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Zwei Bilder der Freiheitsstatue widerlegen nicht das Steigen des Meeresspiegels

Der Meeresspiegel bei New York ist im letzten Jahrhundert um rund 30 Zentimeter angestiegen. Trotzdem nehmen Beiträge in sozialen Medien Aufnahmen der Freiheitsstatue in New York zum Anlass, um den Anstieg des Meeresspiegels und damit auch den Klimawandel infrage zu stellen. Dabei vernachlässigen sie allerdings laut Expertinnen und Experten die Gezeiten. Der menschengemachte Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Umwelt sind belegt.

In den geteilten Beiträgen sind jeweils eine historische Ansicht sowie eine aktuellere Aufnahme der Freiheitsstatue zu sehen. Für die Behauptung nutzen die User unterschiedliche Aufnahmen, die Beschreibung ist aber immer eine ironische Andeutung wie: „Die Dramatik des steigenden Meeresspiegel in einem Bild dargestellt“ oder „So sieht ein dramatischer Anstieg des Meeresspiegels aus“. Die Behauptung wurde auf Facebook (hier, hier) über 4000 Mal geteilt. Ähnliche Posts gab es auf Englisch und Spanisch.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 23. Mai 2023

AFP hat bereits zuvor irreführende oder falsche Behauptungen über die Folgen des Klimawandels widerlegt. So steigt der Meeresspiegel trotz eines kurzzeitiges Niedrigwasser in Venedig. Andere Beiträge behaupten fälschlicherweise, das Wasser aus schmelzenden Eisschilden und Gletschern trage nicht zum Meeresspiegelanstieg bei. Faktenchecks zum Thema Klima sammelt AFP hier.

Kein Gegenbeweis

Laut Fachleuten, mit denen AFP gesprochen hat, können die Bilder jedoch nicht als Gegenbeweis für die weltweit steigenden Meeresspiegel herangezogen werden. Daten der US-Klimabehörde NOAA zeigen einen steten Anstieg auch an der Küste vor New York.

„In viralen Posts wird versucht, mit Bildern wie diesen zu widerlegen, dass der Meeresspiegel steigt“, sagte Catherine Walker am 17. März 2023 gegenüber AFP. Sie ist Wissenschaftlerin der Woods Hole Oceanographic Institution in den USA, die sich auf angewandte Meeresphysik und Ingenieurwesen spezialisiert hat. „Tatsache ist jedoch, dass es Messgeräte gibt, die den Meeresspiegel ziemlich genau messen, was diese Leute ignorieren. Und diese Daten haben gezeigt, dass der Meeresspiegel steigt“, so Walker.

Die treibende Kraft hinter dem Anstieg des Meeresspiegels ist laut einer gemeinsamen Analyse des Deutschen Klima-Konsortium (DKK) und dem Konsortium Deutsche Meeresforschung (KDM) der menschengemachte Klimawandel. Die Ursachen dafür sind das wärmere Wasser im Meer, dass sich durch die Erwärmung ausdehnt. Hinzukommen, dass durch das wärmere Klima weltweit Gletscher und die Eisschilde am Nord- und Südpol schmelzen. Auch dieses zusätzliche Wasser erhöht den Meeresspiegel.

Zwischen den Fotos liegen 100 Jahre

Eine umgekehrte Bildersuche zeigt, dass das Schwarz-Weiß-Bild in den Beiträgen laut Library of Congress zwischen „1900 und 1920“ aufgenommen wurde. Das jüngere Bild der Freiheitsstatue ist laut einer Bilderrückwärtssuche seit 2019 auf verschiedenen Webseiten von Reiseanbietern im Netz zu finden. Wann genau es zuerst veröffentlicht wurde, konnte AFP jedoch nicht feststellen. Die Zeitspanne zwischen den Bildern kann demnach wirklich etwa 100 Jahre betragen.

Screenshot vom 23. Mai 2023 von der Website der Library of Congress. Hier ist das Foto der Freiheitsstatue aus der Zeit zwischen 1900 und 1920 zu sehen. Hervorhebungen durch AFP.

In den sozialen Medien finden sich verschiedene Versionen dieser Behauptung, jeweils mit zwei unterschiedlichen Bildern der Freiheitsstatue. Auch in anderen Fällen handelt es sich um je zwei Aufnahmen, die ungefähr 100 Jahre auseinander liegen. Diese wurden auch in englischsprachigen Posts mit ähnlichem Inhalt verwendet.

