Altägyptische Statuen wurden nicht verstümmelt, weil manche Pharaonen schwarz waren - Featured image

Altägyptische Statuen wurden nicht verstümmelt, weil manche Pharaonen schwarz waren

Seit dem 8. Mai 2023 kursiert vor allem in Kamerun auf Facebook ein Foto, das eine ägyptische Büste mit verstümmelter Nase zeigt. Laut dem Beitrag beweist das Foto, dass europäische Archäologen die Nasen der Statuen zerschlagen hätten, um zu verbergen, dass die ägyptischen Pharaonen angeblich schwarz waren. Es gab tatsächlich schwarze Pharaonen. Es gibt allerdings zahlreiche andere Gründe, warum altägyptische Statuen verstümmelt oder vollständig zerstört wurden. Expertinnen und Experten sehen darin keinen Versuch, bestimmte Gesichtszüge zu verschleiern, weil die Pharaonen  schwarz waren. 

„Die ägyptischen Pharaonen waren so weiß, dass europäische Archäologen das Bedürfnis hatten, den Stauten die Nase zu brechen, um Beweise zu verdecken“, hieß es auf der kamerunischen Facebook-Seite „Afrikas Landwirte“. Diese ironische Behauptung begleitet das Foto eines steinernen Pharaonenkopfs, der an der Kopfbedeckung, der Nase und den Augenbrauen beschädigt ist und laut Beschreibung aus der Zeit zwischen 2140 und 1780 v. Chr. stammt.

Der Beitrag bezieht sich auf die Behauptung, dass die Pharaonen schwarz gewesen sein sollen. Die Empörung der Userinnen und User über diese angebliche revisionistische Verstümmelung der Statuen wird in zahlreichen Kommentaren unter dem Beitrag deutlich und fällt mit aktuellen Spannungen um das kulturelle Erbe und die Geschichte Ägyptens zusammen.

Anfang Mai 2023 veröffentlichte der Streaming-Anbieter Netflix eine Doku-Serie über die Königin Kleopatra, gespielt von der schwarzen US-Schauspielerin Jada Pinkett Smith. Als Reaktion auf die bevorstehende Veröffentlichung meldete sich Ende April 2023 das ägyptische Antikenmuseum öffentlich zu Wort und erklärte, dass die letzte Pharaonin Ägyptens „weiße Haut und hellenische Züge“ gehabt habe.

Die Ankündigung der US-amerikanischen Streaming-Plattform löste eine heftige Kontroverse in Ägypten aus. Internetnutzerinnen und -nutzer prangern dort regelmäßig Kampagnen an, die vor allem von afroamerikanischen Gruppierungen ausgehen und den Ursprung der ägyptischen Zivilisation für sich beanspruchen.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 11. Mai 2023

Zahlreiche Archäologinnen und Archäologen sind der Meinung, dass die Nasen der ägyptischen Statuen aus verschiedenen Gründen beschädigt wurden – von politischer Verfolgung und versehentlichen Beschädigungen bis hin zum Kampf gegen das Heidentum. Das erläutern bereits verschiedene veröffentlichte Artikel.

„Kein einziger dokumentierter Fall“ 

Simon Connor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am französischen Institut für archäologische Forschungen in Ägypten (Ifao) und Ikonoklasmus-Experte. Ikonoklasmus wird auf Deutsch auch als Bildersturm bezeichnet und beschreibt die vollständige oder teilweise Zerstörung von menschlichen und tierischen Figuren sowie von symbolischen Zeichen. Simon Connor bestätigte am 12. Mai 2023 gegenüber AFP, dass es „keinen einzigen dokumentierten Fall“ gebe, „in dem weiße europäische Archäologen die Nasen von Statuen zerstörten“, um zu verschleiern, dass die dargestellten Personen schwarz gewesen seien.

Die Zerstörung oder Verstümmelung der Nasen von Statuen sei ein Phänomen, das nicht nur ägyptische Funde betreffe, betonte der Experte, und verwies auf zahlreiche Fälle in der Türkei und in Griechenland.

