Falsch. Die Aussage ist aus dem Kontext gerissen: Merz sprach in seiner Rede auf dem CSU-Parteitag vor dem Hintergrund der Debatten um die Schuldenbremse und die Infrastruktur in Deutschland über eine Idee, Gelder mit einem «vernünftigen Zinssatz» zu mobilisieren. Er sprach von Anreizen – nicht von Enteignung. Die Behauptung, er wolle an die Konten der Bürger, bezeichnete die Partei als «Fake News».
Der Begriff Enteignung bezeichnet einen «Entzug des Eigentums durch den Staat», erklärt die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Das Grundgesetz sieht nach Artikel 14 Absatz 3 vor, dass der Staat in bestimmten Fällen das Recht hat, Eigentum «zum Wohle der Allgemeinheit» einzuziehen. Allerdings: Dies ist nur dann möglich, wenn «Art und Ausmaß der Entschädigung» gesetzlich geregelt ist.
Das Land Hessen nennt Beispiele: «Bei vielen öffentlichen Aufgaben, zum Beispiel Bau von Straßen oder Energieversorgungsleitungen, werden zur Durchführung der Maßnahme private Grundstücke benötigt.» Kann sich das Land bzw. der Staat nicht mit dem privaten Eigentümer auf eine einvernehmliche Regelung verständigen und droht das geplante Vorhaben deshalb zu scheitern, sähen verschiedene Gesetze eine Enteignung vor. «Die Enteignung darf nur gegen angemessene Entschädigung erfolgen», schreibt das Land Hessen.
Video zeigt Ausschnitt von Rede auf CSU-Parteitag
Der geteilte Kurzclip zeigt eine echte Aussage von Friedrich Merz. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus seiner Rede von Mitte Oktober 2024 auf dem CSU-Parteitag in Augsburg. Ein Mitschnitt existiert auf dem Youtube-Kanal des Senders Phoenix.
Vor dem Hintergrund der Schuldenbremse spricht Merz etwa ab Minute 39:34 über Verantwortung für das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. In diesem Zusammenhang thematisiert der CDU-Chef die Finanzierung zum Ausbau der öffentlichen Infrastruktur (ab Minute 41:29). Er sagt, neben öffentlichen Mitteln und Geldern aus der sogenannten Nutzerfinanzierung werde es seiner Meinung nach künftig notwendig sein, auch privates Kapital zu mobilisieren.
Kein Wort von Enteignungen: Merz will private Investitionen fördern
Hierbei schiebt er die Aussage ein, die in dem Kurzclip zu hören ist: «Liebe Freundinnen und Freunde, ich habe mir die Zahlen mal angeschaut: Auf den deutschen Konten, Sparkonten und laufenden Girokonten liegen 2,8 Billionen Euro. Stellen Sie sich mal einen kurzen Augenblick vor, wir wären in der Lage davon nur 10 Prozent zu mobilisieren – mit einem vernünftigen Zinssatz für die öffentliche Infrastruktur in Deutschland, für den Ausbau dessen, was wir in der Bildung, im öffentlichen Sektor, in der gesamten Infrastruktur unseres Landes brauchen. Es fehlt uns nicht an Kapital. Es fehlt uns an den vernünftigen Instrumenten, dieses Kapital so zu mobilisieren, dass es einem gemeinsamen Zweck unseres Landes zugutekommt.»
Merz schlägt also vor, künftig private Investoren beim Ausbau der Infrastruktur zu beteiligen. Damit private Investoren ihr Geld bereitstellen, benötige es seiner Aussage nach beispielsweise einen «vernünftigen Zinssatz». Den Begriff «Enteignung» erwähnt er nicht.
Der CDU-Politiker bezieht sich auf Anreize: Anders als bei Enteignungen, bei denen es eine Entschädigung gibt, ist deutlich von Zinsen die Rede. «Zinsen sind der Preis für das Leihen von Geld», erklärt die Bundesbank. Merz erhofft sich also vereinfacht gesagt, dass private Investoren dem Staat für eine Zeit lang ihr Geld für den Ausbau der Infrastruktur leihen. Später würden diese im Gegenzug den verliehenen Betrag plus Zinsen zurückgezahlt bekommen, so die Idee.
Gegenüber dem MDR gab der Rechtswissenschaftler Stephan Madaus Entwarnung für Enteignungsbedenken. Demnach kenne das Bankenaufsichts- und Abwicklungsrecht keine derartige Eingriffsbefugnis zum Zwecke der Staatsfinanzierung. «Weder Herr Merz noch der Staat kann einfach auf deutsche Privatkonten zugreifen», sagte er dem Sender.
CDU spricht auf Tiktok von «Fake News»
Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur zum Online-Vorwurf der geplanten Enteignung verwies der Sprecher von Merz auf einen Tiktok-Beitrag. Damit wolle man «kursierende Falschbehauptungen» richtigstellen. Die CDU bezeichnet darin die Behauptung, Merz wolle an das Geld der Bürgerinnen und Bürger, als «Fake News». Der CDU-Chef habe lediglich zu Investitionen anregen wollen.
Auf welche Quelle sich Merz bei seiner Angabe von «2,8 Billionen Euro» auf deutschen Konten bezieht, dazu machte der Sprecher indes keine Angabe. Die Größenordnung scheint jedoch zu stimmen. Laut der DZ Bank waren zuletzt fast 2,2 Billionen Euro oder gut 23 Prozent des privaten Geldvermögens hierzulande in Sichteinlagen oder Bargeld geparkt.
In ihrem Grundsatzprogramm betonen die Christdemokraten derweil ihre Sicht auf die Wichtigkeit von Privateigentum als «Grundlage einer starken, stabilen und freien Gesellschaft.» Privateigentum und Erspartes müssten eine «sichere Bank» bleiben, heißt es. «In der Sozialen Marktwirtschaft ist der Schutz des Eigentums Voraussetzung dafür, dass es Nutzen für die Allgemeinheit stiften und damit seiner Sozialpflichtigkeit gerecht werden kann.»
(Stand: 15.11.2024)