Der Angriff der Hamas auf Israel wird von zahlreichen Falschinformationen begleitet. In sozialen Medien kursieren Videos, die angeblich pro-palästinensische Solidaritätsveranstaltungen in Sankt Petersburg und Moskau am 11. November 2023 zeigen sollen. Die beiden Clips sind allerdings älter und zeigen betende Musliminnen und Muslime in den beiden Metropolen.
„Russland: Tausende Menschen heute auf der Straße zur Unterstützung Palästinas“ heißt es in einem Beitrag in sozialen Medien, in dem zwei Videos großer Menschenansammlungen auf Straßen zeigen. Sie seien angeblich in Sankt Petersburg und Moskau aufgenommen worden und sollen vom 11. November 2023 stammen.
Der Beitrag erreichte auf dem Telegram-Kanal der prorussischen Influencerin Alina Lipp, deren Beiträge bereits wiederholt Falschinformationen enthielten, fast 100.000 Nutzerinnen und Nutzer. Auch auf Facebook und auf Youtube ist das zweite der beiden Videos mit der Behauptung zu finden, es zeige Proteste vom 11. November 2023.
Das erste Video wurde aus einem Auto heraus gefilmt und zeigt hunderte Menschen, die auf offener Straße auf Teppichen beten, auch Ordner und Polizeibeamte sind zu sehen. Das zweite Video wurde von einem Dach aus aufgenommen, das gegenüber einer Moschee mit goldener Kuppel liegt. Auch hier sind, diesmal aus der Vogelperspektive, Menschenmassen auf den angrenzenden Straßen zu sehen.
Der Krieg zwischen Israel und der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas dauert inzwischen bereits mehr als zwölf Wochen an. Am 7. Oktober 2023 waren hunderte Kämpfer der Hamas nach Israel eingedrungen und hatten Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt. Israelischen Angaben zufolge wurden etwa 1200 Menschen getötet und rund 240 Menschen als Geiseln verschleppt.
Als Reaktion begann Israel mit den massiven Angriffen auf Ziele im Gazastreifen. Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden seit dem 7. Oktober 2023 mehr als 18.780 Menschen in dem Palästinensergebiet getötet, die meisten von ihnen Zivilistinnen und Zivilisten.
Die Behauptung, die beiden Videos würden Solidaritätsbekundungen für Menschen aus den palästinensischen Gebieten vom 11. November 2023 zeigen, ist falsch. Zwar gibt es Berichte russischer Medien wie der Staatsagentur „Tass“ oder dem Nachrichtenportal „Komsomolskaya Pravda“ über pro-palästinensische Kundgebungen, beispielsweise in Moskau oder Dagestan, an denen demzufolge vornehmlich Muslime teilgenommen haben. Die Videos aus den Posts stammen jedoch von Zeitpunkten vor dem Angriff der Hamas.
Video zeigt Moschee in Moskau
Der erste Clip, in dem die Moschee mit goldener Kuppel zu sehen ist, zeigt tatsächlich die Kathedralmoschee in Moskau, wie AFP durch eine Suche auf Google Street View herausfand.
Durch eine Stichwortsuche in sozialen Netzwerken und eine umgekehrte Bildsuche fand AFP zudem heraus, dass das Video älter ist als in den Beiträgen behauptet wird: Es wird beispielsweise in diesem Post auf X (ehemals Twitter; Post hier archiviert) vom 22. April 2023 geteilt. In diesem Beitrag ist übersetzt zu lesen: „Unglaubliches Video vom Zuckerfest in Moskau.“ Das Zuckerfest, auch Id al-Fitr genannt, mit dem Muslime weltweit das Ende der Fastenzeit feiern, fand 2023 am 21. April statt. Medien berichteten in Bildern über die Feierlichkeiten in Moskau, auf denen die gleiche Straße zu erkennen ist. Wie das Video zeigt die Aufnahme Menschen, die aufgereiht auf der Straße beten. Auch das Wetter stimmt auf den Aufnahmen und dem Clip überein. Vorab wurden 150.000 Gläubige zum Zuckerfest rund um die Moskauer Moschee erwartet.
