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Falsches Scholz-Zitat entsprang einem Leserbrief

Falschzitate sind ein beliebtes Mittel, um bekannte Persönlichkeiten in Verruf zu bringen. Sie lassen sich einfach erstellen und schnell verbreiten. Die Herkunft dieser Zitate ist oft sehr abenteuerlich. Im Fall eines Falschzitats, das dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zugeschrieben und derzeit wieder massenhaft geteilt wird (1), führt die Entstehungsgeschichte etwa auf einen Leserbrief in einer österreichischen Zeitung zurück.

Einschätzung: Scholz hat sich im angegebenen Interview nie in der angeführten Art und Weise geäußert. Seine Aussagen wurden in einem Leserbrief thematisiert und interpretiert, was offensichtlich zur Verbreitung des falschen Wortlauts geführt hat.

Überprüfung: Scholz soll dem Falschzitat zufolge eine Kriegserklärung Deutschlands gegen Russland als mögliche Option angeführt haben, um europäische Interessen zu bewahren. „Die Interessen des Volkes dürfe man sowieo nicht allzu Ernst nehmen“ (sic!), wird der deutsche Kanzler scheinbar zitiert. Als Quelle wird ein Interview mit der „Times“ angegeben.

Damit ist vermutlich das US-Magazin „Time“ gemeint, das im April 2022 ein Interview mit Scholz veröffentlichte (2). Die angeblichen Aussagen finden sich darin allerdings nicht wieder. Einige Aussagen könnten allerdings als Grundlage für die falsche Wiedergabe gedient haben.

So sagte Scholz etwa sinngemäß, dass man als Regierungschef Menschen zwar zuhören müsse, aber nicht davon ausgehen sollte, dass die Menschen die Durchführung genau dessen verlangen, was sie vorschlagen (Original: „If you are a good leader you listen to the people, but you never think they really want you to do exactly what they propose“). An einer anderen Stelle trat er dafür ein, dass Deutschland für Europäische Lösungen eintreten sollte, die für alle gut sind und nicht nur für das eigene Land (Original: „We should be the nation that is willing to find the European solutions that are good for all, not just for our country“). Einen deutschen Kriegseintritt erwähnt Scholz in dem Interview an keiner Stelle.

Die Herkunft dieser Behauptung und der Verdrehungen der anderen Aussagen geht vermutlich auf einen Leserbrief in der „Kronen Zeitung“ zurück. Der Text mit dem Titel „Bedenkliche Ansichten von Olaf Scholz“ ist online abrufbar (3) und im Mai 2022 erschienen. Die Autorin verweist hier auch auf das „Time“-Interview. In dem Leserbrief gibt sie die eigene Interpretation der Aussagen Scholz im Interview wieder, ohne ihn direkt zu zitieren. Die viralen Falschzitate wurden vermutlich auf Grundlage ihrer eigenen Worte zu dem Thema verbreitet.

Obwohl das Falschzitat derzeit wieder massiv geteilt wird, kursiert es bereits seit Mai 2022, also direkt nach der Erscheinen des Leserbriefs. Deshalb gab es dazu bereits im letzten Jahr mehrere Faktenchecks, etwa von dpa (4) und Correctiv (5).

Links:

(1) Beitrag auf Facebook: https://go.apa.at/4FM1SDdb (archiviert: https://go.apa.at/59bKF54w)

(2) „Time“-Interview: https://go.apa.at/g5nPHixs (archiviert: https://go.apa.at/vChJTc5C)

(3) Leserbrief in der „Kronen Zeitung“: https://go.apa.at/yyRkOxri (archiviert: https://go.apa.at/CVjTgb6o)

(4) dpa-Faktencheck: https://go.apa.at/vCeteOg8 (archiviert: https://archive.is/gAJ1n)

(5) Correctiv-Faktencheck: https://go.apa.at/Y8uVjhZu (archiviert: https://archive.is/jII3s)

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Politik, Ukraine

Autor(en): APA

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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