WM 2022: Warum die Anzahl der Toten auf den Baustellen in Katar schwer zu beziffern ist - Featured image

WM 2022: Warum die Anzahl der Toten auf den Baustellen in Katar schwer zu beziffern ist

Katar wurde für die Arbeitsbedingungen der Arbeitenden kritisiert, die für den Aufbau der benötigten Infrastruktur für die Fußball-Weltmeisterschaft ins Land gekommen waren. Katars Antwort auf die Kritik ist die Aussage, dass auf den Baustellen zwischen 2015 und 2021 lediglich drei Arbeitende bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen seien. Aber da ist eine andere Zahl, die regelmäßig im öffentlichen Diskurs auftaucht: die der 6500 Toten, die aber auch Todesfälle ohne direkten Bezug zu den Bauarbeiten beinhaltet.Die genaue Zahl der eingewanderten Arbeiterinnen und Arbeiter, die bei einem Arbeitsunfall im WM-Umfeld ums Leben kamen, ist sehr schwer zu bestimmen. Laut Einschätzung verschiedener Spezialistinnen und Spezialisten bewegt sich die Größenordnung im Bereich der „Tausenden Toten“.

Wie viele Gastarbeiter haben in Katar ihr Leben verloren, seit das Emirat vor gut zehn Jahren mit dem Aufbau der erforderlichen Infrastruktur für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 begonnen hatte?

Diese bohrende Frage verfolgt den Golfstaat. Mehrere Medien, von den US-amerikanischen Tageszeitungen „Washington Post“ und „New York Times“ über die französische Internetzeitung „Mediapart“, die Tageszeitung Süddeutsche und Nichtregierungsorganisationen wie „Human Rights Watch“, haben in den vergangenen Jahren die extremen Arbeitsbedingungen der Arbeitenden kritisiert, die vorwiegend aus Ländern Asiens und Afrikas stammen.

Die Frage zog vehemente Dementi der katarischen Behörden nach sich. Darin ist die Rede von Verleumdungen, Rassismus und drohenden gerichtlichen Verfahren. Das WM-Organisationskomitee betonte „unermüdlich daran gearbeitet zu haben, die Einhaltung der Rechte jedes Arbeiters zu gewährleisten, der an den Projekten der Fußball-Weltmeisterschaft beteiligt ist“ und versicherte, dass „bedeutende Fortschritte“ in den Bereichen Unterbringung, Gesundheit und Sicherheit gemacht wurden.

Die wichtigsten Berechnungen zu diesem Thema unterscheiden sich teils deutlich. Das liegt an fehlenden Angaben, was ein genaues Beziffern dieser makabren Bilanz erschwert. Das betonte auch Quentin Müller gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Er ist freier Journalist, spezialisiert auf die arabische Halbinsel und Mitautor eines Buches zum Thema und sagte: „Selbst die Internationale Arbeitsorganisation (IAO), die Hand in Hand mit Katar zusammenarbeitet, hat anerkannt, dass es sehr schwierig war, aussagekräftige Statistiken zu den Arbeitsunfällen auf den Baustellen zu erhalten.“

Zwei Zahlen werden unterdessen in der öffentlichen Debatte immer wieder genannt: Die 6500 ausländischen Staatsangehörigen, die laut „The Guardian“ zwischen 2010 und 2021 in Katar gestorben sind und die drei Arbeiter, die laut oberstem Organisationskomitee der WM auf Baustellen ums Leben gekommen sind. Beide Zahlen verlangen jedoch eine differenzierte Betrachtung.

AFP Foto zeigt Arbeiter im Khalifa-Stadion in Doha am 18. November 2018.

Diametral entgegengesetzte Zahlen

Die Tageszeitung „The Guardian“ stützt ihre Rechnung in einem Artikel vom Februar 2021 auf die Anzahl der Staatsangehörigen Indiens, Nepals, Bangladeschs und Sri Lankas, die zwischen 2011 und 2020 sowie die Anzahl der Staatsangehörigen Pakistans, die zwischen 2010 und 2020 in Katar verstorben waren. Die Daten waren von Gesundheitsbehörden in Katar sowie von verschiedenen Institutionen in diesen fünf Ländern, hauptsächlich ihren Botschaftern vor Ort, gesammelt worden.

