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Das Weltwirtschaftsforum forderte keine KI-geschriebene Version der Bibel

Das Weltwirtschaftsforum (WEF) hat nicht gefordert, durch künstliche Intelligenz (KI) eine neue Bibel zu schreiben. Die Organisation hat Gott, Jesus und das Christentum zudem nicht als „Fake News“ bezeichnet. In den sozialen Netzen werden seit Mitte Juni Blogeinträge geteilt, die diese Behauptungen verbreiten. Die Falschmeldungen gehen auf fehlinterpretierte Äußerungen des israelischen Historikers Yuval Noah Harari zurück. Das WEF hat den Behauptungen widersprochen.

Das Weltwirtschaftsforum fordere, die Bibel zu verbieten, und „eine globalisierte ’neue Bibel'“ durch KI schreiben zu lassen, heißt es in mehreren Beiträgen (Links hier, hier und hier), die seit Mitte Juni in den sozialen Netzen geteilt werden. Beiträge mit der gleichen Behauptung kursieren bereits in vielen weiteren anderen Ländern, etwa auf Französisch und Rumänisch.

Die Beiträge behaupten, das Weltwirtschaftsforum – eine internationale Nicht-Regierungsorganisation, die 1971 von dem deutschen Ingenieur und Wirtschaftswissenschaftler Klaus Schwab gegründet wurde – hätte dazu aufgerufen, „eine globalisierte, ’neue Bibel'“ durch KI schreiben zu lassen und eine „‚faktengeprüfte‘ Version ohne Gott“ herauszugeben. Das WEF hätte außerdem Gott, Jesus und das Christentum als „Fake News“ bezeichnet.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 6. Juli 2023

Das WEF und sein Gründer Klaus Schwab sind seit Jahren Ziel von Desinformation. Nutzerinnen und Nutzer von Sozialen Netzwerken behaupteten unter anderem, dass die Organisation die Entkriminalisierung von Pädophilen fordere oder dass Schwabs Vater ein hochrangiger Nationalsozialist gewesen sei.

Die Behauptungen aus den Beiträgen zur Forderung einer KI-generierten Bibel sind falsch. Die geteilten Beiträge beziehen sich auf ein Interview des israelischen Autors und Historikers Yuval Noah Harari von Mai 2023, in dem er über die Zukunft von KI spricht. In den Blogeinträgen werden die Behauptungen fälschlicherweise dem WEF zugeschrieben.

WEF dementiert die Behauptungen

AFP konnte auf der Website des WEF und bei seriösen Medien keine Hinweise darauf finden, dass die Organisation solche Äußerungen über die Bibel, Jesus oder KI getätigt hat.

„Das Weltwirtschaftsforum hat nie dazu aufgerufen, dass KI die Bibel neu schreiben soll, und hat sich nie dazu geäußert, die Bibel zu verbieten oder eine neue Weltreligion zu fordern“, sagte WEF-Sprecher Yann Zopf gegenüber AFP am 28. Juni 2023. „Das sind Falschbehauptungen, die die wichtige Arbeit des Weltwirtschaftsforums zur Bewältigung ernster globaler Herausforderungen diskreditieren“, fügte er hinzu.

Harari ist nicht „Schwabs rechte Hand“

In den Beiträgen wird Yuval Noah Harari als „rechte Hand von Klaus Schwab beim WEF“ bezeichnet. Zwar nahm Harari an Veranstaltungen des WEF teil – 2018 und 2020 sprach er jeweils auf dem Jahrestreffen des WEF in Davos. Darüber hinaus ist er jedoch nicht mit der Organisation verbunden. „Bitte beachten Sie, dass Herr Harari weder ein Angestellter noch ein Berater des Weltwirtschaftsforums ist“, erklärte WEF-Sprecher Zopf. Auf der Website des Weltwirtschaftsforums wird Harari als Geschichtsprofessor der Hebräischen Universität Jerusalem und als Historiker, Philosoph und Autor mehrerer Bestseller vorgestellt.

Den Blogeinträgen zufolge argumentiere Harari, die Bibel sei „‚Fake News‘ und voller Hassreden“. Außerdem könnten die Eliten KI nutzen, um die Bibel zu ersetzen und eine einheitliche Religion zu schaffen, die tatsächlich korrekt sei. Diese Zitate sind allerdings aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen worden.

Hararis Äußerungen stammen aus einem Interview 

Mehrere andere Faktencheck-Organisationen wie Snopes, USA Today und Logically Facts haben die Behauptungen auf Grundlage eines Artikels der Webseite Slay News vom 10. Juni bereits entlarvt. Laut dem Artikel stammten die in einen falschen Kontext gesetzten Äußerungen aus einem Interview mit Journalist Pedro Pinto in Lissabon.

AFP fand heraus, dass Harari in diesem Interview vom 19. Mai 2023 (hier archiviert) tatsächlich über das Potenzial von KI sprach, „Entscheidungen zu treffen“ und „neue Ideen zu erschaffen“. Harari forderte allerdings weder, die Bibel durch KI neu schreiben zu lassen, noch sagte er, eine KI-generierte Bibel würde Religionen hervorbringen, die „tatsächlich korrekt“ seien.

„KI kann neue Ideen kreieren. Sie kann sogar eine neue Bibel schreiben“, sagt Harari im Interview nach circa acht Minuten. Dabei spricht er darüber, dass KI die erste Technologie sei, die „über sich und sogar über uns Entscheidungen treffen kann“. Von einer Forderung ist nicht die Rede.

