Nein, Stromstöße, Natron und gespritztes Vitamin C sind keine Heilmittel gegen Krebs - Featured image

Nein, Stromstöße, Natron und gespritztes Vitamin C sind keine Heilmittel gegen Krebs

Es gibt wirksame Therapien gegen Krebs. Gleichzeitig werden im Netz immer wieder Methoden zur Krebsbehandlung angepriesen, die erwiesenermaßen wirkungslos sind. Zuletzt wurde ein Video verbreitet, in dem behauptet wird, Tumore ließen sich durch elektrischen Strom, durch das Spritzen von Vitamin C oder durch Spülen mit einer Natronlösung zerstören. Expertinnen haben gegenüber AFP klargestellt, dass diese Methoden nicht nur wirkungslos gegen Krebs sind, sondern auch gefährlich für Erkrankte sein können.

„Vitamin C intravenös. Also hohe Gramm: 25 Gramm, 50 Gramm bis 100 Gramm.“ Diese angeblich wirksame Therapiemethode gegen Krebs wird aktuell in einem Video verbreitet, das über eine halbe Million Views auf Facebook hat. Zudem wird dort behauptet, Tumore könnten durch elektrischen Strom und das Spülen mit Natriumbicarbonat zerstört werden.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 11. Januar 2024

Das Video ist ein Zusammenschnitt aus einem längeren Vortrag des Unternehmers Lothar Hirneise, der sich selbst als „Krebsforscher“ bezeichnet. Hirneise beitreibt das 3E Gesundheitszentrum in der Nähe von Stuttgart, in dem „alternative ganzheitliche“ Therapien angeboten werden, um „eine Krebserkrankung zu überwinden“. Er ist der Autor des Buchs „Chemotherapie heilt Krebs und die Erde ist eine Scheibe“.

Immer wieder werden im Netz wirkungslose oder gefährliche Methoden zur Heilung von Krebs verbreitet. AFP hat bereits Behauptungen im Zusammenhang mit Zitronen und Kupferflaschen widerlegt. Alle Faktenchecks zum Thema Gesundheit sammelt AFP hier.

Galvanotherapie: Keine Wirkung gegen Tumore

Im Video behauptet Hirneise zunächst, Krebszellen hätten eine „niedrige Zellmembranspannung“ und seien daher empfindlicher für Gleichstrom als gesunde Zellen: „Und deshalb können sie mit einer relativ geringen Strommenge, die eigentlich eine gesunde Zelle nicht schädigt – können Sie Tumore zerstören.“ Diese sogenannte „Galvanotherapie“ würde „in Hunderten, wenn nicht Tausenden von Kliniken in China“ bereits angewendet.

Birgit Hiller hält diese Aussagen für zu pauschal und nicht haltbar. Die Biologin arbeitet beim Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums. Der Dienst beantwortet Fragen zum Thema Krebs und setzt sich dabei bereits seit Jahrzehnten auch mit sogenannter komplementärer und alternativer Krebsmedizin auseinander und stellt dieser die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse gegenüber.

„Aus derzeit vorliegenden Untersuchungen lässt sich nicht ableiten, dass alle Krebszellen generell eine niedrige Zellmembranspannung haben“, so Hiller im Gespräch mit AFP am 8. Januar 2024. Es gebe durchaus Forschungsansätze zu der Frage, ob man durch das Anlegen einer niedrigen Spannung Krebszellen beeinflussen kann, um so Medikamente leichter in sie einzuschleusen. „Bei Zellkulturen unter Laborbedingungen kann das auch funktionieren, als Behandlung bei Menschen mit Krebs ist es nach wie vor eher experimentell oder hat keine ausreichende Wirkung gezeigt“, sagte Hiller. „Aber dabei ging es eben nicht um den Strom selbst als Wirkungsmechanismus, sondern nur darum, die Zellmembran durchlässiger zu machen.“

„Für das, was heute meist als Galvanotherapie bezeichnet wird, also die Behandlung einfach mit einer niedrigen Stromspannung, gibt es dagegen bisher keinen wissenschaftlichen Beleg“, so Hiller. Es gebe schlicht keine vielversprechenden Ergebnisse und deshalb seien entsprechende Ansätze aus der Vergangenheit nicht weiter verfolgt worden.

