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Der schwierige Kampf um die Wahrheit im Ukraine-Krieg

Unterhalten die USA nahe der russischen Grenze in der Ukraine geheime Biowaffen-Labore? Ist die Ukraine kein echter Staat, sondern ein „anti-russisches Projekt“ des Westens? In russischen Medien und Online-Netzwerken tobt nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell ein regelrechter Informations-„Krieg“, und das nicht erst seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine vor fast einem Jahr. Für Aufklärung soll eine europäische Arbeitsgruppe unter Borrells Ägide sorgen.

„Dieser Krieg wird nicht nur von Soldaten auf dem Schlachtfeld geführt, sondern auch auf der Ebene von Informationen“, sagte Borrell am Dienstag bei einer Konferenz zur „ausländischen Manipulation von Informationen“ in Brüssel. Zu dem Thema hat der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) erstmals einen 36-seitigen Bericht veröffentlicht. Er lässt keinen Zweifel: Hinter der gezielten russischen Desinformation stecken in letzter Instanz der Kreml und Präsident Wladimir Putin.

„Die Invasion ist ein Höhepunkt der jahrelangen Informationsmanipulation und Einmischung Russlands, die darauf abzielt, die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zu untergraben“, heißt es in dem Bericht. Bereits seit der Annexion der ukrainischen Krim-Halbinsel 2014 vergleiche Russland die Ukraine mit einem „Nazi-Staat“ oder spreche ihr ganz die Eigenständigkeit ab.

Der deutsche EU-Beamte Lutz Güllner vergleicht die Desinformation mit einer „Kugel“, die verletzt. „Aber dahinter steht eine Waffe, und wir müssen diese Waffe und die dahinter stehende Maschinerie unter die Lupe nehmen“, betont er. Güllner leitet die Abteilung für Strategische Kommunikation im Auswärtigen Dienst der EU. In den vergangenen Jahren haben die EU-Experten nach eigenen Angaben fast 15.000 Fälle von „Pro-Kreml-Desinformation“ aufgedeckt. Ein großer Teil davon betrifft die Ukraine.

Ein konkretes Beispiel ist das Fälschen von Presse-Titeln, die massenhaft in Online-Netzwerken verbreitet werden. Auch deutsche Medien sind Zielscheibe russischer Propaganda geworden. „Ewiger Appetit“ etwa prangt auf dem Titel einer mutmaßlichen Ausgabe des Satiremagazins „Titanic“. Eine Karikatur zeigt den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der Panzer, Raketen sowie Euro- und Dollarnoten verschlingt.

Auch die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ wurde immer wieder von russischer Seite „geklont“, wie es die EU-Experten nennen und wie auch Faktenchecks der Nachrichtenagentur AFP ergaben.

Der EU-Außenbeauftragte Borrell wurde auch selbst Ziel von Desinformation. Massenhaft wurde ein gefälschtes Zitat im Internet verbreitet, nach dem er gesagt haben soll, die Wohnung im Winter auf mehr als 17 Grad zu heizen sei ein „Verbrechen an EU-Werten“. Dass viele Menschen auf solche Fälschungen hereinfallen, lässt sich an den empörten oder belustigten Kommentaren unter den Posts ablesen.

Die Aufklärung lässt sich die EU einiges kosten: Zuletzt flossen mehr als elf Millionen Euro in die Abteilung für Strategische Kommunikation, die rund 40 Experten für Politik oder Sprachen beschäftigt. „Wir sind nicht das Ministerium für Wahrheit“, betont ein Mitarbeiter unter Anspielung auf George Orwells Roman „1984“, in dem das sogenannte Wahrheits-Ministerium selbst für Propaganda und Geschichtsverfälschung verantwortlich war.

Die Arbeitsgruppe East StratCom zur Ukraine veröffentlicht ihre Erkenntnisse auf der Webseite „EU vs Disinfo“ unter anderem auf Englisch, Russisch und Ukrainisch. Die Seite greift allerdings selbst zu plakativen Mitteln. Ein Text über russische Manipulation ist mit einem Bild des Moskauer Kremls illustriert, aus dem Giftschlangen schießen. Auf einem anderen Bild ist ein skrupellos blickender Putin vor einem blutroten Hintergrund mit Bomben und Kreuzen zu sehen.

Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – zählte die Webseite zuletzt laut Borrells Angaben drei Millionen Besucher. „Der Kampf um manipulierte Informationen ist eine der Schlachten unserer Zeit, und wir müssen die Schlacht gewinnen“, meint Borrell.

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Politik, Ukraine

Autor(en): Stephanie LOB, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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