Am 6. Februar 2023 wurden die Türkei und Syrien von einem Erdbeben der Stärke 7,8 erschüttert. Nach den offiziellen Angaben vom 19. Februar 2023 forderte es bis jetzt 45.000 Todesopfer und zerstörte tausende Gebäude. In sozialen Netzwerken kursiert seitdem die Frage, inwieweit sich Erdbeben voraussagen lassen, nachdem ein niederländischer Twitter-User das Erdbeben einige Tage vorher angeblich angekündigt hatte. Expertinnen und Experten sind sich jedoch einig: Bis heute existiert keine wissenschaftliche Methode, um Erdbeben vorauszusagen. Es lassen sich zwar Risiken einschätzen, aber diese Wahrscheinlichkeiten beziehen sich auf einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Auch die Frage, ob Tiere Erdbeben vorhersagen könnten, kursierte online. Expertinnen und Experten erklärten jedoch, dass Tiere lediglich vor dem Menschen die ersten Erdbebenwellen spüren könnten und es sich damit nicht um eine Voraussage handele.
Können Erdbeben vorausgesagt werden? Seit dem Erdbeben, das am 6. Februar 2023 die Türkei und Syrien erschütterte, wird diese Frage online heftig diskutiert.
In sozialen Netzwerken wurde ein Tweet aus den Niederlanden mehrfach geteilt. Dieser soll das Erdbeben drei Tage vorher „vorausgesagt“ haben.
„Früher oder später wird es ein Erdbeben der Stärke 7,5 in dieser Region (südliche Zentraltürkei, Jordanien, Syrien, Libanon) geben“, schrieb der Twitter-User am 3. Februar 2023.
Seitdem wurde der Tweet über 50.000 Mal geteilt und rund 20.000 Mal mit „Gefällt mir“ markiert.
Der Autor des Tweets ist Frank Hoogerbeets, der sich selbst als „Forscher“ bezeichnet. Am Vortag hatte er in einem Youtube-Video erklärt, dass das Erdbeben zwischen dem „4. und 6. Februar“ eintreten könne, wobei er seine Vorhersagen auf astronomische Überlegungen stützte– den Stand des Mondes, der Sonne oder anderer Planeten. Seismologinnen und Seismologen, Geologinnen und Geologen sind sich jedoch einig: Es ist gegenwärtig nicht möglich, ein Erdbeben vorherzusagen.
Was ist ein Erdbeben?
Erdbeben entstehen durch einen plötzlichen Spannungsabbau entlang von Brüchen in der Erdkruste, wie der Schweizerische Erdbebendienst der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich auf seiner Seite erklärt. Die Spannung kommt durch die ständige Bewegung der tektonischen Platten zustande. „Wenn diese groß genug ist, entlädt sie sich in einer plötzlichen, ruckartigen Bewegung. Die dabei freiwerdende seismische Energie breitet sich in Form von Wellen durch die Erde und entlang der Erdoberfläche aus und verursacht die als Beben wahrgenommenen Erschütterungen“, heißt es weiter.
Diese von AFP erstellte Infografik erklärt wie ein Erdbeben entsteht.
Erdbeben sind unberechenbar
Trotz des aktuellen Kenntnisstandes „ist es unmöglich, den genauen Ort, das exakte Datum und die Intensität eines Erdbebens vorauszusagen“, sagte Yann Klinger gegenüber AFP am 13. Februar 2023. Der französische Forscher ist Rechercheleiter am Centre national de la recherche scientifique (CNRS), einer nationalen französischen Forschungsorganisation. Dort arbeitet er im Tektonik-Team des Institut de Physique du Globe in Paris. Dieses Institut setzt sich mit der Physik der Erdkugel auseinander.