„Die Gesamtzahl der Toten ist viel höher, da diese Zahlen nicht die Todesfälle mehrerer Länder umfassen, die Katar wichtige Arbeitskräfte zur Verfügung stellen, darunter die Philippinen und Kenia“, heißt es im Artikel. Einwanderer stellen mehr als 80 Prozent der 2,8 Millionen Einwohner Katars.

In diese 6571 Tote zählen alle Staatsangehörigen Indiens, Nepals, Bangladeschs, Sri Lankas und Pakistans hinein, die in diesem Zeitraum in Katar gestorben sind. Es handelt sich dabei nicht um die spezifische Anzahl der Arbeiter, die auf den Baustellen gestorben sind. „Diese Sterblichkeitszahlen sind allgemein: eEin Sri Lanker, der auf der Straße von einem Auto überfahren wurde, kann auch dazu zählen“, sagte Quentin Müller.

Das WM-Organisationskomitee veröffentlicht seinerseits seit 2015 einen jährlichen Bericht zur „Gesundheit der Arbeiter“. Nach dieser Zählung sollen drei Arbeiter bei Arbeitsunfällen auf WM-Baustellen, ums Leben gekommen sein: Zwei am Al-Janoub-Stadion im Oktober 2016 und August 2018 und ein dritter am Khalifa-Stadion im Januar 2017.

Zwar zählen die Berichte 37 weitere Todesfälle zwischen April 2015 und Dezember 2021, doch werden alle diese Sterbefälle als „nicht arbeitsbedingte Todesfälle“ kategorisiert.

Sie betreffen in der Regel Arbeiter, die tot in ihrer Unterkunft aufgefunden worden waren oder im Krankenhaus infolge eines gesundheitlichen Problems gestorben waren, das außerhalb der Arbeitszeiten aufgetreten ist.

Diese Liste schließt jedoch auch Todesfälle innerhalb der Stadien ein, ohne sie als arbeitsbedingte Todesfälle zu zählen. Ein Beispiel ist der Fall vom 27. April 2016, bei dem ein „48-jähriger Inder im Spielertunnel einer der im Bau befindlichen Anlagen bei Stahlarbeiten zusammengebrochen ist“, um danach im Krankenhaus an einem „Herzstillstand, ausgelöst durch schwere Atemnot“ zu versterben.

Screenshot des Berichts des WM-Organisationskomitees zur „Arbeitergesundheit“ im Zeitraum Januar bis Dezember 2021 (Seite 41). Erstellt am 22. November 2022

Todesfälle durch „natürliche Ursachen“

Eine Ursache, die in diesen Berichten zu nicht arbeitsbedingten Todesfällen sehr häufig erwähnt wird und sich als problematisch erweist, ist ebenjener “Herzstillstand, ausgelöst durch schwere Atemnot”, wie Lola Schulmann, Menschenrechtsaktivistin bei Amnesty International France betonte: „Nach unseren damaligen Beobachtungen enthielten 18 der 33 erfassten Todesfälle keinerlei Informationen zur Todesursache. Stattdessen fand sich die Erwähnung eines Problems mit der Atmung oder eine ’natürliche Ursache‘, was deutlich zeigt, dass es keine von den Behörden angemessen durchgeführte Untersuchung gibt, um die Todesursachen und damit den potenziellen Zusammenhang zwischen den Arbeitsbedingungen und diesen Todesfällen zu ermitteln.“

Wie David Bailey, Pathologe und Mitglied der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einem Bericht von Amnesty International vom August 2021 anmerkte, sollten derartige Vermerke „auf einem Totenschein nicht ohne zusätzliche Erklärung der zugrundeliegenden Ursache stehen. Jeder stirbt am Ende an Atem- oder Herzversagen und diese Formulierungen haben ohne zusätzliche Informationen keinerlei Bedeutung. ‚Natürliche Ursache‘ ist keine ausreichende Erklärung“, wies er kritisch hin.

Er erinnerte an das „Risiko, das extreme Hitze und Feuchtigkeit für die Arbeiter darstellen“. Eine Studie der Fachzeitschrift „Cardiology“ aus dem Juni 2019 wies ebenfalls auf den starken Zusammenhang zwischen den hohen Temperaturen des Landes und den Herz-Kreislauf-Erkrankungen nepalesischer Arbeiter hin, die wahrscheinlich auf erheblichen Hitzestress zurückgingen.

