In Hessen werden 18 Windräder gebaut und sorgen seit Jahren für große Aufregung. Online wird fälschlich behauptet, dabei würden 290 Hektar Wald gerodet und die Produktion der Windradsockel erzeuge 1.404.000 Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2). Das ist jedoch falsch, wie Expertinnen und Experten gegenüber AFP bestätigten: Die Windräder in Hessen produzieren um ein Vielfaches mehr Energie, als ihre Herstellung kostet und tragen erheblich zum Klimaschutz bei.
In klimaskeptischen Kreisen wird immer wieder behauptet, dass Windräder die Natur zerstören und mehr Schaden als Nutzen verursachen. Aktuell zirkulieren diesbezügliche Behauptungen aus dem hessischen Reinhardswald: „290 Hektar Wald wird für 18 Windräder gerodet“, schrieb ein Nutzer in einem viralen Facebook-Beitrag, der über 12.000 Mal geteilt wurde. „Dieser Wald hat 348 Tonnen CO2 im Jahr gebunden“, heißt es darin weiter. Danach folgt eine Aufzählung der angeblichen CO2-Bilanz mit Angaben über Beton und Bewehrungsstahl, welcher für die Herstellung der Windradsockel benötigt werde: „Total ohne Transport 1.404.000 Tonnen CO2-Ausstoss“, schlussfolgerte der Nutzer.
Der Beitrag wurde auf Telegram weit verbreitet und findet sich zudem auf X.
Der Reinhardswald liegt in Hessen und erstreckt sich über eine Fläche von 20.000 Hektar. Das Regierungspräsidium Kassel erteilte am 1. Februar 2022 die Genehmigung für den Bau und Betrieb von 18 Windkraftanlagen in ausgewiesenen Zonen des Waldes. Doch diese Pläne sorgten für große Kontroversen: Eine Bürgerinitiative der Anwohnerinnen und Anwohner wehrte sich gegen den geplanten Windpark in der Nachbarschaft, zwei Naturschutzverbände befürchteten, dass der Bau den Lebensraum der im Reinhardswald lebenden Tiere bedrohe. Mehrere Eilanträge vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof verzögerten daraufhin den Beginn des auf zwei Jahre angelegten Bauvorhabens.
In sozialen Medien zirkulierten zudem wiederholt Falschinformationen zu den Windrädern, die teilweise von Boulevardzeitungen aufgegriffen wurden. „Deutscher Märchenwald wird für Windräder zerstört“, titelte etwa die „Bild“ am 4. Dezember 2023. Das Medienunternehmen Correctiv hatte einige dieser Falschbehauptungen in der Vergangenheit bereits widerlegt.
Nach ausführlicher Prüfung erhielt der Windpark-Betreiber Energiegenossenschaft Reinhardswald im Oktober 2023 vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof die Bestätigung, mit den erforderlichen Rodungsarbeiten fortfahren zu dürfen. Seitdem mehren sich Behauptungen in sozialen Medien, welche die Klimafreundlichkeit des geplanten Windparks in Frage stellen.
Die auf Facebook kursierenden Zahlen zum Ausmaß der Waldrodungen und die für die Produktion der Windräder erforderlichen CO2-Emissionen sind jedoch stark übertrieben, wie AFP nachweisen konnte.
29 statt 290 Hektar Wald werden gerodet
In den Beiträgen wird fälschlich behauptet, dass für die geplanten 18 Windkraftanlagen „290 Hektar Wald gerodet“ werden. Das trifft nicht zu: Im Genehmigungsbescheid des Regierungspräsidium Kassel ist die „Anlagebedingte Flächeninanspruchnahme“ auf den Seiten 78-82 aufgeschlüsselt.
Dabei wird unterschieden zwischen dauerhafter Flächeninanspruchnahme (etwa für den konkreten Standort der Windräder, Zufahrtswege und die benötigten Löschwasserzisternen) und temporärer Inanspruchnahme, die im Zuge der Bauarbeiten entsteht. Insgesamt werden für den Bau der Windanlagen 8,4 Hektar Wald dauerhaft gerodet, dazu kommen 12,1 Hektar, die für die Zeit der zweijährigen Bauarbeiten beansprucht werden. Für neue Zufahrtsstraßen und Wege werden dauerhaft 4,97 Hektar gerodet und 3,5 Hektar temporär im Zuge der Baumaßnahmen. Alles zusammengerechnet werden somit 29 Hektar Wald für den Bau und Betrieb der 18 Windkraftanlagen gerodet, wovon jedoch 15,6 Hektar nach Abschluss der Bauarbeiten wieder aufgeforstet werden.