Lucile Bruhat, Doktorin in Geophysik und Spezialistin für Erdbeben, stimmt ihm zu. Sie sagte gegenüber AFP am 10. Februar 2023: „Ich sage es mit Nachdruck: Wir verfügen über keine wissenschaftliche Methode, mit der man ein Erdbeben voraussagen könnte.“
Der USGS ist für die Überwachung der weltweiten seismischen Aktivitäten zuständig. Auf dessen Webseite heißt es: „Weder der USGS noch andere Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen haben jemals ein großes Erdbeben vorhergesagt. Wir sind dazu nicht in der Lage, und werden es wahrscheinlich in absehbarer Zukunft auch nicht sein. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des USGS können nur die Wahrscheinlichkeit berechnen, nach der in einem bestimmten Gebiet im Laufe einer bestimmten Anzahl von Jahren ein starkes Erdbeben auftritt.“
Olivier Fabbri ist Geologe und Professor an der französischen Universität Franche-Comte und sagte gegenüber AFP am 13. Februar 2023, dass seit Jahrzehnten Seismologinnen und Seismologen aktive Verwerfungen kartografierten, „das heißt, aktive Verwerfungen, die beunruhigende Mengen an Spannungen aufbauen, wo daher unweigerlich Erdbeben auftreten können“.
Er fügte hinzu: „Man weiß jedoch nicht, wann diese Verwerfungen wirklich nachgeben werden. Bei diesem Thema sind wir noch am Nullpunkt. Schon bei der Identifizierung und Lokalisierung von gefährlichen Plattengrenzen wird man nie wirklich vollständig sein, daher ist eine Vorhersage heute völlig illusorisch.“
Anhand der Kartographie, der langfristigen Schätzungen der Geschwindigkeiten dieser sich verschiebenden Platten, der Spuren die vorangegangene Erdbeben hinterlassen haben, können Seismologinnen und Seismologen Prognosen, aber keine Vorhersagen abgeben, allerdings im Rahmen von mindestens mehreren Jahrzehnten.
Damit beschäftigt sich vor allem das Konsortium European Facilities for Earthquake Hazard and Risk (EFEHR). Es entwickelt das Erdbebengefährdungs- und Erdbebenrisikomodell für Europa. In Deutschland arbeitet das Deutsche Geoforschungszentrum in Potsdam mit dem EFEHR zusammen, das Résif-Epos repräsentiert Frankreich in diesem Konsortium. Diese Forscherinnen und Forscher haben im Jahr 2022 die Karte der Erdbebengefährdung und die Karte des Erdbebenrisikos aktualisiert. Erdbebengefährdung bezeichnet die potenziellen Erschütterungen des Bodens durch künftige Erdbeben. Mit Erdbebenrisiko sind die Auswirkungen, die von künftigen Erdbeben zu erwarten sind, gemeint.
Rémy Bossu ist Seismologe und Generalsekretär des European-Mediterranean Seismological Centre (EMSC), einer internationalen gemeinnützigen Forschungsgesellschaft mit Sitz in Bruyères-le-Châtel in Frankreich. Gegenüber AFP sagte er am 13. Februar 2023: „Auf dieser Karte ist deutlich zu erkennen, dass sich das Epizentrum des Erdbebens, das die Türkei und Syrien erschütterte, in einem tiefroten Bereich befindet. Das heißt, man wusste sehr wohl, dass an dieser Stelle ein Erdbeben entstehen würde. Dennoch sind wir nicht dazu fähig zu sagen, ob das heute, morgen, in 50 oder 500 Jahren passieren würde.“
Weiter sagte Bossu: „Beispielsweise wird ein Erdbeben vor der Küste Istanbuls erwartet. Wir können es nicht vorhersagen, aber angesichts der Anhäufung von Spannungen in diesem Gebiet wissen wir, dass in den kommenden Jahrzehnten ein Erdbeben auftreten dürfte. Vielleicht passiert es in dem Moment, in dem ich mit Ihnen spreche oder vielleicht erlebe ich es nicht mehr. Wir können nicht genauer sein.“