Im Bericht kritisierte Amnesty International überdies, dass Katar die Anzahl von Untersuchungen nicht liefern konnte, die an ab 2010 verstorbenen Gastarbeitern vorgenommen wurden. Katar begründete das damit, sich verschiedenen Hindernissen gegenüber gesehen zu haben, darunter dem Widerspruch mancher Familien von Vermissten, die sich aus „kulturellen Gründen“ gegen eine Autopsie entschieden hätten. „Allerdings wurde keiner der Familien, mit denen Amnesty gesprochen hat, eine Autopsie ihrer Angehörigen angeboten, um die Todesursache zu ermitteln“, schränkte die NGO ein.

Das bleibt nicht ohne Folgen für die Angehörigen, wie Lola Schulmann betonte: „In dem Moment, in dem keine Verantwortung festgestellt wird, gibt es auch keine Entschädigung für die Familien. Manche sind sogar gezwungen, sich für die Überführung des Leichnams ihres Angehörigen zu verschulden.“

„Unbekannte Ursache“ und „Herz-Kreislauf-Erkrankungen“

Diese Ungenauigkeit der Todesursachen findet sich allgemein in den offiziellen Statistiken Katars über die jährlichen Todesfälle, die im Land gezählt werden. Während die Zahl der Migranten, die an einer „unbekannten Ursache“ gestorben sind, seit 2016 drastisch gesunken ist, ist parallel dazu die Zahl der Todesfälle durch „Herz-Kreislauf-Erkrankungen“ stark angestiegen. Das stellt Vital Signs, ein Zusammenschluss von NGOs, die sich für die Rechte von Migranten einsetzen, in einem Bericht vom März 2022 fest.

„2015 waren 376 Nicht-Katarer jeden Alters unter den Todesfällen mit unbekannter Ursache gelistet. Diese Zahl ist 2016 auf 82 gesunken. Im Gegensatz dazu ist die Zahl an Todesfällen durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen von 221 im Jahr 2015 auf 464 im Jahr 2016 gestiegen“, führt das Dokument aus, um anschließend hinzuzufügen: „Sofern die Behörden in Katar ihre Art und Weise, den Tod von Migranten zu untersuchen, nicht erheblich geändert haben – und nichts deutet darauf hin – scheint es wahrscheinlich, dass die wachsende Zahl von Gastarbeitenden, die als Todesfälle aufgrund von ‚Herz-Kreislauf-Erkrankungen‘ kategorisiert wurden, die Tatsache verschleiert, dass die Todesursache in den meisten Fällen unbekannt blieb.“

Der „Guardian“ stellte seinerseits fest, dass 69 Prozent der Todesfälle von Indern, Nepalesen und Bangladeschern, die in seiner Untersuchung aufgelistet waren, auf eine natürliche Ursache zurückgeführt waren.

AFP Foto zeigt Bauarbeiter auf einem Gerüst des Khalifa-Stadions in Doha am 18. November 2018.

50 Tote und 500 schwere Arbeitsverletzungen im Jahr 2020, laut IAO

Die Internationale Arbeitsorganisation hat im Jahr 2021 eine Bilanz veröffentlicht, die für das Jahr 2020 50 Todesfälle und 500 schwere Verletzungen von Arbeitern im Rahmen der Arbeit erfasst. Die Mehrheit der Opfer stamme „aus Bangladesch, Indien und Nepal und arbeitete hauptsächlich im Baugewerbe, wo „Abstürze aus der Höhe und Straßenverkehrsunfälle die Hauptursachen für schwere Verletzungen sind, gefolgt von herabfallenden Gegenständen auf Baustellen.“

Diese Zahlen relativiert die IAO selbst in ihrem Bericht und weist auf die „Lücken bei der Erhebung dieser Daten und Unterschiede in der Art und Weise, wie die Ministerien und Institutionen arbeitsbedingte Verletzungen und Todesfälle kategorisieren“ hin. Daher sei es „immer noch nicht möglich, eine klare Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle im Land zu präsentieren“. Zum Höhepunkt der Bauarbeiten geht die IAO von rund 32.000 Arbeitern aus, was weniger als 2 Prozent der gesamten Arbeitskraft des Landes entspreche. Diese Argumentation teilen auch die Behördenvon Katar, deren Statistiken sich auf die Arbeiter konzentrieren, die in den acht WM-Stadien eingesetzt waren. Sieben wurden aus dem Nichts errichtet, ein achtes wurde anlässlich der Weltmeisterschaft renoviert.