Der gesamte Reinhardswald erstreckt sich laut der Website „Naturpark Reinhardswald“ über eine Fläche von 20.000 Hektar. Somit werden mit den 29 Hektar für das gesamte Bauvorhaben rund 0,15 Prozent der Waldfläche beansprucht. Laut eines öffentlich verfügbaren Hintergrundpapiers über das Genehmigungsverfahren der 18 Windräder des Regierungspräsidiums Kassel vom 9. März 2022 handelt es sich bei den genutzten Flächen um „Flächen, die explizit zur Energiegewinnung durch Windkraft ausgewiesen“ wurden. Dabei wurden Standorte ausgewählt, die größtenteils von Nadelwald bedeckt waren, der bereits durch Sturmschäden oder Borkenkäferbefall geschädigt war und Lücken aufwies. Als Ausgleich für die gefällten Bäume werde andernorts aufgeforstet, heißt es darin weiter.
Waldflächen, auf denen besonders alte Bäume stehen, wurden laut Hintergrundpapier bei der Standortwahl ausgeschlossen. Rund 92 Hektar des Reinhardswalds werden als „Urwald Sababurg“ bezeichnet und stehen seit 1907 unter Schutz. Dieses Gebiet wird häufig als „Deutscher Märchenwald“ beworben und ist explizit nicht Teil der Flächen, die für Windkraftanlagen gerodet werden.
Irreführende Angaben zum eingesparten CO2 der gefällten Bäume
In dem viralen Facebook-Beitrag ist von 348 Tonnen CO2 die Rede, die der zur Rodung freigegebene Wald gespeichert habe. Diese Angaben sind bereits deshalb irreführend, da die tatsächlich gerodete Waldfläche lediglich 29 statt 290 Hektar beträgt. Von den 29 Hektar werden durch die Windanlage zudem nur 13,4 Hektar dauerhaft versiegelt, während die übrigen 15,6 Hektar wieder aufgeforstet werden.
Das Thünen-Institut für Waldökosysteme führt im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft in regelmäßigen Abständen eine Bundeswaldinventur und eine Kohlenstoffinventur durch. Laut der zuletzt veröffentlichten Daten aus dem Jahr 2017 entziehen Bäume in Deutschland der Atmosphäre jährlich rund 62 Millionen Tonnen CO2, was sich auf eine deutschlandweite Waldfläche von 11.500.000 Hektar bezieht. Daraus ergibt sich eine CO2-Speicherung von 5,4 Tonnen pro Hektar und Jahr. Hochgerechnet auf die 13,4 Hektar, die tatsächlich dauerhaft im Reinhardswald gerodet werden, fällt somit durch die gefällten Bäume eine CO2-Reduktion von 72,36 Tonnen pro Jahr weg – und nicht von 348 Tonnen, wie online behauptet.
Falsche Zahlen über benötigten Beton und Stahl
Im Netz wird außerdem behauptet, die Produktion der Stahlbetonsockel von Windkraftanlagen würde unverhältnismäßig viel CO2 verursachen und ein Windrad sei somit schädlicher für die Umwelt als es Nutzen bringe. Konkret werden folgende Zahlen genannt: „10.000 Tonnen Beton sind nötig für ein Windradfundament“, wobei „600 kg CO2 pro Tonne Beton“ ausgestoßen werden. Zudem seien „180 Tonnen Bewehrungsstahl für einen Betonsockel“ vonnöten, was wiederum „400 kg CO2 pro Tonne Stahl“ produziere. Alles in allem wird mit „1.404.000 Tonnen CO2 Ausstoß“ für die 18 Windradsockel gerechnet.
Stefan Emeis, Professor für Meteorologie mit einem Lehrauftrag für Energiemeteorologie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), hält es grundsätzlich für sehr relevant, nach der Ökobilanz von Windrädern zu fragen, da die Betonproduktion generell durchaus kritisch für das Klima sei. „Der weltweite Verbrauch von Stahlbeton bei der globalen Bautätigkeit ist für circa acht Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich,“ erklärte er gegenüber AFP am 18. Juli 2024.
Doch die online verbreiteten Zahlen sind laut Emeis übertrieben: „Pro Fundament braucht man circa 1000 Kubikmeter Beton. Pro Kubikmeter Beton werden circa 200 Kilogramm CO2 freigesetzt.“ Für Stahlbeton rechnet Emeis mit „insgesamt 600 Tonnen CO2 pro Windrad“. Bei 18 Anlagen im Reinhardswald ergeben sich daraus laut Emeis 10.800 Tonnen CO2 – also ein Bruchteil der in den Beiträgen behaupteten Werte.