Auf der Seite von „ObservaTerre“ heißt es: „Leider sind Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler und insbesondere Seismologinnen und Seismologen trotz der Forschung auf einem extrem breiten Spektrum von Gebieten immer noch nicht in der Lage, kurzfristig (auf einer Zeitskala von Stunden, Tagen oder Wochen) vorherzusagen, dass ein Erdbeben eintreten wird, indem sie einen Ort, ein Datum und eine wahrscheinliche Stärke angeben, die ausreichend genau sind, um beispielsweise die Bevölkerung evakuieren zu können. Dafür bräuchte es zuverlässige Warnsignale, also Beobachtungen von messbaren Phänomenen, die dem Auftreten eines Erdbebens systematisch vorausgehen.“
Rémy Bossu sagte außerdem: „Manche Seismologinnen und Seismologen denken, dass wir Erdbeben nie voraussagen können werden, weil sie in sich chaotisch sind. Dennoch wird immer noch versucht, eine Vorbereitungsphase für das Erdbeben zu beobachten. Bisher hat die Wissenschaft jedoch noch keine eindeutigen Ergebnisse geliefert.“
Olivier Fabbri fügte hinzu: „Vor allem haben Erdbeben die unangenehme Angewohnheit, sich dort zu ereignen, wo man sie nicht erwartet. Das Beispiel der Türkei ist sinnbildlich: Seit Jahren wird die nordanatolische Verwerfung beobachtet, die durch Istanbul verläuft, weil man sich sicher ist, dass dort ein Erdbeben stattfinden wird. Sämtliche Seismologinnen und Seismologen hatten ihre Augen auf diesen Abschnitt gerichtet und schließlich ereignete sich das Beben auf der ostanatolischen Verwerfung, die nach Syrien hinunter führt.“
So bezeichnen alle von AFP befragten Expertinnen und Experten den „Ankündigungstweet“ von Frank Hoogerbeets als „unglücklichen Zufall“.
Françoise Courboulex, Seismologin und Rechercheleiterin am CNRS, sagte gegenüber AFP am 10. Februar 2023: „Mit jedem großen Erdbeben sind haarsträubende Vorhersagen verbunden. Wir bekommen sogar Post von Leuten, die uns bei Vorhersagen beraten wollen… ‚Früher oder später‘ ist tatsächlich die Art von Vorhersage, die man in allen Erdbebengebieten der Welt treffen kann.“
Rémy Bossu fügte hinzu: „Wie ich gerne wiederhole: Eine kaputte Uhr zeigt zweimal am Tag die korrekte Uhrzeit. Wir erhalten dauernd Vorhersagen. Zu sagen, dass es in der Türkei oder in Griechenland ein Erdbeben geben wird, das beruht auf Tatsachen. Das macht es aber noch nicht zu einer Vorhersage.“
Lucile Bruhat sagte dazu: „Wenn man jeden Tag Vorhersagen macht, ist es wahrscheinlich, dass man irgendwann richtig liegt. Aber das ist nur ein unglücklicher Zufall. Darin liegt nichts Wissenschaftliches.“
Frank Hoogerbeets wurde bereits von Faktencheckseiten wie der französischen „CheckNews“ überprüft, weil er über die Jahre immer mehr vermeintliche Vorhersagen veröffentlichte. „CheckNews“ stellte im Jahr 2019 fest, dass er für 28 Tage in drei Monaten Erdbeben prognostiziert hatte.
Erdgezeiten können nur marginale Auswirkungen haben
Zudem stützt Hoogerbeets seine angeblichen „Vorhersagen“ hauptsächlich auf die Anziehungskräfte zwischen der Erde und anderen Planeten, vor allem auf die Kräfte der Erdgezeiten, die zum größten Teil dem Mond zuzuschreiben sind. Die Erdgezeiten sind die Gezeitenwelle der Erdkruste. Sie entstehen durch die Gezeitenkräfte der Gravitation des Mondes und der Sonne auf die Erde. Diese können jedoch nur einen marginalen Effekt auf Erdbeben haben, sagten mehrere Expertinnen und Experten gegenüber AFP.
