„Der Mainstream knickt ein und gibt endlich zu, dass die Impfung nicht nur wirkungslos ist, sondern offensichtlich sogar schädlich“, heißt es auf Facebook zu dem Bild eines Artikels der Washington Post. Der trägt den Titel „Geimpfte machen jetzt die Mehrheit der Covid-Tode aus“ („Vaccinated now make up majority of covid deaths“) und stammt vom 23. November.
Die Beiträge auf Facebook führen in die Irre, weil sie die Überschrift falsch interpretieren. In dem Artikel ist keineswegs davon die Rede, dass Covid-19-Impfstoffe gefährlich seien oder zu mehr Covid-19-Todesfällen führen. Im Gegenteil weist er darauf hin, dass Impfungen das Risiko, an Covid-19 zu sterben, reduzieren.
Die Überschrift des Artikel greift das Ergebnis einer Analyse auf, die die Washington Post von einer Stiftung durchführen ließ. Diese kommt zu dem Schluss, dass erstmals mehr Menschen in den USA, die eine Grundimmunisierung durch Corona-Impfungen haben, an Covid-19 starben als Menschen ohne Impfschutz. Dafür gebe es verschiedene Gründe: Eine hohe allgemeine Impfquote, eine hohe Impfquote insbesondere unter besonders gefährdeten Menschen und das Nachlassen des Impfschutzes, wenn er nicht aufgefrischt wird.
Die Überschrift des Artikels wurde laut Internet Archive am 23. November abends geändert und ist nun weniger missverständlich. Der Titel lautet nun: „Covid ist nicht mehr hauptsächlich eine Pandemie der Ungeimpften. Das sind die Gründe dafür.“ („Covid is no longer mainly a pandemic of the unvaccinated. Here’s why.“)
Washington Post änderte den Titel des Artikels, weil er missverstanden wurde
Wir haben die Autorin des Artikels kontaktiert und nach den Gründen für die Änderungen gefragt. Ein Pressesprecher der Zeitung schrieb uns, nachdem man erfahren habe, dass einige Leserinnen und Leser die Überschrift missinterpretiert hätten und glaubten, der Artikel stelle die Wirksamkeit der Impfungen in Frage, habe man sie geändert. Das sei ein normaler Prozess, „die Washington Post aktualisiert ihre Überschriften regelmäßig, um für Klarheit und Kontext zu sorgen“.
Inhaltlich greift der Text das Ergebnis einer Auswertung auf, die die Kaiser Family Foundation im Auftrag der Washington Post durchführte. Die Analyse selbst wird in dem Artikel nicht verlinkt oder als Quelle bereitgestellt; ein Verweis führt jedoch zu Daten des Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Dieses stellte am 21. Oktober Daten zu Covid-19-Fällen und -Todesfällen aufgeschlüsselt nach Impfstatus bereit.
Aus den Daten gehe laut der Analyse der Kaiser Family Foundation hervor, schreibt die Washington Post, dass im August 2022 58 Prozent aller Menschen, die an Covid-19 starben, geimpft oder geboostert waren. Ausschließlich auf Basis der Rohdaten des CDC konnten wir nicht überprüfen, wie genau dieser Wert berechnet wurde.
Artikel nennt Gründe für steigenden Anteil von Geimpften an Covid-19-Toten – einer davon ist die allgemein hohe Impfquote
Im Artikel der Washington Post wird die Zahl (58 Prozent) eingeordnet. Dort wird auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „ungeimpft zu sein“ immer noch „ein großer Risikofaktor für den Tod durch Covid-19“ sei. Der steigende Anteil an Geimpften an den Covid-19-Toten lasse sich durch verschiedene Faktoren erklären.
Cynthia Cox von der Kaiser Family Foundation, die die Auswertung für die Washington Post durchführte, wird mit der Einschätzung zitiert, der gestiegene Anteil der Geimpften an den Covid-19 Todesfällen sei nicht überraschend. Er lasse sich unter anderem darauf zurückführen, dass mittlerweile ein Großteil der Menschen in Amerika zumindest grundimmunisiert sei. Und jene, die besonders gefährdet sind, am Coronavirus zu sterben, seien besonders häufig bereits geimpft.
