzes abrufbar. Die Antwort gibt aber keinen Aufschluss über die entstandenen Kosten.

Auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck verweist die Kreispolizeibehörde Heinsberg auf die Polizeistelle Aachen. Diese war, wie in einem Sachstandsbericht von NRWs Innenminister Herbert Reul vom 17. Januar (PDF) zu lesen ist, für alle „erforderlichen polizeilichen sowie die versammlungsrechtlichen Maßnahmen“ unter anderem im Kreis Heinsberg zuständig. Von der Polizeistelle Aachen meldet sich Hauptkommissar Andreas Müller. Er schreibt, derartige Fragen seien dem Innenministerium NRW und dem Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW zu stellen. Zweiteres verweist, ebenso wie das Land NRW, an das Innenministerium NRW. Das Bundesinnenministerium bittet ebenfalls, in NRW nachzufragen.

Aus dem Innenministerium NRW schreibt ein Sprecher, die Kosten würden noch nicht feststehen. Das liege etwa daran, dass die Gesamtanzahl der geleisteten Arbeitsstunden noch nicht vorliege und erst im Folgejahr erhoben würde. Ob 25 Millionen Euro Kosten eine realistische Höhe seien, könne er nicht beurteilen, denn der Einsatz sei aufgrund seiner „Komplexität“ nicht mit anderen Einsätzen vergleichbar.

Polizeikräfte aus mehreren Bundesländern waren in Lützerath im Einsatz – Kosten lassen sich demnach schwer abschätzen

Die Schätzung und Abrechnung der Gesamtkosten für den Einsatz ist auch deshalb kompliziert, weil Polizeikräfte aus verschiedenen Bundesländern und auch vom Bund an der Räumung von Lützerath beteiligt waren. In dem NRW-Sachstandsbericht (Seite 8) heißt es, es seien „in der Spitze bis zu drei Bereitschaftspolizeiabteilungen, 15 Bereitschaftspolizeihundertschaften], zwei Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaften und weitere technische Fachkräfte eingesetzt worden. Die Kosten dafür muss NRW mit den anderen Ländern und dem Bund abrechnen.

Laut einem Medienbericht der Wirtschaftswoche von 2018, der sich auf die Gewerkschaft der Polizei beruft, umfasst eine Hundertschaft etwa 130 Polizeikräfte und kostet pro Tag etwa 100.000 Euro. Zu Spitzenzeiten seien in Lützerath, so steht es im Sachstandsbericht, 3.700 Polizeikräfte eingesetzt worden – das wären nach diesen Zahlen etwa 28 Hundertschaften und damit 2,8 Millionen Euro am Tag.

Doch so pauschal berechnen könne man das nicht, heißt es von öffentlicher Stelle. Aus dem Innenministerium NRW schreibt uns ein Sprecher: „Eine seriöse Aussage über Kosten des Einsatzes einer Bereitschaftspolizeihundertschaft lässt sich nicht pauschalisiert tätigen.“

Ein Sprecher des Bundesinnenministerium schreibt, dass Länder und Bund für derartige Fälle eine „gesonderte Verwaltungsvereinbarung über vereinfachte Regelungen und einheitliche Pauschalen für die Abrechnung von Unterstützungseinsätze“ abgeschlossen hätten. Erstattet würden jedoch nur „Mehraufwendungen“, etwa gefahrene Kilometer, Überstunden und Verpflegung. Nicht erstattet würden Kosten, die auch so angefallen wären, etwa „Besoldungszahlungen“, also das, was in anderen Dienstverhältnissen ein Gehalt ist. Die Mehrkosten hingen von den „jeweiligen konkreten Einsatzumständen“ ab.

