Schweden passt seine Stromziele an, verlässt aber nicht den Green Deal der EU - Featured image

Schweden passt seine Stromziele an, verlässt aber nicht den Green Deal der EU

Mit ihrem Green Deal will die EU bis 2050 klimaneutral werden. In sozialen Medien werden Artikel geteilt, die behaupten, das EU-Mitgliedsland Schweden verlasse den Green Deal. Die neue konservative Regierung Schwedens, die für ihre atomfreundliche Position bekannt ist, hat zwar das nationale Ziel für den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung geändert. Ihren Rückzug aus dem Green Deal hat sie aber nicht angekündigt, wie das schwedische Finanzministerium und die Europäische Kommission Ende Juni 2023 mitteilten. 

„Schweden steigt aus Green Deal der EU aus und gibt vereinbarte Ziele für Erneuerbare auf“, heißt es in einem Beitrag, der seit dem 1. Juli 2023 über eintausend Mal auf Facebook geteilt wurde. Auch auf X, bisher bekannt als Twitter, werden zahlreiche Beiträge über den angeblichen Austritt Schwedens aus dem europäischen Pakt verbreitet (hier und hier archiviert).

Viele der Beiträge teilen die Artikel der Blogs „tkp“, „unzensuriert“, „Blackout-News“ oder auch „Tichys Einblick“, die titeln, dass Schweden aus dem Green Deal aussteige und vereinbarte Ziele für erneuerbare Energien aufgebe. Bei „tkp“ und „unzensuriert“ handelt es sich um Blogs, die bereits Falschinformationen verbreiteten, mit denen sich AFP in der Vergangenheit (hier und hier) beschäftigt hat.

Zahlreiche Politikerinnen und Politiker, darunter die Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung Erika Steinbach sowie AfD-BundestagsabgeordneteGerrit Huy, Frank-Christian Hansel, AfD-Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, und Raimond Scheirich, der für die AfD im Augsburger Stadtrat sitzt, haben die Behauptung in eigenen Beiträgen verbreitet. Auch Gottfried Forsthuber, Gemeinderat im österreichischen Baden und ehemaliger ÖVP-Politiker teilte die Meldung über den Austritt Schwedens aus dem Green Deal. Die österreichische FPÖ-nahe Interessensvertretung Freiheitliche Wirtschaft teilte ebenfalls einen Beitrag mit einer eigenen Stellungnahme zum Thema. Auch auf Französisch kursiert die Falschinformation in den sozialen Medien.

Twitter-Screenshot der Behauptung: 7. August 2023

Schwedische Finanzministerin Elisabeth Svantesson sprach von „verlässlichem Energiesystem“

Die schwedische Regierung habe dem „EU-Green-Deal einen Schlag versetzt, indem es die Ziele für grüne Energie aufgegeben hat“, heißt es in dem Blogartikel von „tkp“. Als angeblicher Beweis dafür wird eine fehlinterpretierte Erklärung von Finanzministerin Elisabeth Svantesson vor dem schwedischen Parlament am 20. Juni 2023 angeführt. „Wind- und Sonnenenergie sind zu instabil“, um den Energiebedarf des Landes zu decken, soll Svantesson laut diesem Blogeintrag gesagt haben. Als Quelle für die Aussage gibt er eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters (hier archiviert) vom 20. Juni 2023 an, die vom europäischen Medium Euractiv (hier archiviert) übernommen wurde.

Unter dem Titel „Schweden beschließt Energieziel ‚100 Prozent fossilfrei‘ und macht den Weg für die Kernenergie frei“ berichtet die Nachrichtenagentur mit der Meldung über eine Abstimmung im schwedischen Parlament, bei der das nationale Ziel für den Strommix bis 2040 geändert wurde.

Darin sagt Schwedens Finanzministerin Svantesson zwar: „Wir brauchen mehr Stromerzeugung, sauberen Strom und ein verlässliches Energiesystem“. Die Meldung enthält jedoch, anders als im Blogeintrag behauptet, kein Zitat von Svantesson, in dem sie sich zur Instabilität von Wind- und Solarenergie äußert.

