Die europäischen Gesundheitsbehörden empfehlen schwangeren Frauen weiterhin, sich gegen Corona impfen zu lassen. Beiträge, die Ende Mai 2023 in sozialen Netzwerken verbreitet wurden, behaupteten das Gegenteil. Diese Behauptungen stützen sich auf eine Fehlinterpretation einer Mitteilung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), die im Oktober 2022 Menstruationsbeschwerden als mögliche Nebenwirkung von mRNA-Impfstoffen hinzufügte. Bisher hat die Corona-Impfung keine besonderen Risiken für schwangere Frauen gezeigt, im Gegensatz zu Covid-19, das ein erhöhtes Risiko für Komplikationen mit sich bringt, wie Expertinnen und Experten gegenüber AFP erklärten.
Ein französischer Beitrag auf Telegram, der seit dem 31. Mai 2023 über 21.000 Mal angesehen wurde, behauptet: „Die EU rät schwangeren Frauen nun von der Corona-Impfung ab.“ Dieselbe Behauptung wurde auch mehrfach auf Facebook und Twitter in Belgien und Frankreich geteilt.
Internetnutzerinnen und -nutzer verbreiteten den Screenshot eines englischsprachigen Tweets, der seit dem 31. Mai 2023 mehr als tausend Mal geteilt wurde.
Dabei hat die EMA schwangeren Frauen nicht von der Impfung abgeraten, wie sie gegenüber AFP bestätigte. Es handle sich um eine Fehlinterpretation einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2022. Der Artikel, auf den sich die falschen Behauptungen berufen, stütze sich zudem auf unzuverlässige Quellen. Derzeit falle die Nutzen-Risiko-Abwägung der Corona-Impfstoffe für schwangere Frauen nach Angaben der Gesundheitsbehörden eindeutig zugunsten der Impfung aus.
Fehlinterpretation einer EMA-Pressemitteilung
Die große Mehrheit der Beiträge enthält den Screenshot eines englischsprachigen Tweets, der Ende Mai 2023 auf dem Profil „Leading Report“ veröffentlicht wurde. Dieses Konto und die dazugehörige Website enthalten zahlreiche impfkritische Beiträge.
In den Kommentaren zu diesem Beitrag wird ein Twitter-Thread geteilt, der von einem User verfasst wurde, der sich in seiner Profilbeschreibung als „Gründer von Leading Report“ bezeichnet.
Dieser Thread wurde einige Stunden vor demjenigen des „Leading Report“-Profils veröffentlicht und teilt eine ähnliche falsche Behauptung: „Die Europäische Union rät nun schwangeren Frauen von der Impfung gegen Covid-19 ab, da das Risiko von Unfruchtbarkeit und Fehlgeburten besteht.“
Ein Twitter-User, der den Thread in den Kommentaren verlinkt hat, weist auf seine mangelnde Vertrauenswürdigkeit hin.
Dieser Thread übernimmt Quellen und ganze Passagen aus einem Artikel, der am Vortag, dem 30. Mai 2023 auf der Website „The Exposé“ veröffentlicht wurde, deren Behauptungen zu Corona-Impfstoffen bereits mehrfach von AFP widerlegt wurden.
In dem Artikel von „The Exposé“ und dem Twitter-Thread wird behauptet, die EMA habe angeblich „zugegeben“, dass die Corona-Impfstoffe Nebenwirkungen hätten, die die Fruchtbarkeit von Frauen beeinträchtigen könnten. Die Behauptungen stützen sich auf einen Screenshot einer EMA-Mitteilung vom 28. Oktober 2022. Darin wird erklärt, dass der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC), ein wissenschaftlicher Ausschuss der EMA, beschlossen hat, „starke Menstruationsblutungen“ zu den potenziellen Nebenwirkungen der mRNA-Impfstoffe von Pfizer und Moderna hinzuzufügen.
Der von „The Exposé“ verbreitete Screenshot ist jedoch nicht vollständig: Im weiteren Verlauf der EMA-Mitteilung heißt es, dass die meisten der untersuchten und dem PRAC gemeldeten Fälle „anscheinend harmlos und von vorübergehender Natur waren“. Weiter heißt es, dass „es keine Beweise dafür gibt, dass diese Menstruationsbeschwerden Auswirkungen auf die Fortpflanzung und Fruchtbarkeit haben“.
„Eine Überprüfung durch die Notfallarbeitsgruppe der EMA (Emergency Task Force, Anm. d. Red.) hat ergeben, dass mRNA-Impfstoffe während der Schwangerschaft keine Komplikationen für werdende Mütter und ihre Babys verursachen“, so die EMA weiter und erinnert daran, dass „alle verfügbaren Daten bestätigen, dass die Vorteile dieser Impfstoffe die Risiken bei weitem überwiegen“.
AFP fand keine Ankündigungen oder Mitteilungen der EMA, in denen schwangere Frauen aufgefordert wurden, sich nicht impfen zu lassen.
Auf AFP-Anfrage vom 2. Juni 2023 antwortete die EMA, dass „die im Internet kursierenden Behauptungen, dass die EMA schwangeren Frauen von Covid-19-Impfstoffen abrät, weil sie ‚Unfruchtbarkeit verursachen‘ würden, falsch sind. Diese Behauptungen scheinen Teil einer bewussten Desinformationskampagne zu sein“.
