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Dieses Video stammt vom Rande eines Fußballspiels, nicht von einer Demo

Ein Video zeigt, wie Polizisten einen Mann am Boden fixieren und auf ihn einschlagen. Nutzerinnen und Nutzer behaupten, es zeige das Vorgehen der Polizei gegen einen Demonstranten bei einem Protest gegen steigende Energiepreise. Die Aufnahme entstand allerdings bei einem umstrittenen Polizeieinsatz am Rande eines Fußballspiels im Oktober 2022 in Hamburg. Eine Verbindung zu politischen Protesten gebe es nicht, so die Hamburger Polizei.

Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben das Video seit Ende Oktober 2022 auf Facebook geteilt. Auch auf Telegram sahen Zehntausende die Behauptung, darunter auch auf dem Kanal des Sängers Michael Wendler, der bereits wiederholt mit verschwörungstheoretischen Ansichten auffiel. Auf Spanisch verbreiteten User die Falschbehauptungebenfalls.

Die Behauptung: In den Postings ist die Aufnahme als „Video vom Einsatz der Bundespolizei gegen Demonstranten bei einem Protest gegen steigende Energiepreise“ beschrieben. Darin ist zu sehen, wie Polizeibeamte einen Mann auf den Boden drücken und ihm in die Seite schlagen.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 11.11.2022

Mit zunehmenden Energie- und Lebensmittelpreisen steigt die Befürchtung eines „heißen Herbstes“, gewalttätigen sozialen Unruhen in Deutschland. Im Kontext dieser Sorge verbreiteten sich bereits andere Falschbehauptungen rund um solche vermeintlichen Demos. AFP sammelt außerdem hier Faktenchecks zum Thema Inflation.

Video vom Rande eines Fußballspiels

Die Aufnahme hat allerdings nichts mit einer Demonstration gegen steigende Energiepreise zu tun. Eine Rückwärtssuche nach Ausschnitten aus dem Clip führt zu Artikeln (hier, hier, hier) über einen Polizeieinsatz bei einem Zweitligaderby am 14. Oktober 2022 zwischen den beiden Hamburger Vereinen FC St. Pauli und Hamburger SV. Die Berichte verlinken teilweise ein am Nachmittag des Spiels veröffentlichtes und tausendfach geteiltes Video, das etwas länger und in höherer Bildauflösung dieselbe Szene zeigt wie die aktuell geteilten Facebook-Postings.

 

Allerdings erwähnt der auf Fußball-Fankultur spezialisierte Account keine Demonstration, sondern verwendet den zum Spiel passenden Hashtag #FCSPHSV, die Abkürzungen der beiden Vereine.

Auch andere Details deuten darauf hin, dass die Aufnahme vom Einsatz beim Fußballspiel stammt. Aufgenommen wurde das Video direkt am Millerntor-Stadion in Hamburg, der Spielstätte des FC St. Pauli. Detaisl im aktuell verbreiteten Posting mit der Falschbehauptung links stimmen mit einem Bild von Google Maps des Millerntors überein. Sowohl die charakteristische Gebäudefassade (türkise Hervorhebung) als auch ein Transparent an einem Gitter (dunkelblaue Hervorhebung) sind auf beiden Aufnahmen zu erkennen.

Vergleich des Aufnahmeortes: Screenshot des aktuell geteilten Postings mit der Falschbehauptung (links), Foto des Millerntor-Stadions auf Google Maps (rechts), Hervorhebungen der Übereinstimmungen: AFP am 14.11.2022

Im besser aufgelösten Twittervideo ist außerdem zu erkennen, dass im Hintergrund Menschen typtisch wie Fußballfans gekleidet sind. Zu sehen sind etwa Schals in den Farben des FC St. Pauli sowie ein Mann mit Totenkopf-Shirt, einem Symbol des Vereins.

Menschen mit FC St. Pauli-Fanartikeln im Twitter-Video vom 14. Oktober 2022, Hervorhebungen durch AFP

AFP hat außerdem bei der Polizei Hamburg nachgefragt. Sprecherin Nina Kaluza bestätigte am 11. November 2022, dass das Video am Rande des Hamburger Derbys am 14. Oktober 2022 entstand. Zwei Pressemeldungen der Hamburger Polizei beschäftigten sich ebenfalls mit dem Einsatz sowie dem Vorfall, der durch das verbreitete Video Wogen schlug.

Laut Polizeimeldung kam es zu dem Zwischenfall, als sich etwa 150 bis 200 Anhänger des FC St. Pauli in Richtung HSV-Fans bewegten, was die Polizei verhinderte. „Zuvor zogen sie ihre roten Schals als Vermummung ins Gesicht“, heißt es in der Polizeimeldung. Auch der Mann im online geteilten Video trägt einen roten Schal. Die darauffolgende Szene zeige die „Ingewahrsamnahme“ eines 37-jährigen Italieners, die „Fragen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme“ aufwerfe, wie die Polizei selbst schreibt. Intern sei daher ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Laut Polizei waren 1445 Beamtinnen und Beamte beim Derby im Einsatz.

Kritik an Polizeieinsatz

Der FC St. Pauli kritisierte den Einsatz. Angesichts des kursierenden Videos stelle sich die Frage „wie es verhältnismäßig sein kann, auf den Kopf von einer am Boden liegenden Person zu schlagen“, heißt es in einer Pressemitteilung vom 17. Oktober 2022. Der Verein forderte Aufklärung. Dem schloss sich die Fan-Vereinigung des HSV, der „Supporters Club“ auf Twitter an und forderte ebenfalls eine „unabhängige, zeitnahe und vollständige Aufklärung des Polizeieinsatzes beim Derby und dessen Verhältnismäßigkeit.“

Auch politisch sorgte der umstrittene Einsatz für Debatten. Hamburgs Innen- und Sportsenator Andy Grote (SPD) äußerte sich zum Polizeieinsatz: „Polizeiliche Gewaltanwendung muss immer den Anforderungen an die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit genügen. Und daran kann man hier Zweifel haben.“

Kein Zusammenhang mit Energie-Demo

Im Oktober 2022  gab es in Hamburg tatsächlich Proteste gegen zu hohe Energiekosten. Dass es beim aktuell verbreiteten Video einen Zusammenhang zu einer Energiepreis-Demo gab, widersprach die Hamburger Polizei: „Es gab keine Verbindung zu Demonstrationen zu Energiepreisen oder Inflation.“ Sprecherin Kaluza gab an, dass es bei solchen vergangenen Demos zu keinen größeren Eskalationen kam.

Fazit: Ein Video zeigt, wie ein Polizist einen auf dem Boden liegenden Mann schlägt. Es entstand allerdings nicht bei einer Demonstration, sondern am Rande eines Fußballspiels in Hamburg. Eine Verbindung zu Protesten gegen Inflation oder Energiepreisen gab es dabei laut Polizei Hamburg nicht.

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Politik, Sport

Autor(en): Natalia SANGUINO, Eva WACKENREUTHER, AFP Österreich, AFP Spanien

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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