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Früherer LKA-Präsident verbreitet Fakes über Covid-Impfungen

Vor einem Vierteljahrhundert war Uwe Kranz von seinen Aufgaben als Präsident des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA) entbunden worden. Danach arbeitete er auf diversen Positionen im europäischen Sicherheitsbereich. In der Corona-Pandemie macht er nun mit fragwürdigen Behauptungen etwa über Impfungen, angebliche Impfschäden oder vermeintliche Impftote von sich reden. Video-Interviews mit ihm werden von Zehntausenden angeklickt. Doch viele der Behauptungen, die Kranz hier oder hier als vermeintliche Tatsachen verkauft, sind völlig haltlos.

Behauptung

Die Corona-Impfungen sei nicht wirksam und schütze weder einen selbst noch andere (Video ab 7:11 Min.).

Bewertung

Falsch. Kranz stellt diese Behauptung gegen jede wissenschaftliche Erkenntnis auf. Das Robert Koch-Institut (RKI) beschreibt immer wieder sehr genau den Nutzen der Impfungen – und dass der Anteil Ungeimpfter an schweren Covid-Verläufen viel höher ist.

Fakten

Es stimmt, dass sich auch Geimpfte mit dem Coronavirus infizieren, im Krankenhaus landen oder gar an Covid-19 sterben können. Keine Impfung auf dieser Welt ist zu 100 Prozent wirksam.

Die Schutzwirkung ist einige Tage nach einer Corona-Impfung am höchsten und lässt dann langsam nach. Das RKI schreibt Anfang März 2023: Mehrere Monate nach einer Impfung könne eine Infektion oder milde Verlaufsform von Covid-19 «inzwischen nur noch in geringem Maße» verhindert werden. Doch nach Auswertung der Corona-Fälle unter Einbeziehung des Impfstatus um den Jahreswechsel 2022/2023 sei festzustellen, «dass der kleine Anteil der ungeimpften Bevölkerung einen verhältnismäßig großen Teil der Covid-19-Fälle mit schwerem Verlauf stellt».

Zur Erinnerung: Wochenlang machten etwa ein Jahr zuvor – um den Jahreswechsel 2021/2022 – Ungeimpfte die Mehrheit der Covid-Fälle auf Intensivstationen deutscher Krankenhäuser aus.

Konkret schreibt das RKI in einem Papier von Mitte Januar: Die Wirksamkeit der Grundimmunisierung (zwei Impfungen) gegen einen Krankenhausaufenthalt wegen Covid-19 liege im Schnitt bei gut 55 Prozent, nach einer dritten Dosis bei mehr als 81 Prozent und nach insgesamt vier Impfungen bei knapp 96 Prozent. Das gelte auch für die aktuell kursierende Omikron-Variante.

Behauptung

Ärzte hätten Hunderttausende Nebenwirkungen der Corona-Impfungen nicht gemeldet (Video ab 6:41 Min.). Das bundesweit zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) werde nur über fünf Prozent der Fälle informiert (Video ab 7:05 Min.).

Bewertung

Unbelegt. Kranz bringt keinerlei fundierte wissenschaftliche Nachweise für seine steile These, sondern zieht Schlussfolgerungen aus an sich schon fragwürdigen Erhebungen und Umfragen.

Fakten

Nach Paragraf 6 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) müssen Ärztinnen und Ärzte den «Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung» namentlich dem Gesundheitsamt melden. Die Gesundheitsämter wiederum sind nach Paragraf 11 IfSG dazu verpflichtet, die gemeldeten Verdachtsfälle «unverzüglich» der zuständigen Landesbehörde und dem PEI zu melden.

Daneben ist es außerdem möglich, dass das PEI von Betroffenen oder im Namen Betroffener direkt über Verdachtsfälle informiert wird.

Nirgendwo sind bisher nachvollziehbare Beweise vorgelegt worden, dass die Ärzteschaft ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkomme, und es beim PEI zu einer flächendeckenden Untererfassung gekommen sei, die angeblich bis in die Hunderttausende reiche.

Auch legt LKA-Präsident a.D. Kranz im Video keine Belege für seine Unterstellung vor. Er behauptet ohne jeglichen fundierten wissenschaftlichen Nachweis, das PEI erfasse lediglich «wenn es hochkommt (…) drei bis fünf Prozent aller bekannten Nebenwirkungen». Auf diese völlig aus der Luft gegriffenen Zahl baut er seine weitere Argumentation auf. Die Quellen, die er dafür anscheinend als wichtig erachtet, sind so fragwürdig wie Kranz‘ Aussagen selbst – wie die folgende beiden Behauptungen zeigen.