Auch ein Sprecher des Bundesvorstands der Gewerkschaft der Polizei bestätigt die pauschale Summe von 100.000 Euro pro Tag und Hundertschaft auf Nachfrage nicht. Er schreibt uns: „Ein recht seriöser Kostenansatz liegt bei 90 Euro pro Stunde pro eingesetztem Beamten inklusive aller technischen Kosten (Ausrüstung bis hin zu Wasserwerfern etc.)“. Das lässt sich aber nicht einfach auf einen regulären Arbeitstag hochrechnen. Denn: „Bei Großeinsätzen kommt es oft zu Überstunden, klassische Schichtpläne existieren nicht selten nur auf dem Papier“, schreibt der Sprecher. Außerdem käme zu diesen Ausgaben noch ein Betrag für Unterbringungen dazu.

Von alledem abgesehen werden einige Kosten auch anderweitig übernommen. RWE, der Energiekonzern, dem das ehemals besetzte Gelände gehört, hatte ebenfalls Ausgaben bei der Räumung. Wie in dem Sachstandsbericht nachzulesen ist, „ertüchtigte“ der Konzern das Gelände für die Räumung, etwa durch Wege und Rampen. Eine Anfrage von uns, wie viel RWE dafür ausgab, wurde nicht beantwortet.

Dreiwöchige Räumung des Hambacher Forsts kostete laut Grünen-Politiker 50 Millionen Euro

Einige Tage bevor die Zahl von 25 Millionen Euro in den Facebook-Beiträgen genannt wurde – unter anderem vom AfD-Kreisverband Mönchen-Gladbach – schrieb Andreas Keith von der AfD-Fraktion NRW in einem Facebook-Beitrag: „Wie immer wird niemand verantwortlich sein und die geschätzten Kosten von ca. 20 Millionen zahlen wir alle.“

Auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck, wie er auf diese Summe kam, nennt Keith mehrere Quellen, darunter Gespräche mit Beteiligten vor Ort und mit „Experten aus dem Sicherheitsbereich“ sowie seine „eigene Wahrnehmung“. Er schickt auch einen Artikel der Bild, in dem es heißt, schon bis zum 13. Januar seien Kosten von zehn Millionen Euro entstanden. Dabei berief sich Bild auf „Stundensätze der Einsatzkräfte“. Wie diese Rechnung zustande kommt, ist aber unklar, eine Anfrage von uns an die Bild blieb bislang unbeantwortet. Keith schreibt in einer Mail an uns dazu noch: „Wobei mehr Polizeibeamte im Einsatz waren als bei der Berechnung angenommen.“

Er verweist auch darauf, dass die Räumung des Hambacher Forsts im Jahr 2018 laut Medienberichten 50 Millionen Euro gekostet habe. Diese Summe nannte unter anderem der Grünen-Politiker Oliver Krischer, laut taz wurde sie zumindest von öffentlicher Stelle nicht dementiert. Der damalige Einsatz dauerte drei Wochen lang, laut Süddeutscher Zeitung waren insgesamt 31.000 Einsatzkräfte im Einsatz.

Auch der Bund Deutscher Steuerzahler, der nach eigenen Angaben die Öffentlichkeit über Steuerausgaben informiert, hat zu dem Einsatz in Lützerath keine Zahlen vorliegen, schreibt Bärbel Hildebrand, Leiterin der Pressestelle des Landesverbands NRW. Sie verweist für einen Vergleichswert aber auf eine Kleine Anfrage der Grünen an den Deutschen Bundestag aus dem Jahr 2018. Daraus geht hervor, dass der Bund für Fußballspiele der Bundesliga und anderer Wettbewerbe pro Saison in den Jahren 2012 bis 2027 jeweils mehr als 20 Millionen Euro für die Überwachung durch die Bundespolizei ausgab. Für die 1. Bundesliga 2016/17, so geht aus der Antwort hervor, entstanden den Bereitschaftspolizei-Einheiten des Bundes und der Länder fast 750.000 Arbeitsstunden.

Die AfD hat am 26. Januar ebenfalls eine Kleine Anfrage (PDF) an den Landtag NRW gestellt. Sie will darin unter anderem wissen, welche Kosten bei der Räumung und im Vorfeld der Räumung entstanden sind. Die Anfrage wurde noch nicht beantwortet, als dieser Faktencheck erschien.

Redigatur: Matthias Bau, Sophie Timmermann

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Autor(en): CORRECTIV

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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