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Die Schweiz will Elektroautos nicht „verbieten“, aber erwägt Beschränkungen im Fall einer ernsten Stromknappheit

Ende 2022 stellte der Schweizer Bundesrat mehrere Maßnahmen vor, um den Stromverbrauch im Land in verschiedenen Szenarien einer Energieknappheit zu senken. Die Regierung schlug unter anderem vor, die Nutzung von Elektroautos auf Fahrten zu beschränken, die als „absolut notwendig“ betrachtet werden. Diese Maßnahmen würden aber nur in einer fortgeschrittenen Knappheit eingeführt werden. Internetnutzerinnen und –nutzer hatten dies aber missverstanden und behaupteten, die Schweiz würde Elektroautos verbieten. Die vorgeschlagenen Beschränkungen wurden allerdings auch von einigen Energieakteuren kritisiert. Bisher wurden aber noch keine entsprechenden Verordnungen verabschiedet.

Die Behauptung kursierte auf Facebook und Twitter. Neben französischsprachigen Beiträgen zum angeblichen Verbot wurde die Behauptung auch auf Englisch auf Instagram geteilt.

Die Behauptung: Auf Facebook ist ein Screenshot des US-amerikanischen konservativen Politblogs „Hot Air“ zu sehen, in dem auf Französisch behauptet wird, dass die Schweiz angeblich Elektroautos im Winter verbieten wolle, um Energie zu sparen. In den Kommentaren stehen ironische Bemerkungen: „Das ist wirklich super (…). Im Winter kann man sie nicht benutzen, um Energie zu sparen (Heizung) und im Sommer wird man sie nicht benutzen können, um Energie zu sparen (Klimaanlage).“ Ein anderer Facebook-User behauptet, dass das Verbot „bald nach Frankreich“ kommen werde.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 20. Januar 2023
 

Die Behauptung wurde mehrere Dutzend Mal auf Französisch geteilt, wobei sich einige Beiträge auf einen Artikel vom französischen Onlinemagazin Jeuxvideo.com oder einen Screenshot, der die britische Boulevardzeitung Daily Mail verlinkt, stützen. Ähnliche Behauptungen wurden auch auf Englisch geteilt und bereits von AFP widerlegt.

„Energieeinsparung: Schweiz will Elektroautos verbieten“, behauptet ebenfalls ein belgischer User, der schreibt, dass die Schweizer Regierung plane, „Elektroautos während Stromausfällen vollständig zu verbieten. Für die restliche Zeit wird empfohlen, sich auf wichtige Fahrten zu beschränken: zur Arbeit, zum Gericht, zum Lebensmittelgeschäft, zum Arzt oder zur Kirche.“

Der Artikel von Hot Air und ein Artikel im deutschen Magazin Focus.de, die von dem belgischen User zitiert werden, erwähnen einen Plan der Schweizer Regierung, in dem mehrere Maßnahmen zur Senkung des Stromverbrauchs im Fall einer Stromknappheit vorgestellt werden.

Angesichts der Befürchtungen einer Stromknappheit hat der Schweizer Bundesrat im November 2022 tatsächlich eine Reihe von Maßnahmen vorgestellt, die im Falle einer Stromknappheit ergriffen werden könnten. Zu den Vorschlägen gehört eine eingeschränkte Nutzung von Elektroautos ausschließlich für Fahrten, die als „absolut notwendig“ erachtet werden. Dieser Schritt wird allerdings erst in der letzten Stufe des Maßnahmenkatalogs im Abschnitt zur Nutzung von Elektrogeräten vorgesehen, das heißt in einer „fortgeschrittenen“ Mangelsituation.

Zu diesem Projekt wurde eine Befragung unter anderem in den Schweizer Kantonen oder bei Vertretern der Energiebranche durchgeführt, deren Ergebnisse derzeit ausgewertet werden. Die überarbeiteten Beschlüsse sollen dann im Februar 2023 erneut dem Schweizer Bundesrat vorgelegt werden. Die vorgeschlagene Maßnahme für Elektrofahrzeuge stößt in der Schweiz aber keineswegs auf ungeteilte Zustimmung.

Eingeschränkte Nutzung bei ernsthafter Knappheit, kein Verbot 

Am 23. November 2022 stellte die Schweizer Regierung ihren Plan vor, mit dem sie das Land auf eine potenzielle Energieknappheit vorbereiten will, wie Schweizer Medien berichteten.

