Dieses Video zeigt keinen aktuellen Thermit-Angriff auf die Ukraine - Featured image

Dieses Video zeigt keinen aktuellen Thermit-Angriff auf die Ukraine

„Großer Thermitsturm auf Ukrainische-Stellungen“: Ein Video mit diesem Titel veröffentlichte die Facebook-Seite „Ministerium der russischen Luftstreitkräfte“ am 20. November 2022 in aktuellem Kontext. Der Beitrag wurde mehr als 41.800 Mal aufgerufen. Das Video zeigt angeblich einen Angriff auf eine ukrainische Stellung im Donbass. Konkret auf die 80. Luftlandebrigade der ukrainischen Armee, die laut russischen Medienberichten mehr als zehn russische Kriegsgefangene exekutiert haben soll.

Doch ist in diesem Video wirklich ein aktueller Vergeltungsschlag Russlands zu sehen? Anders als behauptet, ist das Video nicht aktuell, es kursierte schon Ende Juli auf Twitter. Laut einem Bombentechniker, den CORRECTIV.Faktencheck kontaktierte, zeigen die Aufnahmen tatsächlich den Einsatz von Thermit-Submunition. Unklar bleibt aber, wann und wo genau und in welchem Kontext das Video aufgenommen wurde.

Zu erkennen ist zunächst nicht viel: Das Video ist knapp eineinhalb Minuten lang. Gefilmt wird ein flaches Gelände, Gebäude und Details sind nicht erkennbar. Leuchtkörper, die an Feuerwerk erinnern, explodieren am Himmel und in Bodennähe.

Das "Ministerium der russischen Luftstreitkräfte" veröffentlichte am 20. November ein Video mit dem Titel "Großer Thermitsturm auf Ukrainische-Stellungen"
Ein angebliches russisches Ministerium verbreitet ein altes Video auf Facebook, es soll einen Thermitangriff auf die Ukraine zeigen (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)


Video tauchte bereits Ende Juli auf Twitter und Bitchute auf

Andere Beiträge in Sozialen Netzwerken geben Hinweise, wo das Video entstanden sein könnte. Die Aufnahme verbreitete sich auch auf Reddit,Youtube, Twitter und Telegram. Teils heißt es, das Video zeige das Dorf Berestove, anderswo wird behauptet, es zeige die Stadt Bakhmut – beides liegt in der Region Donetsk in der Ukraine.

Das Video stammt nicht von November 2022, wie in einigen dieser Beiträge behauptet wird. Durch eine Google-Suche nach den Schlagworten „Berestove“ und „Thermite“ finden wir einen Tweet mit denselben Aufnahmen vom 28. Juli 2022.

Ein Twitter-Posting vom 28. Juli, es zeigt dasselbe Video.
Schon im Juli tauchte die Aufnahme auf Twitter auf. (Quelle: Twitter, Facebook und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Später am 28. Juli tauchte die Aufnahme in einer längeren und in einer kürzeren Version auch auf dem Videoportal Bitchute auf, als Aufnahmeort wird auch in diesen Fällen das Dorf Berestove genannt. Die einzelnen Videos sind im Vergleich mit jenen aus November teils unterschiedlich lang oder werden in unterschiedlicher Geschwindigkeit abgespielt, doch sie alle zeigen dieselbe Aufnahme.

Screenshots aus verschiedenen Videos belegen, dass sie alle die selbe Aufnahme zeigen, aber unterschiedlich schnell abspielen.
Ein Vergleich des Videos, das im Juli auf Twitter veröffentlicht wurde (links) und jenem, das im November auf Facebook kursierte (rechts). Die Bilder sind bei Sekunde 2 und Sekunde 10 identisch und auch bei Sekunde 47 und 48. – das zeigt, dass das später veröffentlichte Video schneller abgespielt wird, als jenes aus Juli. (Quelle: Twitter, Facebook; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Der Ursprung des Videos bleibt unklar – ob das Video im Juli aktuell war, lässt sich daher nicht eindeutig sagen.