Behauptung

Die Krankenkasse BKK Provita habe im Jahr 2021 unter ihren mehr als 11 Millionen Versicherten 456 000 Impfnebenwirkungen festgestellt. Eine Erhebung unter den rund 11 Millionen Mitgliedern der Techniker Krankenkasse (TK) habe auch dort weitere rund 453 000 Impfschäden ergeben. Im Gegensatz dazu führe das PEI für ganz Deutschland insgesamt nur etwa 244 000 auf (Video ab 17:10 Min.).

Bewertung

Falsch. Ein Vergleich ist nicht möglich, da die Krankenkassen nicht unterschieden zwischen vorübergehenden Symptomen nach einer Impfung und tatsächlich schweren, anhaltenden Gesundheitsproblemen.

Fakten

Richtig ist, dass zwischen offiziellem Impfstart am 27. Dezember 2020 und 31. Dezember 2021 dem PEI 244 576 Verdachtsfälle auf Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung gemeldet wurden. Doch mit den Daten von BKK Provita und TK ist überhaupt kein Vergleich möglich.

Beide Krankenkassen haben nämlich auch kurzzeitige Impfreaktionen erfasst, wie diese ausführlichen dpa-Faktenchecks (hier und hier) zeigen. In den jeweiligen Erhebungen wird nämlich nicht unterschieden zwischen vorübergehenden Symptomen nach einer Impfung wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Schmerzen an der Einstichstelle und tatsächlich schweren, anhaltenden Gesundheitsproblemen.

Lokale, vorübergehende und allgemeine Reaktionen, die beispielsweise auch schon bei klinischen Prüfungen der Impfstoffe festgestellt wurden, müssen nicht an das PEI gemeldet werden, wie etwa das RKI erläutert. In den Abrechnungen der Ärzte und Ärztinnen bei den Krankenkassen tauchen diese aber sehr wohl auf. Denn: Patienten, die sich zum Beispiel nach einer Impfung zu schlapp fühlen, um arbeiten zu gehen, konsultieren den Arzt für eine Krankschreibung. Dazu müssen die Patienten aber nicht unbedingt behandelt werden.

Die Ärzte rechnen ihre Diagnosen später natürlich bei den Krankenkassen ab. Und daher fließen dort eben auch solche Krankheitsbilder ein, die im Sinne des Arzneimittelgesetzes nicht zu den schwerwiegenden Impfreaktionen gehören – und daher auch nicht an das PEI gemeldet werden müssen. Zwar können auch milde Reaktionen lästig sein – unerwartet oder gar gefährlich sind sie aber nicht.

Behauptung

Die Charité habe in einer Studie unter 40 000 Probanden festgestellt, dass 0,8 Prozent schwerwiegende Impfschäden nach der Corona-Impfung erlitten hätten. Beim PEI seien es hingegen nur 0,02 Prozent (Video ab 19:20 Min.).

Bewertung

Falsch. Bei dem Charité-Papier handelt es sich nicht um die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie, sondern um Antworten in einer offenen Internetumfrage, an der jeder teilnehmen konnte.

Fakten

In der sogenannten ImpfSurv-Umfrage des Studienleiters Harald Matthes wurden im Frühjahr 2021 Teilnehmer dazu angerufen, einen Fragebogen über an sich selbst beobachtete Impfreaktionen und Nebenwirkungen auszufüllen. Nach damaligen Angaben des Professors habe sich eine Nebenwirkungsrate von 0,8 Prozent gezeigt.

Auffällig ist: Menschen, die sich gegen Sars-CoV-2 haben impfen lassen, seien direkt in Impfzentren und über Mails angefragt worden, ob sie teilnehmen würden, erklärte Matthes damals der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Sie sollten einen Fragebogen über an sich selbst beobachtete Impfreaktionen und Nebenwirkungen ausfüllen. Es wurde aber nicht kontrolliert, ob die Angaben der Wahrheit entsprechen. Ein Abgleich mit ärztlichen Befunden etwa fand nicht statt.

Auch in Gruppen des Messenger-Dienstes Telegram, der bei Impfgegnern große Beliebtheit erfährt, wurde zur Teilnahme aufgerufen. Eine Datenerhebung in dieser Form führt in der Regel später nicht zu repräsentativen Ergebnissen.

