Ein vergilbter Zeitungsartikel aus dem Jahr 1974 beschäftigt sich mit einem milden Januartag. Den Klimawandel widerlegen solche Tage allerdings nicht. Einzelne Wetterereignisse widersprechen nicht der Erderwärmung. Expertinnen und Experten sind sich einig, dass es den Klimawandel gibt und dass er menschengemacht ist.
„Das nennt man heute Klimawandel“, heißt es in einem Facebook-Beitrag vom Februar 2024. Dazu wird ein Artikel der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ aus dem Jahr 1974 geteilt. „Frühling im Winter: 15 Grad Wärme“, lautete der Titel. Dem Bericht zufolge wurden am 13. Januar 1974 im bayerischen Flachland Temperaturen von bis zu 15 Grad und auf der Zugspitze von null Grad gemessen. Skipisten in tieferen Lagen waren meist nicht mehr benutzbar, hieß es weiter.
Einige User stellten aufgrund des Artikels den Klimawandel infrage. „Alle Klimakleber und Klimalügner gehören zu Verantwortung gezogen“, schrieb ein User etwa auf X und teilte den Beitrag. „1974 gab es einen warmen Winter! Das BEWEIST doch EINDEUTIG das der Klimawandel eine LÜGE ist“, hieß es in einem Posting dazu auf Reddit. Auch auf Linkedin wurde die Behauptung verbreitet. Sie kursiert zudem auf anderen Sprachen wie Französisch oder Russisch.
Userinnen und User stellen immer wieder die Existenz des menschengemachten Klimawandels infrage. Sie sehen die Ursache der Erderwärmung beispielsweise in natürlichen Zyklen des Magnetfeldes, in Sonnenzyklen oder sind der Ansicht, Temperaturveränderungen seien viel eher natürliche Wetterereignisse. Faktenchecks zum Thema Klima sammelt AFP hier.
In Deutschland werden die Winter im Zuge des Klimawandels immer wärmer. In sozialen Medien wird jedoch behauptet, dass ein warmer Januartag 1974 in Deutschland gegen die aktuelle Erderwärmung sprechen.
Eine AFP-Anfrage an „Die Welt“ wurde bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht beantwortet. Gegenüber dem Faktencheck-Team von „Correctiv“ bestätigte jedoch ein „Welt“-Sprecher, dass der Artikel echt sei und tatsächlich im Jahr 1974 gedruckt wurde.
Hohe Temperaturen in Deutschland an Januartag 1974
Der Zeitungsartikel wurde am 14. Januar 1974 veröffentlicht. Inhaltlich nimmt der Text jedoch Bezug auf den Vortag. Es ist zu lesen, dass die Temperaturen am 13. Januar 1974 „bei ausgeprägter Föhnlage in manchen Alpentälern und im bayerischen Flachland bis auf 15 Grad Wärme“ ankletterten. „Sogar auf der Zugspitze, Deutschlands höchstem Berg, wurde die für Januar sensationelle Temperatur von null Grad gemessen“, heißt es weiter.
Vom Deutschen Wetterdienst (DWD) hieß es am 12. April 2024 auf AFP-Anfrage, dass die Höchsttemperatur auf der Zugspitze am 13. Januar 1974 bei minus 0,5 Grad lag. Die Tagesmitteltemperatur lag bei minus 4,2 Grad. Im nahegelegenen Garmisch-Partenkirchen wurden an diesem Tag Höchstwerte von 7,5 Grad gemessen. Die Tagesmitteltemperatur betrug 2,2 Grad. Aus Aufzeichnungen des DWD geht hervor, dass der Januar 1974 in Deutschland tatsächlich vergleichsweise warm war.
Klimawandel ist real – und menschengemacht
Grundsätzlich werden vergangene warme Phasen immer wieder als Argument gegen den menschengemachten Klimawandel angeführt. Dadurch wird suggeriert, dass der aktuelle Klimawandel hauptsächlich auf natürlichen Einflüssen beruhe. Einzelne Werte widersprechen jedoch nicht der Tatsache, dass die Temperaturen stetig steigen und sich das Klima wandelt. Aus der Presseabteilung des DWD hieß es gegenüber AFP, dass es „innerhalb der natürlichen Variabilität“ des Klimas „immer möglich“ sei, dass auch in den 1970er-Jahren sehr warme Januartage auftraten – oder künftig auch sehr kalte Tage auftreten können. „Nur nimmt mit der Erderwärmung die Wahrscheinlichkeit sehr kalter Tage grundsätzlich ab und die auch im Winter recht warmer zu. Dieser Trend ist klar belegt.“
Sich einzelne vergangene Ereignisse herauszupicken und dann zu folgern, dass es daher heute keinen Klimawandel gäbe, sei „wissenschaftlich, um es freundlich zu formulieren, nicht haltbar“, hieß es vom DWD weiter. „Um Trends belegen oder widerlegen zu können, muss man mindestens Mittelwerte über 30 Jahre betrachten – um eben der natürlichen Variabilität nicht aufzusitzen.“
Das bestätigte auf Anfrage auch Stefan Rahmstorf, Klimaforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er schrieb AFP am 12. April 2024, dass auch die bisherige Erwärmung angesichts der großen wetterbedingten Schwankungen keineswegs ausschließe, dass es noch ältere Rekorde gibt, die bis heute nicht gebrochen wurden. „Die Erderwärmung bedeutet ja keineswegs, dass ungewöhnlich hohe Temperaturen früher nie vorgekommen sind. Sie bedeutet nur dass diese im Zuge der Erderwärmung viel häufiger werden. Das ist eine Messtatsache“, so der Experte. In Deutschland sind die mittleren Temperaturen seit dem späten 19. Jahrhundert bereits um 2,0 Grad angestiegen.
Eine unzweifelhafte Messtatsachen sei ebenfalls, dass neue Rekorde (also tatsächlich noch nie verzeichnete Temperaturen) „sehr viel häufiger“ auftreten. Anhand eines einzelnen Wetterereignisses könne die menschengemachte Klimaerwärmung jedenfalls nicht widerlegt werden, bilanzierte Rahmstorf: „Sie ist eine seit Jahrzehnten gesicherte Tatsache.“
Laut dem Weltklimarat ist die globale Oberflächentemperatur seit 1970 schneller gestiegen als in jedem anderen 50-Jahres-Zeitraum der letzten 2000 Jahre. Ähnliches geht auch aus einer Studie hervor, die 2021 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde.
Fazit: Einzelne hohe Temperaturen in der Vergangenheit sind kein Beleg dafür, dass es die Erderwärmung nicht gibt. Expertinnen und Experten sind sich einig, dass der Klimawandel menschengemacht ist.