Aufgeteilt in mehrere Verordnungen, sieht der Regierungsentwurf verschiedene Maßnahmen zur Senkung des Stromverbrauchs vor: So könne die Regierung zunächst dazu aufrufen, „den Verbrauch zu senken“. Anschließend könne der Gebrauch bestimmter Geräte eingeschränkt oder verboten werden.

Als letztes Mittel sieht der Bundesrat einen sogenannten Lastabwurf für einige Stunden vor – die vorübergehende Unterbrechung der Stromversorgung in einem Teil des Netzes, um dessen Überlastung zu verhindern.

Die Verordnungsentwürfe können auf der Seite des Schweizer Bundesrates eingesehen werden. Dort heißt es, dass „im Falle einer ernsten Stromknappheit die Maßnahmen an die Schwere des Mangels und die konkrete Situation angepasst würden, bevor die Verordnungen in Kraft treten.“

 

 

Der Abschnitt zur Nutzung von Elektroautos trägt den Titel „Verordnung über Beschränkungen und Verbote der Verwendung elektrischer Energie“. Darin enthalten ist eine Reihe von Einschränkungen und Verboten, die je nach Schwere der Knappheit in drei Stufen unterteilt werden.

Die erste Stufe sieht beispielsweise die Begrenzung von Waschmaschinen auf 40 Grad vor und die zweite Stufe die Begrenzung der Heizung in bestimmten öffentlichen Einrichtungen.

Die Einschränkung der Nutzung von Elektrofahrzeugen wird in Stufe 3 der Verordnung, „Größere Einschränkungen“, erwähnt. In diesem Fall sei „die private Nutzung von Elektroautos nur für absolut notwendige Fahrten erlaubt (beispielsweise für die Ausübung eines Berufs, zum Einkaufen und für Fahrten zum Arzt, zu religiösen Veranstaltungen oder Gerichtsverhandlungen).“

Das Schweizer Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) präzisierte gegenüber AFP am 18. Januar 2023: „Nach diesem ersten Verordnungsentwurf würde die private Nutzung von Elektroautos in die letzte der drei Abstufungen der Nutzungsbeschränkungen aufgenommen werden, das bedeutet, erst dann, wenn drastischere Maßnahmen erforderlich sind, um der Situation der Stromknappheit zu begegnen. Diese wäre dann bereits in einem fortgeschrittenen Stadium.“

Im zweiten Anhang der Verordnung, die zu kompletten „Verboten“ der Nutzung gewidmet ist, werden Elektroautos allerdings nicht erwähnt: Demnach schlug der Bundesrat nicht vor, die Verwendung grundlegend zu verbieten, sondern sie im Falle einer „fortgeschrittenen Knappheit“ zu beschränken.

Markus Spoerndli, Sprecher des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements (EDV), sagte gegenüber AFP am 13. Dezember 2022: „Elektroautos sind in der Schweiz nicht verboten und es ist auch nicht geplant, dass sie verboten werden. Eine potenzielle Einschränkung der Nutzung privater Elektrofahrzeuge ist derzeit in einem ersten Entwurf einer vorläufigen Verordnung als mögliche Maßnahme im Fall einer anhaltenden Stromknappheit enthalten, wenn, und nur wenn, die Stromknappheit nicht durch gemäßigtere Maßnahmen im Voraus behoben werden kann.“

Markus Spoerndli fügte hinzu: „Im Falle einer Energieknappheit würden zunächst Aufrufe zur freiwilligen Beschränkung und leichte Einschränkungen umgesetzt werden. Nur wenn diese Maßnahmen nicht wirksam sind, würden strengere Beschränkungen und Verbote in Kraft treten.“

Bereits im August 2022 stellte der Bundesrat in diesem Video die verschiedenen möglichen Maßnahmen im Falle einer Stromknappheit vor:

 


Screenshot der Verordnung bezüglich Beschränkungen und Verbote der Nutzung von elektrischer Energie, erstellt am 19. Januar 2023.

 

Maßnahmen wurden noch nicht verabschiedet

Der Entwurf des Bundesrates wurde bis zum 12. Dezember 2022 im Rahmen eines beschleunigten Annahmeverfahrens in die Vernehmlassung gegeben. Das bedeutet, dass die oben genannte Verordnung den betroffenen Kreisen – beispielsweise Kantonen oder Vertretern der Energiebranche – vorgelegt wurde, um ihre Meinung zu den verschiedenen vorgeschlagenen Maßnahmen  zu äußern.