Ein Charité-Sprecher teilte der dpa seinerzeit mit Blick auf Matthes‘ Erhebung und mögliche Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung mit: «Diese Datenbasis ist nicht geeignet, um konkrete Schlussfolgerungen über Häufigkeiten in der Gesamtbevölkerung zu ziehen und verallgemeinernd zu interpretieren.»

Behauptung

Bis August 2022 habe die Europäische Arzneimittelbehörde EMA mehr als zwei Millionen Impfschäden registriert (Video ab 11:12 Min.).

Bewertung

Falsch. Die EMA-Daten stellen lediglich Verdachtsfälle von vermuteten, aber keineswegs bestätigten Nebenwirkungen dar. Nutzen und Risiken der Impfung sind daraus nicht ableitbar.

Fakten

In der EMA-Datenbank werden Symptome gesammelt, die nach der Einnahme oder Anwendung eines Arzneimittels zu beobachten sind. Die Angaben betreffen aber lediglich Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, «die aber nicht notwendigerweise mit dem Arzneimittel in Zusammenhang stehen oder von ihm verursacht wurden», wie die EMA selbst schreibt.

Weiter heißt es: «Angaben zu Verdachtsfällen von Nebenwirkungen dürfen nicht so verstanden werden, als hätte das Arzneimittel oder der Wirkstoff die beobachtete Wirkung verursacht oder als sei das Arzneimittel oder der Wirkstoff nicht sicher in der Anwendung.» Soll heißen: Belastbare Schlussfolgerungen über Nutzen und Risiken eines Arzneimittels können nur durch eine wissenschaftliche Auswertung dieser Verdachtsfälle getroffen werden, nicht auf Basis dieser Datenbank.

Bis Mitte April 2023 waren für die verschiedenen Corona-Impfstoffe in der EMA-Datenbank mehr als 2,2 Millionen Verdachtsfälle auf Nebenwirkungen verzeichnet. Einzelne Fälle werden mitunter mehrfach aufgeführt, wenn Betroffene nach der Impfung mehrere mögliche Nebenwirkungen zeigen, wie eine EMA-Sprecherin der dpa in der Vergangenheit erklärte.

Behauptung

Ungeimpfte Kinder seien teilweise nicht in Kitas gelassen worden, «weil der Staat sagt: Du nicht, nur Geimpfte!», behauptet Kranz (Video ab 12:16 Min.).

Bewertung

Kranz legt keinerlei Belege dafür vor. Es gab nie eine gesetzliche Corona-Impfpflicht in deutschen Kindergärten.

Fakten

Diese Behauptung ist völlig aus der Luft gegriffen. Für Kinder und Jugendliche bestand nie eine Pflicht (S. 2), sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. «Der Staat» hat keinerlei Regelung verabschiedet, wonach ungeimpften Kindern der Zugang zu Kitas oder Schulen zu verwehren gewesen wäre.

Für den Großteil der Kinder im Alter bis einschließlich vier Jahren kommt weiterhin eine Corona-Impfung sowieso überhaupt nicht in Frage: «Gesunden Kindern ohne Kontakt zu Risikopersonen wird derzeit keine Covid-19-Impfung empfohlen», beschreibt das RKI die Feststellung der Ständigen Impfkommission (Stiko). Allen 5- bis 11-jährigen Kindern wird seit Mai 2022 empfohlen, sich impfen zu lassen. Allerdings heißt das natürlich nicht, dass dies verpflichtend wäre.

Behauptung

Autismus sei eine Impfnebenwirkung und nach Beginn der Impfkampagne massiv angestiegen: von 1 zu 150 Fällen im Jahr 2000 auf 1 zu 35 beziehungsweise 44 Fällen im Jahr 2021 (Video ab 26:43 Min.)

Bewertung

Falsch. Die angeführten Daten aus den USA enden im Jahr 2020 – also weit vor Beginn der Corona-Impfungen.

Fakten

Hier manipuliert Kranz massiv: Eine eingeblendete Grafik, die seine Argumentation eigentlich stützen soll, beweist nämlich in Wahrheit das genaue Gegenteil seiner Behauptung. Zunächst zwei Auffälligkeiten:

  1. In der eingeblendeten Grafik über den Bevölkerungsanteil von an Autismus Erkrankten endet die Kurve bereits im Jahr 2018 – also weit vor der Entdeckung des Covid-Erregers Sars-CoV-2 und damit vor Beginn der Corona-Impfungen. Die Behauptung, wegen der Impfungen habe sich die Zahl der Autismus-Diagnosen im Vergleich zum Jahr 2000 um 241 Prozent erhöht, kann anhand der Grafik daher überhaupt nicht getroffen werden.
  2. Schon im Laufe der Jahre steigt die Grafik-Kurve kontinuierlich, und nicht plötzlich – wie es aber eigentlich zu erwarten wäre, wenn etwa eine Impfkampagne zu einem bestimmten Zeitpunkt startet. Der Anstieg der Autismus-Fälle muss also einen anderen Grund haben.