Im Fall von Ägypten „wird eine Statue verunstaltet, um sie gewissermaßen zu ‚deaktivieren‘, um ihr ihren Status als Abbild, ihre Macht zu nehmen“, erklärte Connor. „Die Nase erlaubt es, zu atmen. Sie ist es, die einem Objekt in Ägypten Leben verleiht. Die Nase ist die offensichtlichste Wahl, wenn man eine Statue beschädigen will.“

Auch andere hervorstehende Partien können beschädigt werden, wie zum Beispiel der falsche Bart, die Kobra auf dem Kopf mancher Statuen,  die Handgelenke oder das Geschlechtsteil von Statuen, die männliche Personen darstellen.

Laut Simon Connor handele es sich bei der Büste auf dem verbreiteten Bild wahrscheinlich um eine Darstellung von „Amenemhet I. oder Sesostris I.“. Diese Skulptur aus grau-grünem Stein, Grauwacke, stammt laut dem Experten wahrscheinlich vom Kunstmarkt. „Wenn ihr jemand die Nase gebrochen hat, was wahrscheinlich ist,  ist es unmöglich zu sagen, wer das getan hat oder wann.“

Die unterschiedlichen Beschädigungen konzentrieren sich nicht auf einen bestimmten Zeitraum, sondern erstrecken sich über Tausende von Jahren, betonte der Experte und wies darauf hin, dass Kontext, Akteure und Epochen der Verstümmelung stark variierten.

„Ägyptische Aufzeichnungen belegen die Praxis der Bildveränderung während der gesamten Geschichte, von etwa 3000 v. Chr. bis in die Gegenwart“, schrieb Connor im Artikel „Verstümmeln, Töten, Deaktivieren von Bildern im pharaonischen Ägypten“, der 2018 in „Perspective“ erschien, der Forschungszeitschrift des französischen nationalen Instituts für Kunstgeschichte (Inha).

Je nach Epoche, Art der Beschädigung und Kontext der Statue könnte der Bildersturm auf ägyptische Artefakte mehrere Gründe haben: politische, religiöse oder einfach pragmatische. Das betonte Edward Bleiberg, ehemaliger Konservator im US-amerikanischen Brooklyn Museum und Kurator einer Ausstellung zu diesem Thema im Jahr 2019, in einem begleitend erschienenen Artikel.

Sehr viele Statuen, die die Pharaonin Hatschepsut, die von 1478 bis 1458 v. Chr. regierte, darstellen, wurden beispielsweise verstümmelt, weil die Königin am Ende der Regierungszeit ihres Nachfolgers, mit einer „damnatio memoriae“ belegt wurde, einer Ächtung des Andenkens. „Weil sie die Macht an sich gerissen hatte, wurden nach ihrem Tod ihre Bilder zerschlagen“, erklärte Simon Connor.

In der Nekropole von Deir el-Bahari im Osten Ägyptens „gibt es zahlreiche archäologische und epigraphische Beweise, die das historische Ereignis dieser Ächtung belegen“, führte der Experte in seinem Artikel von 2018 aus.

„Die Statuen selbst zeigen, abgesehen von gelegentlichen Werkzeugspuren, so systematische und gezielte Beschädigungen, dass ein Massenunfall schlicht undenkbar wäre. Alle wurden an der Uräusschlange [Kobra, das Symbol des Königtums, Anm. d. Red.] an der Nase und am Bart zerschlagen. Fast alle wurden vor der Beisetzung enthauptet, Hand- und Fußgelenke waren ebenfalls häufig betroffen.“

Touristen besuchen den Tempel der Königin Hatschepsut in Deir el-Bahari (Ägypten) am 23. Dezember 2007. – KHALED DESOUKI / AFP

Auch in den ersten Jahrhunderten des Christentums kam es zu ikonoklastischen Episoden, „entweder weil die alten Götter als Dämonen angesehen wurden, oder um den Heiden zu zeigen, dass die Anbetung dieser Figuren Götzendienst an leblosen Objekten war“, führte Simon Connor in der Zeitschrift „Perspective“ weiter aus.

