Dieses Schreiben, das dazu aufruft, ukrainische Geflüchtete in Großbritannien zu melden, ist gefälscht - Featured image

Dieses Schreiben, das dazu aufruft, ukrainische Geflüchtete in Großbritannien zu melden, ist gefälscht

In sozialen Netzwerken kursiert ein angebliches Schreiben der britischen Regierung an Familien, die ukrainische Geflüchtete aufgenommen haben. Sie sollen die persönlichen Daten der Ukrainerinnen und Ukrainer an die ukrainische Botschaft übermitteln, andernfalls könnten finanzielle Mittel gestrichen werden. Dieses Schreiben ist eine Fälschung. Das teilte das britische Ministerium, das als Absender genannt wird, AFP mit. Eine mögliche Mobilisierung von Ukrainerinnen und Ukrainern im Ausland, wie einige Beiträge behaupten, kann auch nicht über ein derartiges Verfahren laufen. Das bestätigte ein ukrainischer Jurist.

Seit dem 5. Februar 2023 wurde die Behauptung auf Twitter und Facebook über hundert Mal geteilt. Auch auf Französisch und Englisch wurde das gefälschte Schreiben geteilt.

Die Behauptung: „Geht der Ukraine das Kanonenfutter aus?“, fragt ein Twitter-Nutzer und teilt im Tweet ein Foto eines scheinbar amtlichen Schreibens, das angeblich von der britischen Behörde für Wohnungen namens DLUHC aufgesetzt wurde. Das Department gehört zur Regierungsbehörde für Wohnungswesen, Gemeinden und Kommunalverwaltung in England. „Die britische Regierung weist männliche +18 Flüchtlinge an. Sie müssen bei der Botschaft der Ukraine gemeldet werden oder die Patenfamilie verliert ihre staatlichen Leistungen“, heißt es weiter.

Seit dem 5. Februar wird das Foto auch in Facebook-Beiträgen weiter verbreitet, die behaupten, dass ein Mann namens James dieses Schreiben am 30. Januar 2023 erhalten habe, „der ein junges ukrainisches Flüchtlingspaar beherbergt“.

Twitter-Screenshot der Behauptung: 22. Februar 2023

„Im Klartext heißt das, dass volljährige männliche ukrainische Flüchtlinge, die sich in Europa befinden, über die ukrainischen Botschaften mobilisiert werden. Sie werden zu Militärbasen in Europa geschickt, um den Umgang mit NATO-Material zu trainieren, das dann in die Ukraine übermittelt wird“, schlussfolgerte ein User auf Telegram. Der Text verwies auf einen Artikel vom 4. Februar 2023, der von „Southfront“ veröffentlicht wurde. Diese mehrsprachigein Russland basierte Webseite ist dafür bekannt, Botschaftendes Kremls weiter zu verbreiten.

Das Schreiben stammt nicht vom DLUHC 

Schon auf den ersten Blick weist das Dokument einige Ungereimtheiten auf. Die Begriffe “precising” und “under the Inquiry” sind unübliche Formulierungen, die ein Muttersprachler in diesem Zusammenhang eher nicht verwenden würde.

Das Schreiben wurde angeblich von Michael Gove, dem für das DLUHC zuständigen Staatssekretär, unterzeichnet. Es bezieht sich auf das Programm „Homes for Ukraine„, das in Großbritannien nach der russischen Invasion in der Ukraine eingerichtet wurde. Es ermöglicht britischen Bürgerinnen und Bürgern freiwillig ukrainische Flüchtlinge vorübergehend bei sich aufzunehmen und auf Wunsch eine monatliche Unterstützung von 350 Pfund (circa 400 Euro) zu erhalten. In dem Brief heißt es: „Lieber Flüchtlingsgastgeber, […] dieses Schreiben informiert Sie darüber, dass das Department for Levelling Up, Housing and Communities und das Innenministerium der britischen Regierung auf Ersuchen der ukrainischen Botschaft im Vereinigten Königreich Flüchtlingspatinnen und -paten dazu auffordern, der betreffenden Behörde die folgenden Informationen per Post oder per E-Mail zukommen zu lassen.“