Galvanotherapie kann zu Verletzungen führen

Das bestätigte auch Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie an der Universität Jena: „Man sieht hier ein typisches Beispiel, in dem eine Grundsatzbehauptung getroffen wird. In diesem Fall, dass Tumorzellen eine niedrige Membranspannung hätten. Und daraus wird dann geschlossen, dass eine Therapie mit Gleichstrom wirksam sein muss.“ Man brauche aber immer die Überprüfung, ob das in der Praxis, also bei einem Menschen, auch wirklich der Fall ist. „Es reicht nicht, wenn wir das im Labor an einzelnen Zellen zeigen können.“

Laut Hübner gebe es keine glaubhafte Studie, die zeigt, dass Patienten und Patientinnen mit einer Galvanotherapie geheilt werden können. „Und es gibt ganz sicher keine, die zeigt, dass wir sie damit besser heilen und mit weniger Nebenwirkungen heilen können, als mit den Therapien, die wir nach Leitlinien und evidenzbasierter Medizin vorschlagen.“

Zweifelhafte Studie zu Prostatatumoren

Die Forscherin kennt lediglich eine Publikation zur Galvanotherapie. Die Studie (hier archiviert) stammt aus dem Jahr 2007 und berichtet von Erfolgen bei der Verkleinerung von Prostatatumoren. Hübner sieht die Ergebnisse kritisch: „Die Studie ist nun über 15 Jahre her. Wenn die Forschungen nach dieser Zeit nicht weitergeführt wurden und es keine weiteren Ergebnisse gibt, dann stimmt da etwas nicht.“

Zudem habe der Herausgeber der Fachzeitschrift, in der die Studie veröffentlicht wurde, diese mit einer sogenannten „expression of concern“ versehen, also einem öffentlichen Zweifel an der Richtigkeit der Ergebnisse. Darin wird sowohl die theoretische Grundlage als auch die Methode der Untersuchung kritisiert.

Auch die Krebsgesellschaft Nordrhein-Westfalen, eine Beratungsorganisation für Krebspatienten, bewertet die Galvanotherapien auf ihrer Website kritisch: „Das Verfahren wird seit Jahrzehnten als vielversprechende Therapiemaßnahme beworben und angewendet, ohne dass die Basismechanismen für die Mehrzahl der Indikationen hinreichend erforscht bzw. die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit aufgezeigt wären. Wissenschaftlich falsch wurden angebliche Therapieerfolge veröffentlicht und in ein lohnendes Geschäft ‚umgemünzt‘.“

Mechthild Krause, Professorin für Radioonkologie am Helmholtz-Zentrum in Dresden, kennt keine fundierten Belege für die Wirksamkeit einer Galvanotherapie bei Krebspatienten und -patientinnen. „Es existieren Studien mit wenigen Patienten, die aber keinesfalls einen Beweis für eine Wirksamkeit (erst recht nicht im Vergleich zu Standardtherapien) darstellen“, schrieb sie in einer E-Mail an AFP am 21. Dezember 2023. Grundsätzlich sei zwar denkbar, dass Tumorzellen durch Strom zerstört werden können. „Das allein reicht jedoch nicht, um eine Wirksamkeit in einem mehrere Zentimeter durchmessenden Tumor anzunehmen.“

Ob es, wie im Video behauptet, in China tausende Kliniken gibt, die diese Therapie anwenden, ist auch Mechthild Krause nicht bekannt. „Es existieren auf jeden Fall keine Publikationen von Ergebnissen in größerem Maßstab aus China. Das bedeutet, dass man auch dort von keinem Nachweis der Wirksamkeit ausgehen kann.“

Jutta Hübner kann Galvanotherapien in China nicht bestätigen oder ausschließen. „Falls es dazu jedoch wissenschaftliche Publikationen in internationalen Fachjournalen gäbe, dann wüssten wir das.“

Hochgefährlich: 100 Gramm gespritztes Vitamin C

Weiter im Video schlägt Hirneise vor, zur Behandlung von Krebs Vitamin C in großen Mengen zu spritzen: „Also hohe Gramm: 25 Gramm, 50 Gramm bis 100 Gramm.“ Die Wirksamkeit sei in über 1000 Studien belegt, die man durch eine einfache Suche im Internet finden könne, behauptet er.