Es gibt allerdings auch andere Berechnungsansätze. Die IAO nennt die Möglichkeit, die Zahlen aller Infrastrukturprojekte einzubeziehen, die in Verbindung mit der WM stehen. Das ergebe ein treffenderes Gesamtbild, meinte Quentin Müller: „Die Stadien sind längst nicht die einzigen Baustellen, die für die WM entstanden sind. Man kann auch die Vergrößerung des Flughafens nennen oder den Bau der U-Bahn.“

AFP Foto zeigt eine Straße in Doha, der Hauptstadt Katars, am 3. September 2019.

Schwierige Arbeitsbedingungen

„Wir müssen aufhören, davon auszugehen, dass die U-Bahn, Hotels und so weiter nicht für die WM gebaut wurden, so wie Katar es tut“, sagte Marie-Laure Guislain gegenüber AFP. Sie arbeitete 2015 und 2018 mit der Vereinigung Sherpa an Klagen gegen die Vinci-Gruppe, die große Teile der Infrastruktur für die Fußball-Weltmeisterschaft baute.

Am 9. November 2022 hatte die französische Justiz ein Verfahren gegen eine Konzerntochter der französischen Gruppe BTP Vinci eingeleitet. Grundlage war eine Untersuchung der Arbeitsbedingungen auf bestimmten Baustellen, die mit der WM in Katar in Zusammenhang stehen.

Ein Untersuchungsrichter in Nanterre hatte gegen Vinci Constructions Grands Projets (VCGP) Anklage erhoben. Die Anklagepunkte: Arbeitsbedingungen und Unterbringung, die nicht mit der Menschenwürde vereinbar sind, Erlangung von Dienstleistungen einer Person in einer schutzbedürftigen oder abhängigen Lage mit einer nicht verhältnismäßigen Entlohnung und Herabsetzung in Knechtschaft.

Im Rahmen ihrer Untersuchung in Katar im Jahr 2014 war es Guislain möglich, die Baustellen zu betreten und Aussagen von Arbeitern einzuholen. Dort schloss sie sich auch einer Delegation des Gewerkschaftsbundes Bau- und Holzarbeiter Internationale (BHI) an. Marie-Laure Guislain erzählte von ihren Begegnungen: „Wir waren bei Botschaften, die uns – ohne es so zu formulieren – gesagt haben, dass es sie schmerzt, quasi zu Bestattern zu werden. Weil sie die Leichname junger Menschen in ihre Heimatländer rückführen müssen.“

Weiter sagte Guislain: „Ich habe Arbeiter gesehen, die ihr Frühstück in der Sonne eingenommen haben. Sie waren täglich drei Stunden von ihrer Unterkunft zu den Baustellen unterwegs, standen um 4.30 Uhr auf und kehrten nach 19 Uhr zu ihrer Unterkunft zurück.“ Dazu kämen Bedingungen die es beinahe unmöglich machten, sich auszuruhen: Sie seien oft zu acht in einem Zimmer gewesen, auf Stockbetten und unter Unterbringungsbedingungen, die mit der Menschenwürde unvereinbar und  den katarischen Standards unvereinbar gewesen wären. „Die Arbeiter haben uns anvertraut, dass sie Angst hätten, so wie ihre Kollegen zu enden, die ‚um sie herum umfielen‘ und nicht wussten, warum“, fährt Guislain fort.

Marie-Laure Guislain mahnte, dass Maßnahmen zur Sicherheit der Arbeiter ergriffen worden hätten können:  „Das Minimum wären Pausen im Schatten. Vorrichtungen, die Schatten spenden, damit die Arbeiter nicht in der prallen Sonne arbeiten. Anständige Unterkünfte, die nicht anderthalb Stunden von der Baustelle entfernt sind und diesen Namen verdienen. Ausreichender Zugang zu Wasser und Ärzten. Die Möglichkeit, sich bei den Unternehmen zu beschweren. Und grundlegende Freiheitsrechte, die eingehalten werden.“

Nichtberücksichtigung von Todesfällen in den Herkunftsländern der Arbeiter

Für Quentin Müller hat die vom „Guardian“ genannte Zahl von 6500 Toten zwar „das Verdienst, ein Bewusstsein zu schaffen“, sie bleibt aber in seinen Augen weit unter der tatsächlichen Zahl zurück. Zusätzliche Daten würden darin nicht berücksichtigt, insbesondere die Todesfälle der Arbeiter nach ihrer Rückkehr in die Heimat. Besonders in Nepal litten viele an Nierenerkrankungen.