Laut USGS haben mehrere neue Studien in einem Artikel mit dem Titel „Kann die Position des Mondes Auswirkungen auf die Seismizität haben?“ eine „Korrelation zwischen den Erdgezeiten (verursacht durch die Position des Mondes zur der Erde) und bestimmten Arten von Erdbeben gefunden.“ Eine Studie kommt zum Beispiel zu dem Schluss, dass „in Zeiten, in denen die Gezeiten an Land und im Ozean stärker sind, wie bei Voll- oder Neumond, Erdbeben an flachen Überschiebungsverwerfungen in der Nähe von Kontinenten und in (Unterwasser-)Subduktionszonen wahrscheinlicher sind.“
Doch selbst wenn diese Gezeiten an Land oder im Ozean den Druck auf diese Verwerfungen erhöhen und verringern, bleibt das USGS vorsichtig und weist darauf hin, dass diese Auswirkungen sehr gering bleiben:
„Wenn der Druck auf die Erdplatten abnimmt, werden die Verwerfungen gelockert und können sich eher bewegen. Die Wahrscheinlichkeit steigt während der Flut um einen Faktor von etwa drei. Man muss jedoch vor Augen haben, dass die Grundwahrscheinlichkeit an einem bestimmten Ort und in einem bestimmten Jahr im Allgemeinen sehr gering ist. Man spricht von Bruchteilen eines Prozents. So ergibt die Erhöhung dieser sehr geringen Wahrscheinlichkeit um den Faktor drei während der Flut immer noch eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit.“
Die Anziehungskraft der Gezeiten ist also sehr gering und „nicht ausreichend, um allein ein Erdbeben auszulösen“, sagte Yann Klinger und wies darauf hin, dass eine Vorhersage auf dieser Grundlage „auf keiner wissenschaftlichen Methode“ beruhe.
Anne Replumaz ist Geologin und Professorin an der französischen Joseph-Fourier-Universität in Grenoble und sagte gegenüber AFP am 13. Februar 2023: „Bei einem großen Erdbeben, wie es gerade die Türkei und Syrien erschüttert hat, kann die Anziehungskraft der Erdgezeiten nicht der Auslöser sein. Und selbst wenn die Erdgezeiten tatsächlich einige kleine Verwerfungen destabilisieren, kann man nicht wissen, welche Flut welche Verwerfung zum Einsturz bringen könnte, also bringt uns das in einer vermeintlichen Vorhersage nicht weiter.“
Michel Campillo ist Geophysiker, Seismologe und Professor an der Universität von Grenoble und Mitglied der Académie des sciences in Paris. Er sagte, AFP am 10. Februar 2023: „Kleine Erdbeben gibt es immer wieder und sie gehen nicht mit dem Höchststand der Gezeiten einher. Ein kleiner Teil könnte damit zusammenhängen, aber das sind kleine Erdbeben mit sehr geringer Stärke, die man nicht spürt.“
Michel Campillo führte als Beispiel den Fall von Iben Browning an, einem Amateur, der für den 3. Dezember 1990 Datum und Uhrzeit eines großen Erdbebens im Zentrum der Vereinigten Staaten vorhergesagt hatte.
„Iben Browning argumentierte genauso – er berief sich mit denselben Argumenten auf die Mechanik des Himmels. Diese Argumentation ging durch die Presse und wurde so groß, dass es an einigen Orten zu Notrufen führte. Am Ende ist nichts passiert.“
Können Vögel Erdbeben vorhersagen?
Yann Klinger vom CNRS erklärte außerdem, dass sich diese Vorhersagen oft sehr schnell verbreiten, wenn Anzeichen beobachtet werden, die als „Vorboten“ oder „Warnsignale“ eines Erdbebens gelten.