„In der Geschichte haben Religionen davon geträumt, ein Buch zu haben, das von einer übermenschlichen Intelligenz, von einem nicht-menschlichen Wesen geschrieben wurde“, sagt Harari im Video. Jede Religion würde behaupten, nur ihr Buch stamme von einer übermenschlichen Intelligenz, während die Bücher der anderen Religionen von Menschen geschrieben worden seien. „In einigen Jahren könnte es Religionen geben, die tatsächlich korrekt sind. Denken Sie über Religionen nach, deren Heiliges Buch von KI geschrieben wurde. Das könnte in ein paar Jahren Realität sein“, fügte er hinzu.

Im Mai 2023 sprach Harari außerdem auf dem Frontiers Forum, einer Reihe virtueller Vortragssitzungen, die von Frontiers Media organisiert wurden, einem Herausgeber von frei zugänglichen, von Experten begutachteten wissenschaftlichen Zeitschriften, über künstliche Intelligenz und die Zukunft der Menschheit. Auch dort forderte er nicht, KI solle eine neue Bibel schreiben. Er warnte vielmehr vor der potenziellen Macht von KI, religiöse Texte verfassen zu können: „Bei Spielen wie Schach kann kein Mensch hoffen, einen Computer zu schlagen. Was wäre, wenn das Gleiche in der Kunst, in der Politik, in der Wirtschaft und sogar in der Religion geschieht? (…) Denken Sie zum Beispiel an die nächste Präsidentschaftswahl in den USA im Jahr 2024 und stellen Sie sich die Auswirkungen der neuen KI-Tools vor, die politische Manifeste, gefälschte Nachrichten und sogar heilige Schriften für neue Kulte massenhaft produzieren können.“

AFP versuchte, Harari um einen Kommentar zu bitten, hatte jedoch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels keine Antwort erhalten.

WEF sagte nicht, Jesus sei „Fake News“ 

In den in sozialen Netzen geteilten Blogeinträgen heißt es außerdem: „Laut WEF sind Gott, Jesus und das Christentum ‚Fake News‘, die von der Menschheit abgetan werden müssen.“ Dabei scheint es sich ebenfalls um eine aus dem Kontext gerissene Aussage Hararis zu handeln.

In einem Interview aus dem Jahr 2018 (hier archiviert), das im Zuge der Vortragsreihe „Talks at Google“ stattfand, wird Harari von Moderator Wilson White nach der Integration von Spiritualität und Technologie in das Leben der Menschen gefragt. „Um Menschen im großen Maßstab zu organisieren, brauchte man bislang immer eine Art Geschichte, eine Fiktion, die Menschen erfunden haben, die aber von genügend Menschen geglaubt wurden, um sich darüber zu einigen, wie sie sich verhalten sollten. Das ist nicht nur bei Religion der Fall, das ist das offensichtliche Beispiel“, sagt Harari.

Anschließend spricht er über die verschiedenen Perspektiven der Religionen auf die Geschichte: „Sogar religiöse Menschen würden zustimmen, dass alle Religionen außer eine fiktionale Geschichten sind. (…) Wenn Sie einen Juden fragen, wird er Ihnen sagen, das Judentum sei die Wahrheit, das ist sicher. Aber all die Milliarden Christen und Muslime und Hindus glauben an fiktionale Geschichten. Ich meine, all die Geschichten über Jesus, der auferstanden und der Sohn Gottes ist, das sind Fake News.“

Auf die ungläubige Rückfrage des Moderators, ob das wahr sei, präzisierte Harari: „Wenn Sie einen Juden fragen, beispielsweise einen Rabbi“, würde dieser das sagen. „Aber dann gehen Sie zu einem Christen, der wird sagen: ‚Nein (…), das ist wahr. Aber die Muslime, die glauben an Fake News. All die Geschichten über Mohammed, der den Erzengel Gabriel trifft, und der Koran, der vom Himmel kommt, das sind alles Fake News.‘ Und die Muslime werden Ihnen das über den Hinduismus sagen“, sagte Harari.

Behauptung „Gott ist tot“ auf Hararis Werk zurückzuführen

Die Behauptung, das WEF habe gesagt, „Gott ist tot“, kann ebenfalls auf Hararis Werk zurückgeführt werden. In seinem 2015 erschienen Buch „Homo Deus: Eine Geschichte von morgen“ zitiert Harari Friedrich Nietzsches berühmten Ausspruch „Gott ist tot“ (hier archiviert). Unter anderem schrieb Harari: „Mehr als ein Jahrhundert, nachdem Nietzsche verkündet hat, Gott sei tot, scheint der Allerhöchste ein Comeback zu erleben. Doch das ist ein Trugbild. Gott ist tot – es dauert nur eine Weile, den Leichnam loszuwerden.“

Fazit: Das Weltwirtschaftsforum und Yuval Noah Harari haben nicht gefordert, die Bibel durch KI neu schreiben zu lassen. Passagen, in denen sich Harari zu KI im Zusammenhang mit der Bibel sowie zu Gott äußert, sind in Social-Media-Beiträgen und Blogeinträgen aus dem Kontext gerissen. Das bestätigen Originalvideos von Hararis Aussagen. Zudem widersprach ein Sprecher des Weltwirtschaftsforums den Behauptungen.

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Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie

Autor(en): Valentina-Paula CABESCU / Johanna LEHN / AFP Rumänien

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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