Emeis Angaben decken sich mit branchenüblichen Zahlen des Betonherstellers Dyckerhoff. Auch dieser schreibt online, dass „durchaus 1000 Kubikmeter Beton für ein Fundament benötigt“ werden.
Windkraftanlagen haben eine positive Energiebilanz
Im Reinhardswald werden laut Angaben des Kassler Genehmigungsbescheids 18 Anlagen des Typs Vestas V150 gebaut, die jeweils 5,6 Megawatt Nennleistung produzieren können. Den verursachten CO2-Emissionen der Windradproduktion stellt Stefan Emeis vom KIT die CO2-Ersparnisse gegenüber: „Windräder an Land erreichen rechnerisch knapp 2000 Volllaststunden pro Jahr. Bei einer 5,6 Megawatt-Windkraftanlage ergibt das 11.200 Megawattstunden grüne Energie, die pro Jahr erzeugt werden.“
Laut aktueller Zahlen des Umweltbundesamts, die Emeis zitierte, wurden 2023 in Deutschland auf Basis vorläufiger Daten im Durchschnitt pro produziertem Megawatt rund 445 Kilogramm CO2 ausgestoßen. Dieser „Emissionsfaktor für den deutschen Strommix“ wird jährlich vom Umweltbundesamt berechnet. „Pro Jahr werden somit durch diese eine Windkraftanlage 4.984 Tonnen CO2 vermieden“, so Emeis. Für die geplanten 18 Windräder im Reinhardswald ergibt das 89.712 Tonnen vermiedenes CO2.
„Der gesamte CO2-Ausstoß bei Planung, Herstellung und Bau einer Windkraftanlage ist in einem guten halben Jahr durch den CO2-freien Ökostrom wieder kompensiert“, schlussfolgerte Emeis. Da bei Windrädern an Land von einer Laufzeit von 20 Jahren ausgegangen wird, werde „insgesamt fast 40 mal so viel CO2 durch den Betrieb der Windkraftanlage vermieden, wie beim Bau aufgewendet wurde“.
Ähnliche Zahlen veröffentlichte der dänische Windradproduzent Vestas, dessen Modell V150-5.6 im Reinhardswald gebaut wird. In Ökobilanzen werden die gesamten Kosten einer Anlage dargestellt. Dabei wird der sogenannte „Energy-Break-Even-Point“ angegeben, also der Zeitpunkt, ab dem die Windturbine mehr Energie erzeugt hat als bei Herstellung, Betrieb und Recycling aufgewendet wird. Für das Modell V150-5.6 liegt dieser Bericht nicht vor, doch für das Vorgängermodell V150-6.0 wurde der Energy-Break-Even-Point mit 5,6 Monaten angegeben. Auch laut Vestas beträgt die Lebensdauer ihrer Anlagen 20 Jahre. Verantwortlich für die unabhängige Prüfung dieser Ökobilanz war Matthias Finkbeiner, Direktor des Instituts für Technischen Umweltschutz an der Technischen Universität Berlin.
Demnach treffen die in sozialen Medien vorgetragenen Behauptungen, die Windräder im Reinhardswald würden mehr CO2 verursachen als sie einsparen, bereits sechs Monate nach deren Inbetriebnahme nicht mehr zu.
Windkraft wird von Expertinnen und Experten als klimafreundliche Methode zur Energiegewinnung eingestuft. Um die Klimafolgen für die Stromerzeugung zur errechnen, wird bestimmt, wie viel Gramm CO2-Äquivalent pro produzierter Kilowattstunde erzeugt wird. Laut Zahlen des Umweltbundesamtes liegt der Wert für Windkraftanlagen, inklusive aller Emissionen der Produktion der Anlage, bei 17,7 Gramm pro Kilowattstunde. Zum Vergleich: Kernenergie produziert 18,3 Gramm CO2-Äquivalent pro Kilowattstunde, Erdgas 247 Gramm und Braunkohle sogar 412 Gramm.
AFP hat in der Vergangenheit bereits andere Falschinformationen zu Betonfundamenten und Erosionsabfällen von Windrädern überprüft.
Fazit: In sozialen Medien kursieren irreführende Zahlen über ein Windenergieprojekt im hessischen Reinhardswald. Richtig ist, dass für 18 Windkraftanlagen Wald gerodet wird und bei der Produktion der Anlagen CO2 emittiert wird – allerdings sind die tatsächlichen Zahlen laut Expertinnen und Experten um ein Vielfaches geringer als online behauptet wird. Windenergie wird von Expertinnen und Experten grundsätzlich als klimafreundliche Energie eingestuft. Die Anlagen in Hessen werden laut verschiedener Prognosen innerhalb von sechs Monaten bereits mehr grüne Energie produziert haben, als für ihren Bau aufgewendet wurde.