Liveuamap: Keine Angriffe mit Thermit auf Berestove oder Bachhmut Ende Juli gemeldet

Als das Video im November erneut auftaucht, wird in manchen Beiträgen nicht das Dorf Berestove, sondern die Stadt Bachmut als Aufnahmeort genannt. So auch im Newsticker und im Youtube-Beitrag des britischen Telegraph. Auf eine Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck, warum man im November annahm, das Video sei aktuell, antwortete die Pressestelle am 7. Dezember, man untersuche die Angelegenheit und melde sich, wenn es dazu ein Ergebnis gebe.

Das Dorf Berestove und die Stadt Bachmut (ehemals Artemiwsk) liegen in der Region Donbass und etwa eine halbe Stunde Autofahrt voneinander entfernt. Dass beide Orte sowohl Ende Juli, als auch im November, als das Video erneut auftauchte, ins Kriegsgeschehen involviert waren, zeigt die Liveuamap – eine Karte, die anhand verschiedener Quellen das Kriegsgeschehen aufzeichnet und von einer Nichtregierungsorganisation betrieben wird.

Ein Screenshot von Google Maps zeigt, dass Berestove und Bachmut 35 Minuten Autofahrt voneinander entfernt liegen.
Die Stadt Bachmut und das Dorf Berestove liegen gut eine halbe Stunde Fahrt voneinander entfernt. (Quelle: Google Maps; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Laut dieser Karte beschoss Russland am 26. Juli das Dorf Berestove, am selben Tag wurden auch Explosionen in Bachmut berichtet. Am 28. Juli seien zudem in Bachmut drei Menschen getötet worden.

Es gibt auch mehrere Medienberichte über Angriffe mit Brandmunition auf die Stadt Donetsk – mehr als 100 Kilometer Autofahrt von Berestove entfernt – in der Nacht auf den 24. Juli. Viele Berichte stützen sich auf einen Twitter-Beitrag des britischen Forschers Rob Lee, in dem auch Videos gezeigt werden – allerdings andere, als jene, die nun kursieren. Auch für diesen Tag finden wir keinen Angriff mit Brandmunition in der Liveuamap.

Am 18. und am 20. November wurde Berestove laut der Liveuamap beschossen. In Bachmut wurde am 19., 20. und am 21. November Beschuss gemeldet. Der Einsatz von Brandmunition wie Thermit, ist allerdings durch die Karte der NGO nicht dokumentiert.

Der ukrainische Armeeoffizier Anatoli Stefan veröffentlichte am 20. November ein Video mit dem Hinweis, dass es Beschuss in Bachmut zeige. Am selben Tag veröffentlichte er ohne nähere Angaben aber auch das veraltete Video.

Laut Experte zeigt das Video Thermit-Submunition

Wo oder wann genau das Video aufgenommen wurde, kann also nicht mit Sicherheit gesagt werden. Aber zeigt es einen Thermit-Angriff?

Thermit ist ein Gemisch aus Aluminium-Granulat und Metalloxid und die Grundlage für das sogenannte Thermit-Schweißen, das etwa im Schienenbau eingesetzt wird. Thermit ist aber – so wie andere gut brennende Stoffe wie Magnesium oder Phosphor – auch militärisch als Brandmunition im Einsatz. Human Rights Watch schreibt über Brandmunition, diese könne „Verbrennungen, Atemwegsschäden, Schock, Erstickung und Kohlenmonoxidvergiftung verursachen, was oft zu einem langsamen Tod führt“.

Wir haben das Video über den angeblich aktuellen Thermit-Angriff der Organisation Cat-Uxo, die eine Datenbank für explosive Sprengkörper betreibt, per Mail geschickt. Richard Stevens, Gründer von Cat-Uxo, ehemaliger Kampfmittelbeseitigungssoldat und ziviler Bombentechniker schrieb uns: Im Video sei der Einsatz der Brandmunition 9N510 (ML-5), die von 122-mm-Grad-Raketen abgefeuert werde, zu sehen.