In den von der Nachrichtenagentur Reuters wiedergegebenen Äußerungen der Finanzministerin findet sich ebenfalls kein Hinweis darauf, dass Schweden aus dem Green Deal aussteigen wird. AFP fand auch darüber hinaus keinen Hinweis auf die Echtheit der Aussage Svantessons, „Wind- und Solarenergie sind zu unbeständig“.

Schweden ändert erforderliche Zusammensetzung des Strommix bis 2040

Am 20. Juni 2023 verabschiedete das schwedische Parlament einen von der Regierung eingebrachten Änderungsantrag, der ein neues Ziel für den Strommix bis 2040 festlegt. Damit geht das Land von einer Stromerzeugung aus 100 Prozent erneuerbaren Energien im Jahr 2040 zu einer Stromerzeugung „zu 100 Prozent ohne fossile Energieträger“ über.

Dies bedeutet jedoch keineswegs einen offiziellen Rückzug aus dem Green Deal, der insgesamt rund 50 Maßnahmen enthält, wie ein Sprecher der Europäischen Kommission am 28. Juni 2023 gegenüber AFP erklärte. „Schweden hat nicht die geringste Absicht angekündigt, sich aus dem europäischen Green Deal ‚zurückzuziehen‘.“

Die Pressestelle des schwedischen Finanzministeriums dementierte gegenüber AFP am 29. Juni 2023 ebenfalls die Behauptung, Schweden habe sich aus dem Green Deal zurückgezogen oder beabsichtige, sich zurückzuziehen.

„Schweden, das derzeit die rotierende Präsidentschaft des Europarats innehat, spielt eine wichtige Rolle und macht sich für diese Gesetzgebung und ihre Fertigstellung stark“, teilte ein Sprecher der Europäischen Kommission am 28. Juni 2023 außerdem mit und betonte, dass „die Nutzung der Kernenergie eine nationale Entscheidung ist, die nicht im Widerspruch zu den Zielen des europäischen Green Deal steht“.

EU will mit Green Deal CO2-Neutralität erreichen

Im Jahr 2019 wurde der Green Deal das erste Mal vorgestellt (hier archiviert). Mit ihm soll vor allem das Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 in der EU erreicht werden, genauso wie eine Reduktion der Treibhausgase um 55 Prozent bis 2030 im Vergleich zum Jahr 1990. Außerdem sollen bis 2030 zusätzlich drei Milliarden Bäume in der EU gepflanzt werden.

Während zwei Jahre später die wesentlichen Punkte des Green Deal angenommen wurden (unter anderem die Reform des CO2-Handels, die CO2-Steuer für Importe und das Ende des Verkaufs von Verbrennungsmotoren), gestalten sich die Verhandlungen über andere Schlüsselfragen – Biodiversität, Pestizide oder auch Schadstoffemissionen der Tierhaltung – noch mühsam.

„Wir sind aktuell im Begriff, verschiedene Gesetzestexte nach Bereichen zu verabschieden – zu Energie, Transporten, Bodennutzung etc.“, erklärte ein Sprecher der Europäischen Kommission gegenüber AFP im Juni 2023.

Europäischer Rechnungshof zweifelt an Erreichbarkeit der Klimaziele

In diesem Zusammenhang kommen Zweifel auf, ob die EU ihre Ziele erreichen kann. Am 26. Juni 2023 erklärte der Europäische Rechnungshof in einem Sonderbericht, es sei „zu bezweifeln, dass die EU wie angestrebt ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 senken kann.“

Weiter heißt es dort, „dass die EU ihre Klima- und Energieziele für 2020 erreicht hat, ist zum Teil auf externe Faktoren wie die Auswirkungen der Corona-Pandemie zurückzuführen, die zu einer Verringerung der Emissionen beigetragen haben“, schreibt der Rechnungshof. Es deute nur wenig darauf hin, „dass die bisherigen Maßnahmen ausreichen, um die Klima- und Energieziele zu erreichen“.