Es folgen vier Fragen, dazu ob der Gastgeber oder die Gastgeberin einen oder mehrere ukrainische Flüchtlinge beherbergt oder beherbergte und ob darunter Männer ab 18 Jahren sind. Zu ihnen sollen verschiedene Angaben gemacht werden (Name, Vorname, Alter, Adresse). Das Schreiben endet mit einer sehr konkreten Forderung: „Der Gastgeber oder die Gastgeberin muss diese Flüchtlinge dazu auffordern, die ukrainische Botschaft in Großbritannien aufzusuchen, um diese Daten individuell zu übermitteln. Andernfalls könnten dem Gastgeber oder der Gastgeberin finanzielle Zuwendungen gekürzt werden.“

Auf AFP-Anfrage vom 7. Februar 2023 bestätigte das DLUHC, „dass [dieses Schreiben] nicht aus dem Department stammt“. Am 6. Februar 2023 hatte  Behörde zudem in einem Tweet mitgeteilt, dass „die betrügerischen Briefe an die Gastgeber des Programms ‚Homes for Ukraine‘, die in sozialen Netzwerken kursieren, nicht vom [DLUHC] stammen“.

 

Das gefälschte Dokument enthält auch keinen Hinweis auf eine militärische Einberufung von im Ausland lebenden ukrainischen Staatsangehörigen, wie einige der Beiträge behaupteten.

Keine gesetzliche Regelung für die Ausstellung von militärischen Einberufungen im Ausland

Am 23. Februar 2023, dem Vorabend der russischen Invasion in der Ukraine, hatten die ukrainischen Landstreitkräfte die Mobilisierung der Reservisten ihrer Armee „im Alter von 18 bis 60 Jahren“ angekündigt. „Die maximale Dienstdauer beträgt ein Jahr“ hieß es damals, und die Weigerung, sich dieser Einberufung ohne plausiblen Grund zu stellen, könne in diesem Land, das neben den 250.000 Mitgliedern der regulären Streitkräfte mehr als 200.000 Reservisten zählt, mit „strafrechtlichen und administrativen Sanktionen“ geahndet werden.

Am nächsten Tag, nachdem die russischen Streitkräfte in die Ukraine einmarschiert waren, ordnete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem Erlass die allgemeine Mobilisierung der „wehrpflichtigen“ Bürger und „Reservisten“ in allen Teilen des Landes innerhalb von 90 Tagen an.

Wladyslaw Zaitsev ist Jurist bei der Anwaltskanzlei Ares und ehrenamtlicher Mitarbeiter der Ukrainian Bar Association (UBA), einem Zusammenschluss ukrainischer Juristinnen und Juristen. Wie er am 8. Februar 2023 gegenüber AFP erklärte, „unterliegen derzeit alle Ukrainer und Ukrainerinnen zwischen 18 und 60 Jahren der Wehrpflicht, die aufgrund der allgemeinen Mobilisierung in Kraft ist, auch wenn das Gesetz einige Ausnahmen vorsieht“. Darunter fallen Eltern von drei oder mehr Kindern unter 18 Jahren, Alleinerziehende oder Ehepartnerinnen und Ehepartner von Menschen mit Behinderung.

Auch wenn diese Einberufung für ukrainische Staatsangehörige dieser Altersgruppe gilt, die im Ausland leben, so muss diese Mobilisierung „unter Einberufung“ erfolgen, so Zaitsev weiter. Der Jurist betonte jedoch, dass „es im derzeit geltenden ukrainischen Recht keine Regelung gibt, die es ermöglicht, Ukrainerinnen und Ukrainern im Ausland Einberufungen zum Militärdienst auszustellen“.

Nach dem derzeitigen Stand müssen „ukrainische diplomatische Einrichtungen im Ausland“, wie Konsulate und Botschaften, lediglich „vorübergehend in konsularischen Listen eingetragene Bürgerinnen und Bürger“ über den Beginn der Einberufung ukrainischer Bürgerinnen und Bürger informieren und die „Militärakten der in diesen Listen eingetragenen Wehrpflichtigen und Reservisten“ aufbewahren. So steht es in der von der ukrainischen Regierung am 30. Dezember 2022 verabschiedeten Resolution Nr. 1487, deren Bestimmungen die offizielle Touristeninformationsseite Visit Ukraine – die seit dem 25. Februar 2022 in ein Informationsportal zum militärischen Konflikt umgewandelt wurde – zusammenfasst.