Die Studienlage zu dieser Frage kennt Jutta Hübner gut, da sie und ihr Team selbst ein systematisches Review (hier archiviert) dazu veröffentlicht haben. „Es gibt eine Reihe von Studien, in denen auch Vitamin C in höheren Dosen, teilweise auch in Infusionsform gegeben worden ist“, sagte Hübner. Keine dieser Studien zeige jedoch einen Überlebensvorteil von Krebspatienten. „Ich kenne keine dokumentierte Heilung. Im Gegenteil, in der Leitlinie für Komplementärmedizin (hier archiviert) bei der Behandlung von onkologischen PatientInnen warnen wir ausdrücklich davor. Denn Vitamin C ist ein Antioxidans und damit kann die Wirksamkeit von parallel laufenden Chemo- oder Strahlentherapien abgeschwächt werden.“

Hoch dosiertes Vitamin C beziehungsweise Ascorbinsäure könne zwar im Laborexperiment Krebszellen töten, so Hübner. „Nun ist es aber so, dass fast alle Stoffe, wenn man diese in hoher Konzentration auf Zellen gießt, diese Zellen töteten. Im menschlichen Körper funktioniert das aber nicht, zumal die Niere das wasserlösliche Vitamin C schnell wieder aus dem Blut herausfiltert“, erklärte die Forscherin weiter.

Auch Birgit Hiller stimmt dem zu: „Vitamin C, also Ascorbinsäure, ist eine Säure. Wenn Sie 100 Gramm einer Säure auf eine Zellkultur schütten oder aufgelöst in Gewebe spritzen, verursacht das allein deshalb erhebliche Schäden.“ So etwas könne für Patientinnen und Patienten sehr gefährlich sein und sei kein Beleg für eine spezifische Wirksamkeit von Vitamin C, so die Expertin. „Das erinnert fast an Behandlungen aus dem Mittelalter, als man versucht hat, Tumore mit Säuren wegzuätzen.“

Laut dem Deutschen Krebsinformationsdienst ist die Wirkung von hochdosiertem Vitamin C gegen Krebserkrankungen wissenschaftlich nicht belegt: „Es gibt derzeit keine hochwertigen klinischen Studien zu Vitamin-C-Infusionen bei Krebsbetroffenen, die ausreichend Beweiskraft haben.“

Krebstumore sind nicht mit Pilzen durchzogen

Als letzte Behandlungsmethode stellt Hirneise im Video eine Tumorbehandlung mittels Natriumbicarbonat, auch Natron genannt, vor. Natron ist als Triebmittel in handelsüblichem Backpulver enthalten. Ein „Doktor Tullio Simoncini aus Rom“ habe entdeckt, dass Krebs „zu 70 Prozent mit Pilzen durchzogen“ sei und „Pilze mögen zwei Dinge überhaupt nicht, das ist Jod und Natriumbicarbonat“.

Birgit Hiller widerspricht dieser Aussage deutlich: „Die Hypothese, dass ein Tumor mit bis zu 70 Prozent mit Pilzen durchzogen ist und diese die eigentliche Krebsursache seien, ist nachweislich falsch.“

Vorstellungen wie diese, dass Krebs durch Krankheitserreger ausgelöst werden, stammen laut Hiller aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, als man die tatsächliche Entstehung von Krebs, also durch Veränderungen an der Erbsubstanz DNA, noch nicht kannte. „Die damalige Entdeckung der Rolle von Bakterien und anderen Krankheitserregern als Auslöser von Infektionen bestimmte deshalb auch die Hypothesen zur Krebsentstehung. Wegen der fehlenden Behandlung sind Tumore damals noch oftmals nach außen durchgebrochen und dann gab es dort Infektionen mit Bakterien oder Pilzen. Deshalb lag es nahe, auch zu prüfen, ob das vielleicht den Krebs überhaupt erst verursacht hatte“, so Hiller. Heute wisse man aber, dass Krebs durch Fehler in oder an der Erbinformation, also in unseren Genen, verursacht wird.

Es könne passieren, dass es bei geschwächten Patientinnen und Patienten zu einer sekundären Pilzinfektion kommt. Etwa im Mund oder im Genitalbereich. „Aber das hat nichts direkt mit dem Krebs oder mit seinen Auslösern zu tun, sondern mit der allgemeinen Schwächung des Immunsystems durch die Krankheit oder etwa durch eine Chemotherapie“, sagte Hiller.