Diese statistischen Effekte haben wir bereits mehrfach in Faktenchecks erklärt (hier und hier). Zum Beispiel wurden Zahlen, laut denen die Mehrheit der Intensivpatienten geimpft war, fälschlich als Beleg interpretiert, dass die Impfung schädlich sei. Das stimmt nicht. Denn mit einer sehr hohen Impfquote, insbesondere bei älteren Menschen, war der Anteil der Geimpften auf den Intensivstationen immer noch geringer als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. Ungeimpfte waren im Umkehrschluss überproportional häufig dort zu finden.
Die 58 Prozent Geimpften unter den Covid-19-Todesfällen müssen also vor dem Hintergrund der Impfquote in der US-amerikanischen Bevölkerung betrachtet werden. Laut CDC erhielten 80,7 Prozent bis zum 24. November 2022 mindestens eine Impfdosis und 68,8 Prozent waren vollständig geimpft. Dadurch, dass der Großteil der Menschen geimpft sind, heißt es auch in dem Artikel der Washington Post, sei es logisch, dass sie auch die Mehrheit der Todesfälle ausmachen.
Zweiter Grund ist das Nachlassen des Impfschutzes
Dazu kommt, dass bisher eher wenige Amerikaner eine Auffrischungsimpfung erhalten haben: Ohne Booster-Impfung steige bei nachlassendem Impfschutz auch die Wahrscheinlichkeit, dass Geimpfte einen schweren oder tödlichen Covid-19-Verlauf haben, so die Washington Post. Geboostert waren insgesamt laut New York Times Ende Oktober 34 Prozent der US-Bevölkerung. Eine zusätzliche Auffrischungsimpfung mit dem an die Omikron-Varianten angepassten Booster erhielten zudem laut CDC (Stand 24. November) in der Altersgruppe über 18 Jahren bislang 13,9 Prozent, in der Altersgruppe ab 65 Jahren 31,3 Prozent.
In dem Artikel der Washington Post wird darauf hingewiesen, dass das CDC regelmäßige Auffrischungsimpfungen empfiehlt.
Das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) schreibt dazu (Stand 13. Oktober), die Schutzwirkung der Impfstoffe sei sehr gut, betrage aber nicht 100 Prozent. Dennoch verhinderten die Impfstoffe weiterhin schwere Krankheitsverläufe und den Tod durch Covid-19. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt allen Menschen ab zwölf Jahren eine dritte Auffrischungsimpfung und Menschen ab 60 Jahren oder besonders gefährdeten Personen sogar eine vierte Auffrischungsimpfung.
Artikel betont Wirksamkeit von Auffrischungsimpfungen
Die Washington Post betont auch, dass die Impfung das Sterberisiko senke – das steht also im genauen Gegenteil zu dem, was später in Sozialen Netzwerken verbreitet wurde. Im Artikel heißt es, dass im August 2022 ungeimpfte Personen (alle Altersgruppen ab sechs Monaten) sechsmal so häufig an Covid-19 gestorben seien wie jene, die bereits grundimmunisiert seien. Der Booster senkte das Sterberisiko noch weiter.
Das basiert wohl auf einer Mitte November veröffentlichten Analyse des CDC. Sie zeigt, dass das Sterberisiko vor allem für ältere Menschen durch die Impfung stark reduziert wird – doch auch 18- bis 29-jährige Ungeimpfte hätten ein dreimal höheres Risiko, an Covid-19 zu sterben, als Geimpfte.
Fazit: Anders als behauptet ist der Artikel der Washington Post kein Beleg dafür, dass Covid-19-Impfungen wirkungslos oder schädlich sind. Im Gegenteil, die Autorin des Artikels betont darin die Wirksamkeit von Auffrischungsimpfungen und deren Schutzwirkung gegen den Tod oder schwere Krankheitsverläufe durch Covid-19.
Redigatur: Gabriele Scherndl, Alice Echtermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Rohdaten des CDC zu Covid-19-Todesfällen nach Altersgruppen und Impfstatus: Link (Englisch, archiviert)
- Artikel der Washington Post vor der Titeländerung, 23. November 2022: Link (Englisch, archiviert)
- Artikel der Washington Post nach der Titeländerung, 23. November 2022: Link (Englisch, archiviert)