„Ukrainische Konsulate und Botschaften müssen eine Liste der Wehrpflichtigen, der Personen im wehrpflichtigen Alter und der Reservisten führen, die derzeit vorübergehend bei der Botschaft oder dem Konsulat gemeldet sind“, so Visit Ukraine. Diese Institutionen sind außerdem verpflichtet, verschiedene ukrainische Institutionen, darunter „territoriale Rekrutierungszentren und Sozialhilfezentren“, „innerhalb von sieben Tagen“ über jede „Ergänzung oder Streichung“ in diesen konsularischen Registern zu informieren.

Praktisch gesehen muss die ukrainische Botschaft im Vereinigten Königreich also nicht auf ein Ministerium der britischen Regierung in Vermittlungsposition zurückgreifen, um persönliche Informationen über ihre Staatsangehörigen zu erfragen.

In der Ukraine gibt es verschiedene Arten von militärischen Einberufungen

Die Beiträge rund um eine angebliche Mobilisierung von in Großbritannien lebenden Ukrainerinnen und Ukrainern durch die ukrainische Botschaft reagieren auf ein Video, das Ende Januar 2023 in sozialen Netzwerken kursierte und angeblich die „Zwangsmobilisierung“, oftmals gewaltsam, verschiedener ukrainischer Bürgerinnen und Bürger durch das Militär auf offener Straße zeigen sollte.

„Menschen in Uniform lauern überall auf Männer, ohne genauer auf ihr Alter oder ihren Gesundheitszustand zu achten. Wenn jemand die Einberufung nicht akzeptieren will, wenden sie Gewalt an, ohne dem Opfer auch nur die geringste Chance zu geben, sich gegen die Front zu entscheiden“, behauptet einer der Beiträge zu dieser Sequenz.

Facebook-Screenshot vom 8. Februar 2023

Wie Wladislaw Zaitsev betont: „Der Erhalt einer Einberufung führt nicht zwangsläufig dazu, dass man an die Front geschickt wird. Es kommt auf die Art der Einberufung an. Es kann sich dabei um eine Einberufung handeln, die bestimmte persönliche Daten – Adresse, Beschäftigung, Familienstand – aktualisieren soll, was je nach Fall zu einer Befreiung von der Wehrpflicht führen kann. Es kann sich auch um eine Einladung zu einer medizinischen Untersuchung handeln, bei der festgestellt werden soll, ob man für den Militärdienst geeignet ist.“

Schließlich kann ein solches Dokument auch „den Empfänger zum Militärdienst einberufen“ oder bei Bürgern, die nach ihrer medizinischen Untersuchung als militärtauglich eingestuft wurden, als „Einberufungsbefehl“ fungieren. Das führt ebenfalls nicht unbedingt zu einer Einberufung in die Armee, wenn diese Personen nicht „zuvor ihren Militärdienst“ geleistet haben, da sie „dann eine Ausbildung absolvieren müssen, bevor sie sich den militärischen Einheiten anschließen.“

Roman Horbach ist Leiter der Personalabteilung des Kommandostabs der Landesstreitkräfte der ukrainischen Armee. Er wurde Ende Januar 2023 sowohl von Visit Ukraine als auch von Channel24 zitiert und sagte, dass die Betroffenen in den meisten der kürzlich verteilten Einberufungen dazu aufgefordert werden, sich in Militärzentren zu begeben, um ihre Personalakte auf den neuesten Stand zu bringen.

Fazit: Dieses angebliche Schreiben der britischen Regierung ist eine Fälschung. Das bestätigten das zuständige britische Ministerium sowie ein ukrainischer Jurist gegenüber AFP. In der Ukraine gibt es verschiedene Typen der Einberufung, die nicht alle zwangsläufig bedeuten, dass ein Staatsangehöriger oder eine Staatsangehörige der Ukraine Militärdienst an der Front leisten muss.

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Politik, Ukraine

Autor(en): Alexis ORSINI, AFP Frankreich, AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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