In einem Artikel des amerikanischen Nachrichtenmagazins „Times Magazine“ schätzt der Nierenspezialist Rishi Kumar Kafle vom Nationalen Nieren-Zentrum in Nepals Hauptstadt Kathmandu, dass Arbeiter, die in die Golfstaaten ausgewandert waren, 10 Prozent seiner derzeitigen Patienten ausmachten.

„Diese jungen Männer leiden weder an Diabetes noch an Bluthochdruck. Sie sind bei guter Gesundheit. Und dann entwickeln sie plötzlich ein Nierenversagen, was bedeutet, dass es in diesen Ländern etwas gibt, das einige dieser jungen Männer krank macht“, sagte der Facharzt und nannte dabei zahlreiche mögliche Ursachen, darunter ständige Dehydrierung, übermäßiger Konsum von Schmerzmitteln oder auch Hitze.

Der Journalist Quentin Müller ist daher der Ansicht, dass die repräsentativste Zahl der in Katar verstorbenen Gastarbeiter eher in der Zahl der „asiatischen Arbeiter, die jedes Jahr in den Golfstaaten verschwinden“ zu suchen ist.

Das NGO-Bündnis Vital Signs schätzt in seinem Bericht vom März 2022, dass „bis zu 10 000 Gastarbeiter aus Südasien und Südostasien“ jedes Jahr in dieser Erdregion sterben und die Todesursache in mehr als jedem zweiten Fall „ungeklärt bleibt“.

AFP Foto zeigt das Khalifa-Stadion in Doha, 18. November 2018

Eine neue Gesetzgebung, die „nicht weit genug geht“

„Zwischen den offiziellen Zahlen aus Katar und dem, was wir bei unseren Ermittlungen vor Ort und unseren Recherchen festgestellt haben, liegen Welten“, meinte Lola Schulmann von Amnesty International Frankreich, die ihrerseits von einer Größenordnung von „Tausenden von Toten“ spricht.

Ein Regierungsbeamter aus Katar verteidigte hingegen gegenüber AFP die „breite Palette an Maßnahmen“, die ergriffen wurden, um „das Leben aller Arbeiter im Land zu verbessern“. Er meinte, dass „niemand mit Recht bestreiten kann, dass die Weltmeisterschaft den Fortschritt in unserem Land beschleunigt hat“, auch wenn „noch Arbeit zu erledigen“ sei.

Amnesty International erkennt zwar, wie die IAO, die Fortschritte an, die Katar kürzlich im Bereich des Arbeitsrechts gemacht hat: das Ende des Systems, in dem Arbeitnehmende die Erlaubnis des Arbeitgebers einholen mussten, um ihren Arbeitsplatz zu wechseln sowie die Einführung von Maßnahmen zur weiteren Einschränkung der Sommerarbeitszeit und einer Temperaturgrenze, die jegliche Arbeit verbietet. Dennoch hält die Menschenrechtsorganisation diese Fortschritte noch für unzureichend.

„Nach unserem Ermessen geht die neue Gesetzgebung zur Arbeit bei starker Hitze nicht weit genug, vor allem bei der Frage nach benötigten Pausen. Noch ist es an den Arbeitern, ihre Vorgesetzten nach einer Pause zu fragen, obwohl die Pause obligatorisch sein sollte und nicht zu Lasten des Arbeitnehmers gehen darf“, so Lola Schulmann von Amnesty.

Die IAO unterstreicht: „Viele Arbeitnehmer stoßen weiterhin auf Schwierigkeiten, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlassen und einen neuen Job finden wollen. Dazu gehören Vergeltungsmaßnahmen seitens des Arbeitgebers, der beispielsweise die Aufenthaltsgenehmigung aufheben oder falsche Anschuldigungen wegen ‚Flucht‘ gegen sie vorbringen kann.“

„Das katarische Recht muss für die Menschenrechtsverletzungen der Unternehmen herhalten. Sie sind die ersten, die von diesem modernen Sklavereisystem profitieren. Wenn die Gesetze so angepasst würden, dass die multinationalen Konzerne auch im Ausland die Menschenrechte einhalten müssten und damit Präzedenzurteile gesprochen würden, könnte man ein neues Desaster für Mensch und Umwelt verhindern”, schloss Marie-Laure Guislain.

Fact Checker Logo

Wirtschaft, Sport

Autor(en): Alexis ORSINI, AFP Frankreich, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

Nach oben scrollen