Gezeiten nicht beachtet

Trotzdem sei dies kein Beweis für einen gleichbleibenden Meeresspiegel, sagte Catherine Walker gegenüber AFP. Es irreführend ist, die beiden Fotos zu vergleichen: „Wir wissen nicht, wann im Zyklus der Gezeiten die Fotos aufgenommen wurden.“ Ebbe und Flut unterscheiden sich im Hafen von New York täglich um mehr als eineinhalb Meter, so Walker.

Dem stimmt auch Dianna Padilla, Professorin für Ökologie und Evolution an der Stony Brook University in New York, zu. „Je nach Tag und Uhrzeit der Aufnahme kann man es so aussehen lassen, wie man will“, sagte sie am 17. März gegenüber AFP.

Auch Iris Moeller, Geografieprofessorin am Trinity College in irischen Dublin, sieht das genau so. Wenn das ältere Bild bei Flut und das neuere bei Ebbe aufgenommen wurde, „dann verschleiert das natürlich den allgemeinen Anstieg des Meeresspiegels“, so Moeller am 17. März AFP. „Auch wenn die Bilder ein Indikator für den durchschnittlichen Meeresspiegel über mehrere Jahre wären – was sie eindeutig nicht sind – würden sie sich nur auf einen ‚relativen Meeresspiegel‘ beziehen“, so Moeller.

Der relative Meeresspiegel gibt an, wie sich die Höhe des Wassers relativ zur nahegelegenen Küste verändert. Iris Moeller sagte, das Land könne aus verschiedenen Gründen angehoben werden oder sich absenken. Deshalb gebe es sogenannte Mareografen. Dies sind Messgeräte, die unabhängig von anderen Effekten den Meeresspiegel messen.

Steigender Meeresspiegel 

Die Daten der NOAA reichen zurück bis ins Jahr 1856. Sie zeigen, dass der relative Meeresspiegel in Lower Manhattan pro Jahr im Durchschnitt um 2,9 Millimeter angestiegen ist. Dies entspricht laut der Behörde fast 30 Zentimeter innerhalb eines Jahrhunderts.

UN-Klimabericht: Entwicklung des Meeresspiegels seit 1993.

Jayantha Obeysekera, Direktor des Sea Level Solutions Center an der Florida International University, untersucht die langfristige Veränderung des Meeres. Demnach sei der Meeresspiegel weltweit um 23 bis 30 Zentimeter angestiegen. Auch Obeysekera sagt, dass Vergleiche von einzelnen Bildern nicht geeignet seien, um diese Veränderung zu belegen.

Catherine Walker sagte hierzu: „Niemand sagt, dass der Anstieg des Meeresspiegels aktuell katastrophal sei.“ Jedoch sei das Problem, „dass auch eine ‚kleine‘ Veränderung große Auswirkungen haben.“

So gehen die Autorinnen und Autoren des NOAA Reports davon aus, dass der Meeresspiegel entlang der Küste der USA zwischen 2020 und 2050 um rund 25 bis 30 weitere Zentimeter steigen wird. Dies wäre ein ähnlicher Anstieg wie zwischen 1920 und 2020.

In einer im Jahr 2020 veröffentlichten Studie in der Fachzeitschrift „Urban Climate“prognostizierten Klimaforschende, dass der Meerespiegel vor New York City unter Umständen schneller ansteigen könnte als im globalen Durchschnitt. Dies liege vor allem am wärmeren Wasser im Mittelatlantik und der Distanz zu den schmelzenden Eiskappen.

Der Weltklimarat der Vereinten Nationen stellte in seinem Bericht aus dem Jahr 2021 fest, dass der menschliche Einfluss sehr wahrscheinlich die Hauptursache für den weltweiten Anstieg des Meeresspiegels „seit mindestens 1971“ sei.

Fazit: Der Meeresspiegel steigt durch den menschengemachten Klimawandel an und ist bereits 30 Zentimeter höher als noch vor 100 Jahren. Dies wurde durch Wissenschaftler zweifelsfrei gemessen. Einzelne Bilder hingegen sind lediglich Momentaufnahmen und bieten keine belastbare Grundlage für Aussagen über den Meeresspiegelanstieg.

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Klimawandel, Umwelt

Autor(en): Till EICHENAUER / Manon JACOB / AFP USA

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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