„Eine Häufung kleinerer Erdbeben, Tiere, die sich seltsam verhalten, Quellen, die angeblich ihre Pegel ändern, Radongasemissionen – Eine Systematik zwischen diesen Beobachtungen und Erdbeben wurde nie gefunden. Daher muss man bei diesen ‚Zeichen‘ sehr vorsichtig sein.“
Seit dem 6. Februar 2023 wurden Videos in sozialen Netzwerken verbreitet, die angeblich Vögel zeigten, die sich wenige Stunden vor Beginn des Erdbebens in der Türkei und in Syrien „seltsam“ verhielten. Das solle angeblich beweisen, dass Vögel in der Lage seien, solche Ereignisse vorherzusagen.
„In der Türkei konnte kurz vor dem Erdbeben seltsames Verhalten bei den Vögeln beobachtet werden“, behauptet eine Twitteruserin. „Hunderte Vögel kommen auf ungewöhnliche Art zusammen und spüren eine unmittelbar bevorstehende Bedrohung. Sie haben eine Art Detektor für anormale elektromagnetische Aktivität“, behauptet ein anderer und teilt ein Video, das auf Facebook, Twitter und Tiktok mehrere tausend Mal geteilt wurde.
Expertinnen und Experten, die AFP gefragt hat, sagten jedoch, dass das Verhalten der Vögel in diesem Video absolut normal sei.
Agatha Liévin-Bazin ist Ethologin und Spezialistin für das Verhalten von Tieren. Sie sagte gegenüber AFP am 13. Februar 2023: „Das Verhalten in dem Video erscheint mir auf keinen Fall anormal. Man sieht eine Ansammlung von Vögeln, Dohlen (coloeus monedula), Vögel aus der Familie der Rabenvögel, die man anhand ihrer Rufe identifizieren kann. Die Szene spielt sich höchstwahrscheinlich in der Abenddämmerung ab, wenn die Tiere zusammenkommen, um die Nacht zu verbringen. Es ist normal, dass sich die Vögel treffen und alle zusammen an einem Ort schlafen.“
Weiter sagte sie: „Auch wenn die Anzahl der Vögel beeindruckend erscheinen mag, spiegelt nichts in ihrem Verhalten Panik wider. Man hört sie oft Schreie ausstoßen, weil das ihre Art ist, Informationen auszutauschen. Und wenn die Vögel das Erdbeben spüren würden, würde man eher mit einem Emporfliegen rechnen, um aus dem gefährlichen Gebiet zu fliehen. Die Dohlen, die im Video zu sehen sind, versammeln sich und bilden eine Familie.“
Es gibt keine wissenschaftlichen Studien, die belegen, dass Tiere allgemein die Fähigkeit besitzen, Erdbeben vorherzusagen.
Der USGS stellt außerdem in diesem Artikel fest: „Es gibt zahlreiche anekdotische Belege dafür, dass sich Tiere, Fische, Vögel, Reptilien oder Insekten wenige Wochen oder Sekunden vor einem Erdbeben seltsam verhalten hätten. Ein kohärentes und zuverlässiges Verhalten, das vor seismischen Ereignissen erkannt wurde, oder ein Mechanismus, der erklärt, wie das funktionieren könnte, ist uns jedoch noch nicht bekannt.“
In 2018 führten mehrere Forschende des Forschungszentrums für Geowissenschaften in Deutschland eine Meta-Analyse von 180 wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema durch, in der sie über 700 Beobachtungen von mehr als 130 verschiedenen Arten bei 160 Erdbeben zusammenfassten. Ihr Fazit ist klar: „Wir haben keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass Tiere es spüren, wenn ein Erdbeben kommt.“ Das sagte Sebastian Hainzel, Co-Autor der Studie am 9. Februar 2023 gegenüber AFP. „Allerdings könnten sie vielleicht auf Vorläuferbeben reagieren.“
Françoise Courboulex erklärte außerdem, dass bestimmte Tiere sicherlich empfänglicher für Erdbebenwellen seien, „das heißt jedoch noch lange nicht, dass sie [das Erdbeben] auch vorhersagen können“.
