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Betreiber veranlassen Dekontamination nach AKW-Abschaltung

Auch kurz nach dem Abschalten der letzten deutschen Atomkraftwerke (AKW) wünscht sich manch Politiker einen Weiterbetrieb. Angeblich seien bestimmte Teile zweier Ende 2021 abgeschalteter AKW gleich so heftig mit Säure gespült worden, dass ein erneutes Hochfahren unmöglich sei, heißt es nun in einem Online-Artikel. Das sei «unter grüner Verantwortung» und «ohne Genehmigung» geschehen. Warum diese Behauptungen in die Irre führen.

Bewertung

Die von den AKW-Betreibern initiierte Dekontamination nach Abschaltung ist gängige Praxis und Teil der Betriebsgenehmigung. Politische Machtverhältnisse spielen dabei keine Rolle.

Fakten

Bei der Stilllegung kerntechnischer Anlagen gibt es verschiedene Phasen: Die Betreiber haben am Wochenende die drei letzten deutschen Atomkraftwerke – Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 – außer Betrieb genommen. «Die endgültige Abschaltung unterscheidet sich technisch nicht von einem betriebsbedingten Herunterfahren», schreibt das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung.

Danach folgt die einige Jahre dauernde Nachbetriebsphase, die noch der Betriebsgenehmigung des Kraftwerks unterliegt. Erst für die anschließende Stilllegung und den Abbau ist eine eigene Genehmigung erforderlich.

Das bedeutet: Die drei AKW, die am Wochenende abgeschaltet wurden, befinden sich nun in der Nachbetriebsphase. Als vorbereitende Maßnahme für die Stilllegung gilt die Primärkreis-Dekontamination. Das bestätigt ein Sprecher des Bundesumweltministeriums (BMUV) auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Für diese bedürfe es keiner Rückbaugenehmigung, erklärt Almut Zyweck, Sprecherin des AKW-Betreibers PreussenElektra. Die nach ihren Worten «wichtige vorbereitende Maßnahme» erfolge im Rahmen der Betriebsgenehmigung.

Bei den drei letzten Kernkraftwerken, die in Deutschland Strom produzierten, handelt es sich nach Angaben des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) um Druckwasserreaktoren. «Bei diesem Bautyp werden als erstes zur Dekontamination die Elemente des Primärkreises mit Säure freigespült», erläutert der VDI online. Anschließend werde das AKW Schritt für Schritt zurückgebaut. Im Primärkreis des laufenden Kraftwerks wird Wasser unter Druck durch die von den Brennelementen erzeugte Energie aus der Kernspaltung erhitzt.

Der Primärkreis wird laut BMUV dekontaminiert, «um die Strahlenbelastung während der folgenden Abbauphase soweit wie möglich zu verringern». Die Gefahr für das bei Stilllegung und Abbau vor Ort tätige Personal werde dadurch deutlich reduziert, erklärt auch das bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz in einem Sicherheitsbericht.

Es sei grundsätzlich möglich, die betroffenen Komponenten des Primärkreises so zu dekontaminieren, dass sie keinen dauerhaften Schaden nehmen, so der Sprecher des BMUV. Wenn allerdings der Abbau der AKW anstehe, sei «im Interesse des Strahlenschutzes eine besonders gründliche und damit die Komponenten stark und auf unter Umständen auf Dauer schädigende Dekontamination vorgesehen», erklärt der Sprecher.

Als Beispiele für abgeschlossene Primärkreis-Dekontaminationen nennt der Online-Artikel die AKW Grohnde in Niedersachsen und Brokdorf in Schleswig-Holstein. Diese wurden Ende 2021 vom Netz genommen. PreussenElektra-Sprecherin Zyweck bestätigt, dass seitdem in beiden Kraftwerken eine Primärkreis-Dekontamination durchgeführt worden sei.

Diese Maßnahme ist also grundsätzlich keine politische Entscheidung, sondern wird vom Betreiber innitiiert. Betrachtet man indes die politischen Machtverhältnisse zum entsprechenden Zeitpunkt des gängigen Säureeinsatzes, waren in Schleswig-Holstein tatsächlich die Grünen an der Macht – von 2017 bis 2022 in einer Jamaika-Koalition und seit Mitte 2022 in der Konstellation Schwarz-Grün. In Niedersachsen regierte bei der chemischen Reinigung im Mai und Juni 2022 eine große Koalition aus SPD und CDU.

Daneben gibt es weitere Beispiele für Dekontaminationen vor Stilllegungen, an denen die Grünen nicht in der Regierung waren. Beim AKW Unterweser in Niedersachsen gab es im vierten Quartal 2012 eine schwarz-gelbe Landesregierung, beim AKW Grafenrheinfeld in Bayern war in der zweiten Jahreshälfte 2016 die CSU an der Macht.

Der Traum aktueller Regierender von einem Weiterbetrieb kollidiert nicht nur mit der Änderung des Atomgesetzes 2017, wonach AKW «unverzüglich stillzulegen und abzubauen» sind. Endgültig platzen sollte er spätestens Anfang 2024: Dann plant PreussenElektra die Primärkreis-Dekontamination bei Isar 2.

(Stand: 19.4.2023)

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Wissenschaft, Gesellschaft, Umwelt

Autor(en): dpa

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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