Berlin: Keine Belege, dass eine Gruppe Ukrainer zwei Personen angriff, weil sie Russisch sprachen - Featured image

Berlin: Keine Belege, dass eine Gruppe Ukrainer zwei Personen angriff, weil sie Russisch sprachen

Unter dem Titel „Hass aufs Russische“ berichtete die Tageszeitung Junge Welt am 23. November über einen Vorfall in Berlin. Laut dem Artikel wurden angeblich zwei „Antifaschisten“ in Berlin-Friedrichshain von fünf „ukrainischen Nationalisten“ angegriffen. Der Grund: Der russischstämmige Mann habe ein paar Worte Russisch gesprochen. Dem Bericht ist zu entnehmen, dass es sich bei dem zweiten Opfer um eine 32-jährige Frau handelt.

Weiter heißt es, die Ukrainer hätten eine große blau-gelbe Flagge dabei gehabt. Junge Welt gibt an, selbst mit der Frau gesprochen zu haben und zitiert sie mit der Aussage, Polizisten vor Ort hätten ihr gesagt, dass es „in den Wochen davor mehrfach zu ähnlichen Übergriffen auf Linke oder russischsprachige Menschen im Kiez durch ukrainische Nationalisten“ gekommen sei. Der Staatsschutz ermittle in diesem Fall, heißt es in dem Artikel.

Berliner Polizei kann Details des Vorfalls in Friedrichshain nicht bestätigen

Der Bericht der Jungen Welt wurde international verbreitet, zum Beispiel in chinesischen Medien (hier). Ein Twitter-Nutzer schrieb dazu, er glaube, es handele sich um „Fake News“. Verschiedene russische Webseiten schrieben mit Bezug auf Junge Welt, dass „ein Russisch sprechendes Paar“ beziehungsweise „zwei russischsprachige Berliner“ von Ukrainern zusammengeschlagen worden seien (hier, hier und hier). Auch die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Novosti verbreitete diese Behauptung am 24. November. Sie stimmt so allerdings nicht, es handelte sich nicht um zwei russischstämmige Personen.

Wir haben mit der Polizei und Nick Brauns, der den Artikel der Jungen Welt verfasst hat, gesprochen. Sie bestätigen, dass die Frau nicht aus Russland stammt. Die verfügbaren Informationen basieren ausschließlich auf der Aussage der Betroffenen und deren Interpretation der Situation. Zudem gibt es keine Belege, dass die angreifenden Personen Ukrainer sind.

Keine Belege, dass die angreifenden Personen Ukrainer sind 

Tatsächlich gebe es eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung, das Opfer sei eine 32-jährige Frau, sagte uns Martin Stralau, Pressesprecher der Polizei Berlin. Sie habe angegeben, dass sie in der Nacht vom 18. auf den 19. November gegen 3.40 Uhr vor einer Bar in der Silvio-Meier-Straße in Friedrichshain von fünf bis sechs Personen angegriffen wurde. Die Angreifer hätten Deutsch gesprochen.

Die Frau habe durch Pfefferspray eine Augenreizung und zudem eine Verletzung am Oberarm erlitten. Sie sei deshalb behandelt worden. Bisher habe sich keine weitere geschädigte Person bei der Polizei gemeldet, so Stralau.

Weiter erklärte der Sprecher: Die Frau sei ungarische Staatsbürgerin und spreche Deutsch. Tatverdächtige konnte die Polizei bisher nicht ermitteln, daher ist unklar, ob die angreifenden Personen Ukrainer waren. Die Frau habe angegeben, dass eine Person eine ukrainische Flagge dabei gehabt habe, und dass es im Gespräch darum gegangen sei, dass sie vermeintlich Russin sei. Deshalb ermittle tatsächlich der Staatsschutz.

Zu dem Begleiter der Frau sagte uns Nick Brauns von der Jungen Welt am 29. November am Telefon, es handele sich um einen „russischstämmigen Israeli“. Er habe sich aus privaten Gründen nicht bei der Polizei gemeldet; welche das sind, sagte Brauns nicht. Der Begleiter habe auch vor Ort nicht auf die eintreffenden Beamten gewartet. Dass es sich bei den Angreifern um Ukrainer gehandelt habe, sei die Interpretation der beiden Betroffenen gewesen. „Die Fahne kann natürlich jeder tragen“, räumte er ein.

Im Artikel steht, die zwei Opfer seien „brutal zusammengeschlagen worden“, am Telefon sagte uns Brauns allerdings, der Mann sei seines Wissens nach nicht stark verletzt worden.

Polizei: Keine ähnlichen Vorfälle in den vergangenen vier Wochen

Sprecher Martin Stralau zufolge wurden in den vergangenen vier Wochen, seit dem 22. Oktober, keine ähnlichen Vorfälle in der Gegend um die Silvio-Meier-Straße von der Polizei dokumentiert. Auch für die Aussage, dass es sich um „keinen Einzelfall“ handele, gibt es also keine Belege.

Die Junge Welt bezeichnet sich selbst als „marxistisch orientierte Tageszeitung“ und wird in Deutschland laut Medienberichten seit einigen Jahren in den Verfassungsschutzberichten unter der Kategorie „Linksextremismus“ erwähnt.

Redigatur: Steffen Kutzner, Kimberly Nicolaus

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Autor(en): CORRECTIV

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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