Die Internationale Juristenkommission (ICJ) hat gemeinsam mit den Vereinten Nationen (UNO) einen Leitfaden für den juristischen Umgang mit Sexualität veröffentlicht. In Blogeinträgen und in sozialen Medien wird behauptet, Sex zwischen Erwachsenen und Minderjährigen auf der ganzen Welt soll entkriminalisiert werden. Dies ist falsch. Der Bericht des ICJ, wurde verzerrt dargestellt, und die UNO erklärte gegenüber AFP und öffentlich, dass sie keine derartige Position eingenommen hat.
„Das Internationale Komitee der Juristen (ICJ) und UNAIDS (eine Abteilung der UN) haben einen Bericht veröffentlicht, in dem sie die Entkriminalisierung von Sex zwischen Erwachsenen und Kindern fordern“, so heißt es in einem Blog-Eintrag, der auf Facebook und auf Twitter geteilt wird. Ähnliche Nachrichten sind auch auf anderen Webseiten aufgetaucht und vergleichbare Behauptungen wurden bereits seit Ende April in englischsprachigen Posts auf Instagram, Twitter und auf rechtsgerichteten Webseiten verbreitet.
Die Behauptungen stützen sich auf seit langem bestehende Verschwörungstheorien über Pädophilie, die sich häufig gegen die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen richtet. So gab es bereits Falschmeldungen, die behaupten, das Weltwirtschaftsforum (WEF) habe die Entkriminalisierung von Pädophilie gefordert.
AFP hat bereits zuvorFalschbehauptungen zu Pädophilie untersucht. So wurde etwa die deutsche Politikerin und derzeitige Außenministerin Annalena Baerbock beschuldigt, die Legalisierung von Sex mit Kindern gefordert zu haben.
Leitlinien für Menschenrechte
Die kürzlich erschienen Artikel und Beiträge verzerren die Aussagen eines Berichts der ICJ, einer weltweiten Nichtregierungsorganisation, bestehend aus 60 Anwälten und Richtern, die sich auf die Verteidigung der Menschenrechte konzentriert. Dieser ICJ-Bericht wurde am 8. März 2023, am Weltfrauentag, veröffentlicht und wurde auch dementsprechend genannt: „The 8 March Principles for a Human Rights-based Approach to Criminal Law Proscribing Conduct Associated with Sex, Reproduction, Drug Use, HIV, Homelessness and Poverty“. In dem Dokument werden Ratschläge zur Anwendung von Strafgesetzen im Zusammenhang mit Sex und Gesundheit, einschließlich „einvernehmlicher sexueller Aktivitäten“ gegeben.
Das Dokument ist das Ergebnis eines Treffens zwischen dem ICJ, dem Gemeinsamen Programm der Vereinten Nationen für HIV und AIDS (UNAIDS) und dem UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR im Jahr 2018. Es wurde vom ICJ und nicht von der UNO verfasst. Dies bestätigte UNAIDS gegenüber AFP.
In einer Stellungnahme vom 20. April 2023 wies der ICJ die im Internet kursierenden Behauptungen zurück: „Die Verpflichtung der Vereinten Nationen, die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu bekämpfen, und der Inhalt der ‚The 8 March Principles‘ wurden in den sozialen Medien und auf Websites vielfach falsch dargestellt worden“, sagte der ICJ. „In dem Dokument wird weder die Entkriminalisierung von Sex mit Kindern gefordert, noch die Abschaffung eines vorgeschriebenen Mindestalters für die Einwilligung zum Sex. Vielmehr betont der ICJ, dass die Staaten nach internationalem Recht eindeutig verpflichtet sind, Kinder vor allen Formen des Missbrauchs zu schützen.“
In einem Abschnitt des Dokuments heißt es, dass einvernehmliche sexuelle Handlungen niemals kriminalisiert werden sollten, unabhängig von der Art der sexuellen Aktivität oder vom Geschlecht, von der sexuellen Orientierung oder vom Familienstand der beteiligten Personen.
„Was die Durchsetzung des Strafrechts betrifft, muss jedes vorgeschriebene Mindestalter für die Einwilligung zum Geschlechtsverkehr in nicht diskriminierender Weise angewandt werden. Die Durchsetzung darf nicht an das Geschlecht der Beteiligten oder das Mindestalter für eine Ehe geknüpft werden“, heißt es weiter vonseiten des ICJ. Darüber hinaus könnten sexuelle Handlungen zwischen Personen, die das im jeweiligen Land vorgeschriebene Mindestalter für die Einwilligung zum Geschlechtsverkehr nicht erreicht haben, einvernehmlich sein.Wenn auch nicht im juristischen Sinne.