Welche Zahlen erhebt das US-amerikanische Netzwerk Autism and Developmental Disabilities Monitoring (ADDM) also tatsächlich? Zunächst geht es bei den ADDM-Angaben allein um Achtjährige in elf US-Staaten. Nach Auswertung der Daten, die alle zwei Jahre erhoben werden, ist der Anteil autistischer Kinder tatsächlich von 0,67 Prozent im Jahr 2000 (1 Kind von 150) kontinuierlich auf 2,3 Prozent im Jahr 2018 (1 von 44) gestiegen. Es liegen auch schon frischere Zahlen für 2020 vor: Da waren es 2,76 Prozent (1 von 36). Für 2021 gibt es entgegen Kranz‘ Aussage noch keine ADDM-Zahlen.

2020 waren in den USA noch keine Corona-Impfstoffe für Kinder zugelassen. Für Impfungen von Kindern im Alter zwischen fünf und elf Jahren gab die zuständige Food and Drug Administration (FDA) erst Ende Oktober 2021 grünes Licht.

Behauptung

Vergleicht man die Übersterblichkeit in EU-Staaten zeige sich: Länder mit hoher Impfquote wiesen eine höhere Übersterblichkeit als Staaten, in denen sich weniger Menschen haben impfen lassen (Video ab 17:47 Min.).

Bewertung

Falsch. Daten von Ländern, die seiner Behauptung entgegenstehen, kehrt Kranz unter den Teppich.

Fakten

Hier arbeitet Kranz nach dem Prinzip der Auslassung: Was der Argumentation augenscheinlich nützen soll, wird erwähnt, was ihr entgegensteht, fällt hinten runter.

Im Video wird eine Landkarte Europas gezeigt, in der die EU-Staaten je nach Übersterblichkeit farblich markiert sind. Im November 2022 wiesen demzufolge Bulgarien, Rumänien und die Slowakei «ganz ganz niedrige Fallzahlen» auf, wie Kranz anmerkt. Er stellt eine Verbindung dazu her, dass diese Länder die niedrigsten Impfquoten hätten. Doch das ist Augenwischerei. Denn es gibt genauso EU-Staaten mit sehr hohen Impfquoten und niedriger Übersterblichkeit – und andersherum.

Die Daten zur Übersterblichkeit stammen von der europäischen Statistikbehörde Eurostat. Demnach verzeichneten Rumänien, Bulgarien und die Slowakei tatsächlich im November 2022 keine Übersterblichkeit im Vergleich zum Durchschnitt des Zeitraums 2016 bis 2019. Italien hatte eine sehr geringe Rate von lediglich 0,5 Prozent, gleich darüber lagen Belgien (1,2 Prozent) und Litauen (1,3), Schweden (2,3) sowie Polen (2,8) und Spanien (3,0).

Es stimmt auch, dass die jeweiligen Impfquoten in den drei von Kranz herausgestellten Ländern im November 2022 weit unter dem EU-Durchschnitt lagen: Nach Angaben des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) waren in Bulgarien nur 30,4 Prozent der Bevölkerung mindestens ein Mal gegen Corona geimpft, in Rumänien 42,4 Prozent und in der Slowakei 52,0 Prozent.

Schaut man sich aber die Staaten an, die in Sachen Übersterblichkeit sehr nah an den drei genannten Ländern liegen, zeigt sich ein vollständigeres Bild. In Italien waren mit 85,6 Prozent überdurchschnittlich viele Menschen ein Mal gegen Corona geimpft. In Belgien lag die Impfquote bei 80,0 Prozent, in Litauen bei 70,0 und in Spanien bei 87,3 Prozent.

Andererseits wiederum starben auch in Staaten mit unterdurchschnittlicher Impfquote überdurchschnittlich viele Menschen: So hatte etwa Slowenien mit einer Impfquote von 58,1 Prozent im November 2022 eine Übersterblichkeit von 14,7 Prozent.

Es zeigt sich also: Der von Kranz behauptete Zusammenhang zwischen niedriger Übersterblichkeit und geringer Impfquote ist leicht anhand der von ihm selbst angeführten Daten zu widerlegen.

(Stand: 11.4.2023)

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Wissenschaft, Corona, Gesundheit

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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