Auf der Webseite von Cat-Uxo finden sich sowohl zu der Munition, als auch zu der Rakete, die die Munition transportiert, nähere Informationen. Demnach werde die Rakete von einem Mehrfachraketenwerfsystem abgefeuert und normalerweise gegen „Personen und brennbare Ziele eingesetzt“. Sie könne mit verschiedenen Gefechtsköpfen bestückt werden, etwa mit chemischen Gefechtsköpfen, Brandköpfen, Rauchköpfen oder mit Submunition. Eine solche Submunition ist 9N510 (ML-5). Sie sei, so steht auf der Cat-Uxo-Seite, dafür da, „große Brände in Gebieten mit Vegetation und anderen brennbaren Materialien zu erzeugen“. Diese Brandbomben würden ein thermitartiges Gemisch enthalten und würden beim Auswerfen gezündet werden.

Aufnahmeort des Videos ist unklar, Thermit war bereits in der Vergangenheit im Einsatz

Niklas Masuhr, er arbeitet am Züricher Zentrum für Sicherheitsstudien und forscht unter anderem zu Militärstrategien, erklärt auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck, dass Thermit deswegen „militärisch attraktiv“ sei, weil es „quasi nicht zu löschen ist“. Doch wer die Thermit-Rakten abgefeuert hat, ist unklar. Laut Masuhr wisse man „definitiv“, dass Russland im Besitz solcher Munition sei, „scheinbar“ besitze aber auch die Ukraine welche.

Marina Miron vom King’s College in London sagte dem US-amerikanischen Magazin Newsweek im September: „Sowohl die Ukraine als auch Russland verfügen über Brandraketen.“ Der bloße Einsatz einer solchen Munition sei also kein Beweis für einen russischen Schlag, so Masuhr, basierend auf den bisher beobachteten Dynamiken des Krieges sei das aber „am Wahrscheinlichsten“.

Nach seinen Informationen sei Thermit im Angriffskrieg gegen die Ukraine „vor allem entlang der Donbassfront und in Mariupol eingesetzt worden“. Dazu gibt es auch Medienberichte: Der Spiegel berichtete etwa über einen Thermit-Angriff auf das Asow-Stahlwerk in Mariupol.

Übrigens: Das „Ministerium der russischen Luftstreitkräfte“ ist kein echtes Ministerium. Dieselbe Facebook-Seite veröffentlichte bereits im April 2022 eine manipulierte Aufnahme eines russischen Militärtransporters, auf dem alle Buchstaben des Alphabets zu lesen waren. Es handelte sich offenbar um einen Scherz. Schon 2018 bestätigte die russische Botschaft in Berlin der Mitteldeutschen Zeitung, dass die Seite nichts mit dem russischen Verteidigungsministeriums zu tun habe. Auch aktuell wird kein Ministerium mit einer solchen Bezeichnung auf der Seite der russischen Regierung geführt.

Fazit: Es ist unklar, wann und wo genau das Video aufgenommen wurde. Das Video ist jedoch nicht, wie behauptet, im November entstanden, nachdem einige russische Soldaten in der Ukraine mutmaßlich getötet wurden. Es kursierte bereits im Juli 2022 im Internet. Wer dabei wen angriff, lässt sich nicht sagen. Im Zuge des Krieges wurde mehrfach berichtet, dass Thermit bei Angriffen gegen die Ukraine eingesetzt worden sei.

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Redigatur: Matthias Bau, Sarah Thust

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Beschreibung der 9N510 (ML-5) Submunition auf Cat-Uxo: Link (Englisch)
  • Beschreibung der Rakete 122mm 9M22S (9M22C) auf Cat-Uxo: Link (Englisch)
  • Twitter-Beitrag vom 28. Juli 2022: Link (Englisch, archiviert)
Fact Checker Logo

Ukraine

Autor(en): CORRECTIV

Ursprünglich hier veröffentlicht.

Nach oben scrollen