In diesem Zusammenhang sollte die Durchsetzung des Strafrechts die Rechte und die Fähigkeit von Personen unter 18 Jahren widerspiegeln, Entscheidungen über einvernehmliche sexuelle Handlungen zu treffen. Zudem sollten ihr Recht berücksichtigt werden, in sie betreffenden Angelegenheiten angehört zu werden, so der ICJ gegenüber AFP.
UN spricht von „böswilligen Falschmeldungen“
Diese Passage wurde im Beitrag verwendet, um die UNO zu beschuldigen, Gesetze zu unterstützen, die es Erwachsenen erlauben, Sex mit Kindern zu haben. Diese Behauptungen seien „böswillige Falschmeldungen“, sagte UN-Sprecher Stephane Dujarric während einer Pressekonferenz am 18. April. Der Abschnitt habe mit einvernehmlichen sexuellen Handlungen zwischen Jugendlichen ähnlichen Alters zu tun, sagte Christine Stegling, stellvertretende Direktorin für Politik, Interessenvertretung und Wissen bei UNAIDS.
Bei der Anwendung von Gesetzen sei es nicht angemessen, strafrechtliche Sanktionen gegen Jugendliche ähnlichen Alters für einvernehmliche, nicht ausbeuterische sexuelle Aktivitäten zu verhängen, sagte Stegling gegenüber AFP am 21. April 2023. „Ebenso wird anerkannt, dass Jugendlichen der Zugang zum Gesundheitssystem nicht verwehrt werden sollte. Die UNO ist entschlossen, die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu bekämpfen und hält daran fest, dass sexuelle Ausbeutung und Missbrauch von Kindern ein Verbrechen ist. Die UNO unterstützt die Länder beim Schutz der Kinder.“
Schutz von Minderjährigen
Aziza Ahmed, Juraprofessorin an der Universität Boston, erläuterte gegenüber AFP am 21. April 2023, das Schutzalter und die diskriminierungsfreie Anwendung von Gesetzen. In dem Dokument gehe es um den Schutz von Minderjährigen und nicht darum, sie zu gefährden: „Dieser Bericht fordert weder die Entkriminalisierung von Sex zwischen Erwachsenen und Minderjährigen noch die Entkriminalisierung von Sex mit Kindern“, schrieb Ahmed in einer E-Mail. In dem Bericht des ICJ heißt es, dass die Staaten sicherstellen sollten, dass junge Menschen nicht mit strafrechtlichen Anklagen konfrontiert werden, wenn sie untereinander einvernehmliche Handlungen vornehmen.
Laut Ahmed, könnten Jugendliche in Ländern mit „harten Gesetzen gegen LGBT-Personen“ wegen einvernehmlichem Geschlechtsverkehr strafrechtlich verfolgt werden, z.B. wenn in dem Land das Schutzalter hoch ist und die Gesetze keine Bestimmungen enthalten, die verhindern, dass Kinder vor Gericht gestellt werden. „Wenn die Gerichte fair handeln und sich an diesem Bericht orientieren, sollten sie in der Lage sein, sicherzustellen, dass die tatsächliche Fähigkeit der Einwilligung junger Menschen berücksichtigt wird, anstatt diese Kinder harten strafrechtlichen Sanktionen zu unterwerfen“, sagte Ahmed AFP.
Pädophilie ist eine psychiatrische Störung, die im MSD-Manual der Diagnostik und Therapie definiert ist. Dort wird sie folgendermaßen beschrieben: „Eine pädophile Störung ist durch wiederkehrende, intensive sexuell erregende Phantasien, Triebe oder Verhaltensweisen gekennzeichnet, in die vorpubertäre oder junge Heranwachsende eingeschlossen sind (in der Regel ≤ 13 Jahre). Sie wird nur diagnostiziert, wenn die Menschen ≥ 16 Jahre und ≥ 5 Jahre älter sind als das Kind, das das Ziel der Phantasien oder Verhaltensweisen ist.“ Das medizinische Handbuch weist darauf hin, dass diese Definition nicht unbedingt mit den rechtlichen Kriterien für Kindesmissbrauch übereinstimmt.
Nicht alle Kinderschänder sind pädophil und nicht alle Pädophile verüben Missbrauch. Dies belegen dieses Dokument aus dem Jahr 2011, dieser Bericht des FBI dem Jahr 1992 und dieser Bericht für das US Office of Sex Offender Sentencing, Monitoring, Apprehending, Registering and Tracking.
Fazit: Die UNO will sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern nicht legalisieren. In den Blogeinträgen wurden Aussagen aus offiziellen Berichten verzerrt dargestellt. Vertreter der UNO und der ICJ, sowie unabhängig Experten, haben dies gegenüber AFP bestätigt.