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Studie liefert keinen Beweis zu Ursachen von Krebsfällen

Wie in Deutschland haben in Japan mehr als drei Viertel der Bevölkerung mindestens eine Impfung gegen das Coronavirus empfangen. Impfgegner rennen dagegen seit Jahren mit allen möglichen, oft widerlegten Argumenten an. Neuerdings verbreiten Nutzer sozialer Netzwerke, eine japanische Studie habe nachgewiesen, dass die Zahl der Krebsfälle wegen der Corona-Impfung mit mRNA-Impfstoff explosionsartig zugenommen habe. Japan habe deshalb den Notstand ausgerufen. Stimmt das?

Bewertung

Nein. Weder hat Japan den Notstand ausgerufen, noch liefert die genannte Untersuchung einen Beweis für eine Zunahme von Krebserkrankungen aufgrund von mRNA-Impfstoffen.

Fakten

Verschiedene deutschsprachige Posts berufen sich auf einen Blogeintrag, der wiederum auf einem Beitrag von The People’s Voice fußt. Das sollte schon misstrauisch machen: The People’s Voice verbreitet regelmäßig Desinformationen.

Tatsächlich ist wenig bis nichts dran an der Behauptung, Japan habe wegen eines Anstiegs «aggressiver Formen von Turbokrebs» aufgrund von mRNA-Impfstoffen den «nationalen Notstand ausgerufen».

Erstens: Die Regierung in Tokio hat keinen nationalen Notstand ausgerufen. Es gibt keine derartige Erklärung, es gibt keine entsprechende Mitteilung auf regierungsamtlichen Webseiten und es gibt auch keine Berichterstattung über den behaupteten Notstand in japanischen Medien. Der angebliche «Notstand» ist einfach erfunden.

Wegen der Covid-19-Pandemie hatte die japanische Regierung hingegen vor vier Jahren – am 7. April 2020 – für Tokio und eine Reihe anderer Präfekturen (Regionen) den Notstand ausgerufen. Er galt später für das gesamte Land und wurde Ende September 2021 für ganz Japan wieder aufgehoben, auch wegen der Erfolge der Impfkampagne.

Studie mit beschränkter Aussagekraft

Zweitens: Der Autor der zitierten Studie hat die Aussagekraft seiner eigenen Untersuchung bereits stark eingeschränkt: «Diese Studie wurde anhand von deskriptiven Statistiken aus öffentlichen Quellen durchgeführt und ist nicht klinisch validiert worden. Es sind weitere analytische statistische Untersuchungen nach Impfstatus erforderlich», schreibt der Studienleiter und Kinderarzt Miki Gibo aus dem japanischen Örtchen Yusuhara.

Der Blogeintrag verlinkt auf eben dieses Papier mit dem Titel «Erhöhte altersbereinigte Krebssterblichkeit nach der dritten mRNA-Lipid-Nanopartikel-Impfstoffdosis während der COVID-19-Pandemie in Japan» (Increased Age-Adjusted Cancer Mortality After the Third mRNA-Lipid Nanoparticle Vaccine Dose During the Covid-19 Pandemic in Japan), das am 8. April 2024 erschien. Es wurde in der zum Wissenschaftsverlag Springer Nature Group gehörenden medizinischen Zeitschrift Cureus veröffentlicht.

Der Untersuchung zufolge gab es in Japan im ersten Jahr der Pandemie (2020) keine erhebliche Übersterblichkeit. Allerdings seien 2021 nach den Impfungen mit der ersten und zweiten Impfstoffdosis «einige erhöhte Krebssterblichkeitsraten» registriert worden. 2022 seien «nach der Massenimpfung mit der dritten Dosis» signifikant erhöhte Sterblichkeitsraten insbesondere für Eierstockkrebs, Leukämie, Prostatakrebs, Lippen-, Oral-, Rachen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs sowie Brustkrebs beobachtet worden.

Weiter wird spekuliert, die hohen Anstiege «könnten auf verschiedene Mechanismen der mRNA-LNP-Impfung zurückzuführen sein und nicht auf die Covid-19-Infektion selbst oder auf eine verringerte Krebsbehandlung aufgrund des Lockdowns». Diese Möglichkeit «erfordert weitere Studien», schreibt der Autor dann aber einschränkend.

Kritik anderer Wissenschaftler

Drittens: Mit den öffentlich verfügbaren Daten lasse sich «keine Korrelation, geschweige denn eine Kausalität nachweisen», betont der Betreiber des Wissenschafts-Blogs TechARP, Adrian Wong. Das Papier enthalte nicht einmal den Impfstatus der Personen, die bei der Studie berücksichtigt wurden. Und nur etwa zwei Drittel der Bevölkerung hätten drei Impfdosen erhalten – man wisse also nicht, wie oft die gestorbenen Krebspatienten tatsächlich erhalten hätten.

Zudem habe Japan auch Impfstoffe eingesetzt, die nicht auf der mRNA-Technologie beruhten: Deswegen lasse sich eine Übersterblichkeit durch mRNA-Impfungen mit den benutzten Daten kaum zählen. Außerdem fehle eine Kontrollgruppe. «Nach allem, was wir wissen, könnten die überzähligen Todesfälle darauf zurückzuführen sein, dass ungeimpfte Krebspatienten an Covid-19 starben. Schließlich sterben Krebspatienten mit größerer Wahrscheinlichkeit an Covid-19 als gesunde Menschen», erklärt Adrian Wong.

Andere Wissenschaftler kritisieren den Ansatz der Untersuchung ebenfalls. In den Reaktionen auf der Cureus-Webseite wirft ein japanischer Arzt dem Autor «Spekulationen» vor. Ein anderer Arzt weist auf den Rückgang der altersbereinigten Krebs-Sterberaten in Japan von 2021 zu 2022 hin und urteilt: «Diese Studie trägt nichts Nützliches zur medizinischen Literatur bei.»

Selbst die Webseite trialsitenews.com – die sich als «unabhängiges zensurfreies Medium für Gesundheit und biomedizinische Forschung» bezeichnet – schrieb, die Studie werfe zwar beunruhigende Fragen auf, «doch sind diese Studienergebnisse nicht gleichbedeutend mit einem bestätigenden Beweis dafür, dass zwischen Covid-19-Impfstoffen und Krebs ein kausaler Zusammenhang besteht».

Mediziner sprechen nicht von «Turbokrebs»

Viertens bestreiten Wissenschaftler, dass es «Turbokrebs» überhaupt gibt. Die Wortschöpfung «Turbokrebs» ist ein Laienbegriff, keine bekannte medizinische Bezeichnung. Auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) finden sich keine Einträge mit diesem Suchwort. Ein angeblicher Anstieg von Tumorbefunden in Folge der Impfung ist der DGHO nicht bekannt.

«Wenn das ein echtes Problem wäre, hätten wir das bemerkt», sagte die Jenaer Professorin Marie von Lilienfeld-Toal, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Infektionen in der DGHO, der dpa im Januar 2022. «Wir finden keine erhöhte Rate von Rückfällen.» Die wissenschaftliche Fachgesellschaft empfiehlt Krebspatienten eine Impfung, weil bei ihnen die Gefahr eines schweren Verlaufs von Covid-19 besonders groß ist.

(Stand: 2.5.2024)

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Wissenschaft, Corona, Gesundheit

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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