Bewertung
Das geht aus der Rede nicht hervor. Das Video stammt bereits aus dem September 2022. Die Abgeordnete Ingrid Nestle beklagte darin, dass in Frankreich nur die Hälfte der Atomkraftwerke laufe. Andere Äußerungen von Nestle zeigen aber, dass sie von Frankreich nicht etwa einen Ausbau fordert – sondern grundsätzlich kritisiert, dass das Land stark auf Atomkraft setzt.
Fakten
Ingrid Nestle aus der Fraktion der Grünen hielt am 28. September 2022 im Bundestag eine Rede zum Thema Energiesicherheit. Wie aus einem vollständigen Mitschnitt und aus dem Plenarprotokoll hervorgeht, sprach sie über «drei Krisen im Energiebereich, die gerade gleichzeitig Europa erschüttern». Konkret nannte Nestle als Krisen:
- die Abhängigkeit von russischen Energieexporten und einen «Energiekrieg» des russischen Präsidenten Wladimir Putin,
- «die miserable Verfügbarkeit der Atomkraftwerke in Frankreich» und allgemein die Atomenergie sowie
- die Klimakrise, zum Beispiel aufgrund der «schlechten Verfügbarkeit der Wasserkraft in Europa» durch Dürren.
Bei ihrer Rede wurde sie immer wieder durch Zwischenrufe unterbrochen – vor allem aus der AfD-Fraktion. Aus dem vollständigen Protokoll geht nirgends hervor, dass Nestle mehr Importe von Atomstrom aus Frankreich forderte. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass sie die Atomkraft generell für krisenanfällig hielt.
Tatsächlich gab es im Sommer 2022 Meldungen über Probleme in der französischen Stromproduktion. Frankreich setzt stark auf Atomkraft. Viele der Kraftwerke sind jedoch alt und gelten als fehleranfällig. Ein warmer und trockener Sommer sorgte zudem dafür, dass nicht genug Kühlwasser vorhanden war und einige Reaktoren mit verringerter Leistung laufen mussten. Am 15. September 2022 berichtete die «Süddeutsche Zeitung», dass 27 von insgesamt 56 französischen Reaktoren nicht in Betrieb seien.
Laut der Darstellung der Zeitung sorgten die geringeren Kapazitäten in Frankreich für einen Anstieg der Strompreise in ganz Europa. Auch Analysten kamen im Sommer 2022 zu diesem Schluss. Frankreich war auf Stromimporte angewiesen, auch aus Deutschland.
Deutschland wiederum ist im ersten Halbjahr 2023 aus der Atomkraft ausgestiegen, als die letzten drei verbliebenen Kraftwerke abgeschaltet wurden. Seither gibt es Kritik, dass Deutschland Atomstrom aus Frankreich importieren müsse, weil eigene Kapazitäten fehlen würden. Die Bundesregierung hielt im September dagegen, dass Deutschland «immer mal wieder Strom aus dem Ausland einkaufen» müsse, eigentlich aber Stromexporteur sei. Zudem verwies sie auf den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien.
In diese Gemengelage hinein verbreiten Nutzerinnen und Nutzer in den sozialen Netzwerken nun den Redeausschnitt der Grünen-Abgeordneten Nestle. Schon rein zeitlich bezog sie sich aber auf eine andere Situation am europäischen Strommarkt. Es finden sich außerdem weitere Äußerungen von Nestle, in denen sie die Atomkraft generell kritisiert. 2021 ging sie in einer Pressemitteilung unter anderem auf gestiegene Baukosten für einen französischen Reaktor ein. Anfang 2022 sprach sich Nestle gegen das Vorhaben der EU-Kommission aus, Atomkraft als klimafreundlich einzustufen.
(Stand: 24.11.2023)