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Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist im Laufe der Pandemie immer wieder Ziel von Falschmeldungen gewesen. Aktuell wird der Organisation im Netz ein «perfider Plan» unterstellt, demzufolge eine Entmachtung der nationalen Regierungen und eine Streichung der Menschenrechte aus den Internationalen Gesundheitsvorschriften geplant sei. Was ist da dran?

Bewertung

Es gibt keine derartigen Pläne. Die nationalstaatliche Souveränität ist in der Verfassung der WHO gesichert. Das besprochene Dokument enthält lediglich Änderungs- sowie Ergänzungsvorschläge der bestehenden Leitsätze und ist kein verbindlicher Vertrag. Der Ausdruck «Menschenrechte» wurde außerdem nicht gestrichen, sondern nur an einer Stelle präzisiert.

Fakten

Unter anderem auf Facebook kursiert ein Video, in dem ein vermeintliches «Geheimpapier» vorgestellt wird, das der Öffentlichkeit angeblich nicht zugänglich ist. Der Autor des Beitrags hat das Dokument laut eigener Aussage von einem «Whistleblower» erhalten (Minute 1:25), der «jahrelanger Insider der WHO» sein soll.

Dieser Umstand wäre aber gar nicht nötig gewesen: Bei dem hier thematisierten Papier handelt es sich um eine «Zusammenstellung von Änderungsvorschlägen zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften». Die Datei ist öffentlich zugänglich und kann über die Webseite der WHO heruntergeladen werden. Hier sind Vorschläge zu Ergänzungen und Erneuerungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) aus dem Jahr 2005 enthalten.

Auf Initiative der USA hin entschied die Weltgesundheitsversammlung (WHA) als Exekutivorgan der WHO im Mai 2022, dass die Mitgliedsstaaten Änderungsvorschläge für die Gesundheitsvorschriften einreichen sollten. Eine Arbeitsgruppe, die im November 2022 in Genf zusammentraf, bündelte die Anträge der einzelnen Mitgliedsstaaten nun in dieser Übersicht. Ausführlich sind die Einreichungen zusätzlich in englischer sowie in der jeweiligen Landessprache der Mitgliedsstaaten als Download verfügbar.

Dies sind bis dato lediglich Vorschläge. Die Arbeitsgruppe wird diese ausarbeiten und bis zur 77. Versammlung der WHA im Jahr 2024 zur Prüfung vorlegen.

Staatliche Souveränität bleibt erhalten

Einer der zentralen Punkte in dem Video dreht sich um einen zu ergänzenden Artikel 13A der Gesundheitsvorschriften. In dessen Absatz 1 sollen die Vertragsstaaten die WHO als Koordinationsstelle im Falle eines «Gesundheitsnotstands von internationaler Tragweite» anerkennen und sich verpflichten, ihren Handlungsempfehlungen zu folgen. Dies bedeute angeblich, die Nationalstaaten müssten mitmachen, «koste es, was es wolle» (ab Minute 04:55).

Nur: Die Leitlinien der WHO stehen nicht über der Souveränität der WHO-Mitglieder, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) bereits mehrfach in Faktenchecks darlegte. Laut Artikel 19 der WHO-Verfassung müssen Verträge und Abkommen entsprechend der jeweiligen nationalen verfassungsrechtlichen Bestimmungen genehmigt werden, um in Kraft zu treten. Hierzulande erfolgt die Legitimation der Leitlinien durch das «Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005)» (IGV-DG).

Die Mitgliedsstaaten haben darüber hinaus gemäß Artikel 22 der WHO-Verfassung die Möglichkeit, die Beschlüsse nicht anzuwenden, wenn dies begründet und rechtzeitig mitgeteilt wird. Insofern ist der Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, nicht «alleiniger Machthaber» in Entscheidungen zur Pandemiebekämpfung (ab Minute 05:26). Das Recht, den Gesundheitsnotstand auszurufen hat er außerdem bereits in der jetzigen Fassung.

Recht auf Teilhabe präzisiert

Im Anschluss wird noch die Behauptung aufgestellt, die WHO wolle die Menschenrechte «ersatzlos» aus den Gesundheitsvorschriften streichen (ab Minute 10:33). Das stimmt allerdings nicht, da der Terminus in den Vorschlägen zu Artikel 2 IGV sogar ergänzt wurde. In Artikel 3 IGV wurde wiederum eine differenziertere Formulierung vorgeschlagen.

So solle die Umsetzung der Regularien künftig nicht mehr nur «unter voller Achtung der Würde, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten» erfolgen, sondern vielmehr basierend auf «Gleichheit, Inklusion, Zusammenhalt und […] unter Berücksichtigung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der jeweiligen Mitgliedsstaaten».

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist in Artikel 1 definiert: «Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.» Das besagt im Grunde nichts anderes als die nun vorgeschlagene Formulierung zu Gleichheit und Inklusion. Die neue Fassung würde nur überdies auch auf die unterschiedlichen Grundvoraussetzungen der einzelnen Staaten in der Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen Bezug nehmen.

Denn einer der wesentlichen Gründe für die Überarbeitung der Internationalen Gesundheitsvorschriften ist das Ziel, einer gesundheitlichen Notlage künftig schneller begegnen und einen gleichberechtigen Zugang zu technologischen sowie medizinischen Mitteln schaffen zu können.

(Stand: 19.1.2023)

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Politik, Gesundheit

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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