„Häufig wurde über das ungewöhnliche Verhalten von bellenden Hunden, Schafherden und Vogelscharen kurz vor einem starken Beben berichtet. Wir denken, dass bestimmte Tiere schon auf die ersten Wellen reagieren (Primär-Wellen, auch P-Wellen genannt), die eine geringere Amplitude haben als die zweiten Wellen (Sekundär-Wellen, auch S-Wellen genannt), die oft den größeren Schaden verursachen. Es geht also vor allem um die Frage der Feinfühligkeit. In allen Fällen bedeutet es aber, dass das Erdbeben schon begonnen hat, wenn die Tiere die Erdbebenwellen spüren. Es ist also keine Voraussage,“ so Courboulex.
„Nur sehr wenige Menschen spüren die kleinste P-Welle, die sich am schnellsten von der Quelle des Erdbebens aus bewegt und vor der größten S-Welle ankommt. Viele Tiere mit schärferen Sinnen sind dagegen in der Lage, die P-Welle einige Sekunden vor dem Eintreffen der S-Welle wahrzunehmen. Aber ein Erdbeben schon Wochen oder Tage vor seinem Auftreten zu erkennen, ist eine andere Geschichte“, heißt es auch in diesem USGS-Artikel.
Frühwarnsystem
Seismologinnen und Seismologen sind mithilfe seismischer Sensoren ebenfalls in der Lage, diese P-Wellen zu erkennen. An manchen Orten gibt es auch Warnsysteme, die wenige Sekunden vor den zerstörerischen Erschütterungen ausgelöst werden.
„Wir verfügen über sehr dichte Netzwerke zur Erkennung von Erdbeben. Die ersten Stationen um das Epizentrum herum können das Beben innerhalb von vier bis fünf Sekunden erkennen und lokalisieren. Das Frühwarnsystem sendet diese Informationen über größere Entfernungen, einige Sekunden bevor das Beben den Ort erreicht“, erklärte Rémy Bossu. Er fügte hinzu, dass das EMSC an der Veröffentlichung des ersten gemeinschaftlichen Frühwarnsystems beteiligt war, das von Francesco Finazzi an der Universität Bergamo in Italien entwickelt wurde.
„Eine App, die Ihr Telefon nach der Installation in einen seismischen Sensor verwandelt. Und wenn viele Telefone am selben Ort einen Alarm auslösen, werden die Nutzer in den umliegenden Regionen eine Nachricht erhalten, die sie vor dem bevorstehenden Erdbeben warnt“, sagte Bossu.
„Es sei denn, das Epizentrum liegt unter einer Stadt, dann ist es schon zu spät“, sagte Lucile Bruhat.
„Auf jeden Fall sind die Zeitspannen so kurz, dass der Mensch keine Zeit hat, eine Entscheidung zu fällen. Dieses System ist vor allem dafür nützlich, Strom und Gas sofort abzuschalten oder Ampeln auf Rot zu stellen und so neben den Schäden durch die Erschütterungen zusätzliche Unfälle zu vermeiden“, sagte Yann Klinger.
Der türkische Katastrophenschutz zählte am 19. Februar 2022 40.689 Tote, in Syrien sprach man von ungefähr 5.900 Toten, berichtete tagesschau.de.
Nach Angaben der türkischen Regierung wurden etwa 1,2 Millionen Menschen in Studentenwohnheimen untergebracht, mehr als 206.000 Zelte in zehn Provinzen aufgestellt und 400.000 Betroffene aus den verwüsteten Gebieten evakuiert.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beklagte damit „die größte Naturkatastrophe in einem Jahrhundert“ für Europa.