Laufende oder abgeschlossene Einsichtnahmen sind auf der Webseite der Plattform für die Veröffentlichung von Bundesrecht „Fedlex“ zu finden. Die Befragung zu den „regulierten Verwaltungsmaßnahmen bei Stromknappheit“ ist schon seit dem 12. Dezember 2022 abgeschlossen.

Die PDF zu dieser Befragung ist online einsehbar. Darin sind die Meinungen verschiedener Schweizer Energieakteure und politischer Akteure wie der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK), der Regionalen Entwicklungsplattform RegioSuisse und der Industrie- und Handelskammer des Kantons Freiburg zu lesen.

Mehrere dieser Akteure üben Kritik an der vorgeschlagenen Nutzungsbeschränkung für Elektroautos: „Es ist nicht angemessen, die Besitzer von Elektroautos zu bestrafen, in einer Zeit, in der dieser Wandel gefördert wird“, schreiben beispielsweise die Vertreter der Direktion der Services industriels Lausanne (SIL), der Industriellen Dienste der Gemeinde Lausanne.

„Da die Zahl der Elektrofahrzeuge noch gering ist, hätte die Maßnahme nur eine begrenzte Wirkung. Abgesehen davon wäre ihre Durchsetzung schwierig“, schreiben auch die Vertreterinnen und Vertreter des Schweizerischen Städteverbandes (SSV).

„Die vorgeschlagene Beschränkung für die Nutzung von Elektrofahrzeugen wird als diskriminierend und unverhältnismäßig angesehen. Elektroautos verbrauchen derzeit nur 0,4 Prozent der gesamten Strommenge in der Schweiz“, erklärt auch die Schweizer AEE, eine Fachorganisation im Bereich der erneuerbaren Energien.

Auf Anfrage von AFP am 21. Dezember 2022 brachte Christoph Wolnik, Sprecher des Autoimporteurverbandes Auto-suisse, ebenfalls seine Ablehnung gegenüber der Maßnahme zum Ausdruck: „Wir hoffen sehr, dass die Regierung diesen Vorschlag zurückziehen wird.“

Die Befragung sei abgeschlossen, ihre Ergebnisse würden nun untersucht, so das Schweizer Bundessamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL). Eine Sprecherin des Bundesamtes sagte: „Die Verordnungsentwürfe werden derzeit überarbeitet und dann erneut dem Bundesrat vorgelegt. Dies ist für Februar 2023 vorgesehen. Allerdings wird es sich auch nach diesem Zeitpunkt um Entwürfe handeln, die der Bundesrat im Falle eines Inkrafttretens an die Situation anpassen wird.

Die in den Verordnungsentwürfen vorgestellten Maßnahmen, einschließlich der Maßnahme für Elektrofahrzeuge, sind daher noch nicht verabschiedet und werden voraussichtlich nicht in diesem Winter in Kraft treten.

Am 20. Januar 2023 zeigte das vom Bundesamt für Energie (BFE) erstellte Energiedashboard der Schweiz, dass die Stromversorgung trotz einer „angespannten Versorgungslage“ zu diesem Zeitpunkt gesichert war.

Am 12. Januar 2023 gab sich der Direktor der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom) beruhigt und versicherte, dass die Schweiz den Winter ohne Strommangel überstehen werde, berichtete das Schweizer Radio und Fernsehen.

Im Jahr 2022 waren in der Schweiz 110.745 Elektroautos zugelassen, was laut dem Statistischen Bundesamt des Landes 2,3 Prozent aller Personenkraftwagen entspricht.

Fazit: Die Schweiz plant nicht, Elektroautos im Winter zu verbieten. Die Schweizer Regierung hat lediglich einen Plan vorgestellt, der Maßnahmen enthält, mit denen einer eventuellen Energieknappheit begegnet werden soll. Die Maßnahmen sind je nach Schwere der Situation in Stufen aufgeteilt, von denen eine auch die Einschränkung, jedoch nicht das Verbot der Nutzung von Elektrofahrzeugen enthält. Bevor dies passiert, müssen aber andere, leichtere Maßnahmen zur Anwendung kommen.

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Politik, Wirtschaft, Umwelt

Autor(en): Marie GENRIES, AFP Belgien

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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