„Grobe Scharlatanerie“

Jutta Hübner sieht den Ursprung dieser Behauptung ebenfalls in der weitverbreiteten Vorstellung, „dass Krebserkrankungen auf Parasiten oder Ähnlichem beruhen. Das ist aber völlig falsch. Das ist grobe Scharlatanerie.“

„Zudem steckt hier auch der Irrglaube drin, dass Krankheiten durch eine Übersäuerung des menschlichen Körpers entstehen. Deshalb gibt es viele basische Präparate in Drogerien zu kaufen“, so Hübner. Natriumbicarbonat sei typischerweise so ein Präparat, da es sehr basisch ist. Diese Vorstellung sei aber ebenso grundsätzlich falsch: „Der Körper ist nicht übersäuert und reguliert seinen pH-Wert sehr genau. Lediglich wenn wir einen sehr starken Entzündungsprozess haben, dann kann es zu einer lokalen Übersäuerung kommen, um das Immunsystem zu unterstützen, das Problem zu lösen.“

Hübner betonte, dass die große Herausforderung bei der Behandlung von Krebs sei, dass Krebs kein Bakterium, Virus oder Pilz sei, sondern die Krebszellen, im körpereigenen Gewebe entstehen und zum größten Teil die gleichen Eigenschaften von normalen menschlichen Zellen haben. „Das macht es praktisch unmöglich, eine Therapie zu finden, die nur Krebszellen und nicht die gesunden Zellen angreift.“

Der Krebsinformationsdienst fasst die Frage, ob Backpulver gegen Krebs hilft, wie folgt zusammen: „Die Daten zur Wirksamkeit von Natron oder Backpulver bei Krebs stammen bislang aus der Grundlagenforschung. Solche Erkenntnisse können nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen werden. Dazu bedarf es klinischer Studien mit Krebspatienten. Solange sind Backtriebmittel in der Krebsmedizin eine Methode mit unbewiesener Wirksamkeit.“ Eine Einnahme sei nicht unbedenklich, da Natron oder Backpulver zu Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten führen könne.

Auch AFP hat bereits eine ähnliche Behauptung im Januar 2023 untersucht. Damals wurde fälschlicherweise behauptet, eine Mischung aus Natron und Ahornsirup könne Krebs heilen.

Arzt wegen Therapie mit Natriumbicarbonat verurteilt

Die Therapie wurde laut dem Video auf Facebook von einem „Doktor Tullio Simoncini aus Rom“ erfunden. Weil die Behandlung mit Natriumbicarbonat so günstig sei und sich damit kein Geld verdienen lasse, habe man Simoncini „die Approbation entzogen und sogar kurz ins Gefängnis gesteckt“, sagt Hirneis im Video.

Laut der italienischen Zeitung „La Repubblica“ wurde Tullio Simoncini tatsächlich von der italienischen Ärztekammer ausgeschlossen, nachdem der 27-jährige Luca Olivotto im Oktober 2012 in einem Krankenhaus in Tirana verstorben war, kurz nachdem er unter Simoncini eine Behandlung mit Natriumbicarbonat begonnen hatte. In einem Prozess im Jahr 2018 wurde Simoncini dafür zu sechs Jahren Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

Patienten verpassen wirksame Therapien

Birgit Hiller vom Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums warnt davor, wenn Anbieter dieser oder ähnlicher Methoden von den geprüften und gängigen Behandlungsmethoden abraten oder gar vor der sogenannten „Schulmedizin“ warnen: „Dann besteht ein großes Risiko, Therapiemöglichkeiten zu versäumen, die nachweislich heilen oder zumindest die Situation Kranker verbessern können und dazu beitragen, ihre Krankheit lange aufzuhalten.“

Lothar Hirneise hat auf eine Bitte von AFP um eine Stellungnahme zum Video nicht reagiert.

Fazit: Die Behandlung einer Krebserkrankung durch elektrischen Strom, mit einer sogenannten Galvanotherapie, durch das Spritzen von hohen Dosen von Vitamin C oder durch Spülen der Tumore mit einer Natronlösung sind nicht wirksam, sondern hochgefährlich. Dies bestätigten Expertinnen gegenüber AFP.

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Wissenschaft, Gesundheit

Autor(en): Till EICHENAUER / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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