Ein anderer, pragmatischerer Grund für die Verstümmelungen: Der Stein von Statuen sollte für Bauzwecke wiederverwendet werden. „Während der mittelalterlichen Periode in Ägypten wurden viele Antiquitäten in Bauprojekten wiederverwendet“, da sie als „wertvolle Steinstücke“ angesehen wurden, erklärte Edward Bleiberg vom Brooklyn Museum.

Die Nase, der Bart oder die Kobra auf dem Kopf mancher Statuen sind hervorstehende Teile, die leichter abbrechen und zerbrechlicher sind, egal ob die Zerstörung absichtlich oder versehentlich geschieht – wenn eine Statue beispielsweise umfällt oder sich ein Steinblock löst und sie beschädigt.

Außerdem ist es eine historisch belegte und dokumentierte Tatsache, dass es auch schwarze Pharaonen gab. Im Juli 2022 gab es dazu eine Ausstellung im Louvre in Paris in Frankreich. Ein Beispiel ist König Piankhy, der erste Pharao der 25. ägyptischen Dynastie, einer Linie, die fast ein Jahrhundert lang (von 770 bis 656 v. Chr.) über das alte Ägypten herrschte.

Ein Werk aus der Ausstellung „Pharao der zwei Länder. Das afrikanische Epos der Könige von Napata“ im Louvre in Paris vom 28. April 2022 bis 25. Juli 2022. – STEPHANE DE SAKUTIN / AFP

Diese Behauptung wurde zwar von einer Facebook-Seite aus Kamerun verbreitet, doch falsche Informationen über die ägyptische Geschichte kursieren seit langem, einige davon reichen sogar bis ins Mittelalter zurück und sind in sehr vielen Gesellschaften verbreitet. Dazu veröffentlichte AFP kürzlich einen Artikel über falsche Behauptungen zu den ägyptischen Pyramiden, die unter anderem von dem französischen Rapper Gîms verbreitet wurden. Der Sänger griff unter anderem eine alte Erzählung auf, nach der die Ägypter dank der Pyramiden schon in der Antike angeblich über Elektrizität verfügten.

Diese Behauptungen gehen nicht nur von bestimmten Profilen aus. Einige der Seiten und Gruppen, die sie in mehreren Ländern südlich der Sahara in Umlauf bringen, berufen sich auf den Panafrikanismus und prangern energisch eine Form der Plünderung ihrer kulturellen Identität durch den Westen an. Panafrikanismus bedeutet „die Einheit aller afrikanischen Menschen weltweit, unabhängig von ihrer Ethnie oder Nationalität“.

„Die Problematik besteht darin, dass oftmals die Richtigstellung von Informationen in Wirklichkeit mehr Schaden anrichtet als die Informationen selbst“, sagte der Historiker Amzat Boukari-Yabara gegenüber AFP am 15. Mai 2023. „Es ist nicht so sehr das, was Gîms gesagt hat, was den Schaden angerichtet hat. Vielmehr war es die Ungeschicklichkeit, die Vulgarität und der Rassismus, womit auf das, was er gesagt hat, reagiert wurde.“

Der Historiker warnte außerdem, dass der Widerruf auch die Zustimmung zu den Äußerungen des Rappers bestärken könne. Boukari-Yabara  relativierte jedoch die Wirkung solcher Aussagen und wies darauf hin, dass es sehr viele Seiten und Gruppen gebe, die sich mit panafrikanischen Ideen auseinandersetzen und größere Communitys hätten.

Fazit: Europäische Archäologen haben die Nasen von altägyptischen Statuen nicht beschädigt oder verstümmelt, um die Tatsache zu verbergen, dass einige Pharaonen schwarz waren.

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Wissenschaft, Gesellschaft

Autor(en): Marin LEFEVRE / AFP Frankreich / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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