In den letzten Wochen kam es in Deutschland zu mehreren großen Demonstrationen, unter anderem von Landwirtinnen und Landwirten, die sich gegen die von der Regierung geplante Kürzung von Agrarsubventionen wehrten. Außerdem kam es zu Massenkundgebungen gegen Rechtsextremismus. In diesem Zusammenhang wurde ein kurzer Clip von einer Menschenmenge in Berlin am 21. Januar 2024 von Nutzerinnen und Nutzern in sozialen Netzwerken und Online-Artikeln in Griechenland fälschlicherweise geteilt. In diesem wird behauptet, dass er einen Bauernprotest zeige. Tatsächlich wurde das Bildmaterial vom Account der SPD hochgeladen. AFP konnte nachprüfen, dass die Aufnahmen tatsächlich am Tag der Anti-AfD-Demonstration gemacht wurden.
Tausende von Landwirtinnen und Landwirten demonstrierten Anfang und Mitte Januar 2024 in Deutschland mit Traktorblockaden gegen Reformen der Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz, die unter anderem eine Kürzung der Agrarsubventionen vorsahen. Inzwischen ist die Bundesregierung teilweise zurückgerudert und hat zum Beispiel die geplante Abschaffung der Kfz-Steuervergünstigungen für landwirtschaftliche Betriebe zurückgenommen.
Diese Proteste reihen sich in eine Serie von Demonstrationen von Landwirtinnen und Landwirten ein, die seit dem Sommer 2023 in ganz Europa stattfinden.
Im gleichen Zeitraum demonstrierten in Deutschland Hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus und gegen die AfD. Nach Angaben der Organisatorinnen und Organisatoren versammelten sich am Wochenende vom 20. und 21. Januar 2024 rund 1,4 Millionen Menschen im ganzen Land, nach Angaben der Polizei allein 100.000 vor dem Bundestag in Berlin.
Auslöser dieser Mobilisierungswelle war ein am 10. Januar 2024 veröffentlichter Bericht von „Correctiv„, in dem aufgedeckt wurde, dass AfD-Mitglieder bei einem Treffen mit Rechtsextremen und Identitären über die Abschiebung von Migrantinnen und Migranten und „nicht assimilierten“ Menschen diskutiert hatten.
In diesem Zusammenhang kursierte bereits am 22. Januar 2024 ein Video in sozialen Netzwerken in Griechenland, das eine riesige Menschenmenge zeigt und anhand dessen behauptet wird, dass es sich um in Berlin versammelte Landwirtinnen und Landwirte handle. „Hunderttausende deutsche Landwirte ‚überfluten‘ die Straßen von Berlin und fordern den Rücktritt von Scholz“, heißt es in einem Facebook-Post vom 23. Januar 2024.
In anderen Facebook-Posts, in denen dasselbe Video geteilt wird, wird behauptet, dass es sich um eine Menschenmenge zur Unterstützung der Bauernproteste handle: „Glückwunsch an die Deutschen, eine unglaublich große Menge hat sich in Berlin versammelt, um gegen die Regierung zu protestieren, die die Landwirte dezimiert hat und das nicht nur in den letzten 2 Jahren!“. Das gleiche Video mit der gleichen Behauptung wurde auch auf X verbreitet und hunderte Male retweetet.
Diese Behauptungen sind jedoch falsch. Das Video zeigt eine Menschenmenge, die sich am 21. Januar 2024 in Berlin gegen Rechtsextremismus versammelte. AFP hat bereits in der Vergangenheit falsche Behauptungen über Bauerndemonstrationen überprüft.
Eine Demonstration gegen Rechtsextremismus in Berlin
Eine umgekehrte Videosuche ermöglichte es AFP, das erste Auftauchen des Videos vom 21. Januar 2024 auf TikTok auf dem offiziellen Konto der SPD-Bundestagsfraktion (hier archiviert) zu finden. Das Datum entspricht der Demonstration, die in Berlin stattfand und an der rund 100.000 Menschen teilnahmen.
In der Bildunterschrift heißt es: „Danke an alle, die dieses Wochenende für die Demokratie aufstehen Transparenzhinweis: Wir benutzen ein Trending Audio – es ist nicht der Originalsound der Demo in Berlin.“. Das Video löste eine Kontroverse aus, als es immer wieder erneut geteilt wurde, da nicht immer deutlich gemacht wurde, dass die SPD eine Audioaufnahme eines Protestliedes von einer früheren Demonstration in Leipzig hinzugefügt hatte (hier archiviert).
In einer E-Mail an AFP vom 26. Januar 2024 erklärte der Pressesprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Christian Helms, dass das Video nichts Protesten von Bauern zu tun habe und eine „Demonstration gegen Rechtsextremismus“ in Berlin zeige. „Die Video-Aufnahme wurde von der SPD-Bundestagsfraktion am 21. Januar 2024 um 17.05 Uhr erstellt. Aufgenommen wurde es aus dem Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages.“ Dieses Gebäude steht gegenüber dem Deutschen Bundestag in Berlin und dies entspricht auch dem Standpunkt, der im Video zu sehen ist.
Helms übermittelte auch einen Screenshot der Metadaten des Videos, den AFP ebenfalls unabhängig prüfte und der zeigt, dass die Szene tatsächlich am 21. Januar 2024 um 17.05 Uhr gefilmt wurde.
AFP konnte keine Hinweise auf eine groß angelegte Bauerndemonstration am 21. Januar 2024 in Berlin finden. Am Tag zuvor versammelte sich eine Gruppe von Landwirtinnen und Landwirten vor dem Regierungssitz, um Unterstützung für umweltfreundlichere Anbaumethoden zu fordern. Die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl auf 7000 Personen, die Organisatorinnen und Oragnisatoren auf 8000 (hier archiviert). Die größten Demonstrationen von Landwirtinnen und Landwirten in der Stadt in den letzten Wochen fanden am 8. und 15. Januar 2024 statt, wo nach Angaben der Polizei etwa 8500 und nach Angaben der Organisatorinnen und Organisatoren 10.000 Menschen auf die Straße gingen.
Eine AFP-Journalistin, die bei der Veranstaltung am 21. Januar 2024 anwesend war, wies darauf hin, dass die Menschen ihre Handys auf die gleiche Weise wie im Video hochhielten. Ein AFP-Fotograf hielt die gleiche Geste am selben Tag fest, wie auf dem Foto unten zu sehen ist:
Baustellencontainer und Kräne sind sowohl im TikTok-Video als auch auf den AFP-Fotos der Anti-Rechtsextremismus-Proteste zu sehen, die im folgenden Bildvergleich hervorgehoben sind:
Eine erweiterte Onlinesuche ermöglichte es, ähnliche Fotos zu finden, die auf X in mehreren Sprachen geteilt wurden, wie hier, hier und hier. Sie zeigen denselben Blickwinkel, wobei die Menge durch das Licht der Handys beleuchtet wird. Alle Veröffentlichungen sind vom 21. Januar 2024 und weisen darauf hin, dass es sich um eine Demonstration in Berlin gegen Rechtsextremismus handelt.
Fazit: Online heißt es, dass das Video einen Bauernprotest zeigt. Das ist jedoch falsch, es handelt sich um eine Demonstration gegen Rechtsextremismus.