Unter anderem böten die Pläne der Mitgliedstaaten Anlass zur Sorge, da sie aus Sicht des Rechnungshofes „das Energieeffizienzziel für 2030 nicht entschieden genug angingen“, um es zu erreichen. Bis zum 30. Juni 2023 mussten die EU-Mitgliedstaaten der Kommission die Änderungsentwürfe ihrer nationalen Energie- und Klimapläne für 2021 bis 2030 vorlegen, „die den schärferen EU-Zielen Rechnung tragen“. Bis 2024 müssen die finalen Pläne fertiggestellt sein.

In Schweden sind die Ziele Bestandteil des Klimaplans der schwedischen Regierung, den sie 2020 an Brüssel übergab. Basierend auf der darin enthaltenen Tabelle, sieht Schweden unter anderem vor, seine Netto-Treibhausgasemissionen bis 2045 auf null zu reduzieren (hier archiviert).

Weitere Ziele Schwedens sind unter anderem, 50 Prozent des Energieverbrauchs bis 2020 durch erneuerbare Energien zu decken und zu 100 Prozent erneuerbare Stromerzeugung bis 2040 zu erreichen. In der Tabelle wird darauf hingewiesen, dass es sich hierbei nicht um eine Frist für den Ausstieg aus der Atomenergie handelt.

Screenshot des Klimaplans der schwedischen Regierung: 8. August 2023

Seit 2020 hat sich die Lage jedoch verändert. Im Oktober 2022 fanden Wahlen in Schweden statt, bei denen der Chef der Konservativen, Ulf Kristersson, vom Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Mit der Unterstützung der rechtsradikalen Schwedendemokraten (SD) läutete er eine neue politische Ära für das skandinavische Land ein.

In ihrem Fahrplan sah die Regierungskoalition besonders eine Wiederbelebung der Atomenergie vor, die Schweden in den vergangenen Jahrzehnten zurückgefahren hatte.

Am 20. Juni dieses Jahres hat sich das schwedische Parlament auf ein neues Ziel für die Zusammensetzung der Stromerzeugung bis 2040 geeinigt. Gemäß der Änderung soll Strom nun zu 100 Prozent „ohne fossile Energie“ (hier archiviert) produziert werden. Zuvor sollte eine Stromproduktion aus „100 Prozent erneuerbarer Energie“ erreicht werden, wie auf der offiziellen Seite des Parlaments, dem Riksdagen, zu lesen ist.

Daten des Swedish Institute zufolge (hier archiviert) – einer öffentlichen schwedischen Anstalt mit dem Auftrag, das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des Landes in der Welt zu fördern –, stammen Stand November 2022 fast 75 Prozent der schwedischen Stromproduktion aus Wasserkraft (43 Prozent) und Atomenergie (31 Prozent), bereitgestellt von drei Atomkraftwerken. 16 Prozent der Stromproduktion stammt aus Windkraft, neun Prozent aus Blockheizkraftwerken, die hauptsächlich mit Biokraftstoffen betrieben werden. 2021 wurden fast 60 Prozent der in Schweden produzierten Energie aus erneuerbaren Quellen hergestellt, heißt es dort weiter.

Fazit: Die Behauptung, die schwedische Regierung habe beschlossen, aus dem Green Deal der EU auszusteigen, ist falsch. Im Juni 2023 wurden lediglich die Ziele der Energieerzeugung in Schweden für das Jahr 2040 angepasst. Demnach sollen nicht mehr 100 Prozent aus erneuerbaren Energien stammen, sondern 100 Prozent fossilfrei sein. Die Nutzung von Kernenergie stehe nicht im Widerspruch zu den Zielen des europäischen Green Deal, so ein Sprecher der EU-Kommission.

Fact Checker Logo

Politik, Umwelt, EU

Autor(en): Johanna LEHN / AFP Frankreich

Ursprünglich hier veröffentlicht.

Nach oben scrollen