Eine Anfrage vom 21. November 2023 von AFP an den X-Nutzer ergab, dass er das Video nicht selbst erstellt hat. Er verwies gegenüber AFP wie auch in einem Kommentar seines Posts auf einen Instagram-Account als mögliche Quelle, eine Anfrage von AFP an die Betreiberin blieb allerdings unbeantwortet. Dort sind neben dem Video auch Bilder (hier archiviert) mit einem Verweis auf ein Feiertagsgebet zu finden, auf denen eine Frau auf dem Dach zu sehen ist, die die gleiche Kleidung trägt wie jene im Video. Ob der Clip von April 2023 stammt oder bereits zuvor entstanden ist, konnte AFP nicht abschließend verifizieren.
Ein Abgleich mit älteren Aufnahmen auf Google Street View zeigt jedoch Unterschiede am Horizont. Im Video sind im Hintergrund Baukräne zu erkennen. Auch in archivierten Aufnahmen von Google Street View aus dem Jahr 2021 steht an dieser Stelle ein Kran, auf Bildern von 2019 ist er hingegen noch nicht zu sehen. Das könnte darauf hindeuten, dass das Video in oder nach diesem Zeitraum aufgenommen wurde.
Sankt Petersburger Moschee in Video zu sehen
Auch im Falle des zweiten Videos ergab eine Stichwortsuche, dass es bereits vor dem 11. November 2023 sowie vor dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 aufgenommen wurde. Sie liefert sowohl ein Video auf Youtube vom 10. Juni 2019 (hier archiviert), als auch einen Beitrag auf X vom 7. Juni 2019 (hier archiviert). In beiden Posts wird der Clip damit beschrieben, Gebete anlässlich des Zuckerfestes zu zeigen. In 2019 endete der Fastenmonat Ramadan mit dem Zuckerfest am 4. Juni. Ein AFP-Foto, das beispielsweise vom Nachrichtenportal „Alarabiya News“ zur Berichterstattung über Feierlichkeiten anlässlich des Zuckerfestes verwendet wurde, belegt, dass in Sankt Petersburg an diesem Tag solche Feierlichkeiten stattgefunden haben. Zudem wurde am 4. Juni 2019 vom russischen Medium „Metronews“ berichtet, dass die nahegelegene U-Bahnstation wegen der Menschenmengen geschlossen wurde.
Im Hintergrund ist kurz nach Beginn des Videos ein Gebäude zu sehen. Eine Suche auf Google Street View nach Moscheen in Sankt Petersburg zeigte, dass das Video tatsächlich von dort stammt und die Sankt Petersburger Moschee in der Straße Kronverkskiy Prospekt 7 zeigt.
Auch eine spätere Sequenz eines anderen Straßenabschnitts lässt sich mit Aufnahmen von Google Street View als Straße in Sankt Petersburg belegen:
Ob das Video bereits vor dem 7. Juni 2019 aufgenommen wurde, konnte AFP hingegen nicht vollends ausschließen. Anfragen an die Moscheen in Sankt Petersburg und Moskau blieben bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung unbeantwortet. AFP hat keine Berichte über Veranstaltungen zu anderen religiösen Festen oder aktuellen pro-palästinensischen Kundgebungen mit so vielen Teilnehmern an diesen Orten gefunden.
Fazit: Die beiden Videos wurden bereits vor dem 11. November 2023 und auch vor dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023, aufgenommen und im Internet hochgeladen. Tatsächlich gab es Berichte über pro-palästinensische Kundgebungen in Russland und die beiden Videos stammen aus Moskau und Sankt Petersburg. Sie scheinen jedoch Feierlichkeiten zum Zuckerfest zu zeigen und sind vermutlich in den Jahren 2019 und 2023 entstanden.