Weiter fügte die EMA hinzu: „Diese Behauptungen sind eine Fehlinterpretation der Entscheidung des Sicherheitsausschusses der EMA, starke Menstruationsblutungen als Nebenwirkung unbekannter Häufigkeit in die Zusammenfassung der Merkmale der Impfstoffe Spikevax und Comirnaty aufzunehmen.“
Derzeit gebe es „keine Beweise oder plausiblen Mechanismen, die darauf hindeuten, dass die Menstruationsbeschwerden, die einige Frauen nach der Impfung erleiden, Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit haben“, schloss die EMA.
Im Oktober 2022 hatte die Nationale Agentur für Arzneimittelsicherheit (ANSM) in Frankreich die Entscheidung des PRAC zu Menstruationsbeschwerden aufgegriffen und erklärt, dass „die gemeldeten Fälle“ laut dem Pharmakovigilanzausschuss „meist ’nicht schwerwiegend‘ und vorübergehend sind“.
Auf AFP-Anfrage erklärte die Europäische Kommission ebenfalls, dass sie schwangeren Frauen nicht von der Impfung abgeraten habe. „Die Kommission fordert alle auf, den Empfehlungen der EMA zu folgen. Sie gibt keine medizinischen Gutachten ab, sondern überlässt diese Aufgabe den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, in diesem Fall denen der EMA, die viel besser in der Lage sind, solche Urteile zu fällen“, kommentierte ein Sprecher der Europäischen Kommission am 6. Juni 2023.
Der Zusammenhang zwischen Corona-Impfstoffen und Menstruationsbeschwerden wurde in einer der bisher größten Studien zum Thema relativiert, die Anfang Mai 2023 in der medizinischen Fachzeitschrift British Medical Journal (BMJ) veröffentlicht wurde. Die Autorinnen und Autoren kamen zu dem Schluss, dass es keine „solide Grundlage für einen kausalen Zusammenhang zwischen der Impfung gegen Sars-CoV-2 und der Tatsache, dass man wegen einer Menstruationsstörung oder -blutung zum Arzt geht“, gebe.
Die Ergebnisse der Studie müssen jedoch differenziert betrachtet werden, da sie auf spontanen Aussagen von Patientinnen beruhen, die um eine Beratung gebeten hatten. Sie können daher nicht über Menstruationsbeschwerden berichten, die nicht zu einem Kontakt mit medizinischem Personal geführt haben.
Daten sprechen für die Impfung von schwangeren Frauen
Nicolas Dauby ist Infektiologe am Universitätsklinikum CHU Saint-Pierre im belgischen Brüssel und Autor mehrerer Arbeiten über die Impfung von Müttern. Er sagte gegenüber AFP am 2. Juni 2023: „Es liegen Daten über Tausende von schwangeren Frauen vor, die diese Impfstoffe erhalten haben, und es gibt keine Hinweise darauf, dass die Corona-Impfung im Zusammenhang mit Fehlgeburten steht.“ Im Gegenteil: „Wir wissen, dass die Corona-Impfung für Mutter und Kind sicher ist, während eine Covid-Infektion während der Schwangerschaft mit einem erhöhten Risiko einer Frühgeburt verbunden ist.“
AFP hat mehrfach, zum Beispiel hier und hier, erläutert, dass nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft die Impfstoffe gegen Covid das Risiko schwerer Komplikationen bei Schwangeren verringert haben und keine Risiken für Schwangere gezeigt haben, während Covid selbst ein erhöhtes Risiko für Komplikationen mit sich bringt.
Diese Studie, die im April 2022 in der Zeitschrift „Human Reproduction“ veröffentlicht wurde und über 3000 schwangere Frauen in Großbritannien untersuchte, kam zu dem Schluss, dass „schwangere Frauen, die im ersten Trimester positiv auf Covid getestet wurden, ein höheres Risiko einer Fehlgeburt hatten“.
Olivier Picone ist Vorsitzender der Forschungsgruppe für Infektionen während der Schwangerschaft und Mitglied des Nationalen Gremiums der französischen Gynäkologinnen und Gynäkologen und Geburtshelfenden (CNGOF). Er sagte am 6. Juni 2023 gegenüber AFP: „Es gibt mehrere Veröffentlichungen über schwangere Frauen, die wegen Covid-19 auf der Intensivstation lagen, wobei bekannt ist, dass der Impfstoff die Zahl der In-utero-Todesfälle senkt.“
Picone verwies auf eine im März 2023 veröffentlichte systematische Überprüfung und Metaanalyse, die zu dem Schluss kommt, dass „die Impfung gegen Covid-19 während der Schwangerschaft sicher und hochwirksam ist, um eine Sars-CoV-2-Infektion der Mutter während der Schwangerschaft zu verhindern, ohne das Risiko unerwünschter Auswirkungen bei Mutter und Kind zu erhöhen, und mit einer Verringerung der Totgeburten, Frühgeburten und der Aufnahme von Neugeborenen auf der Intensivstation verbunden ist.“
Außerdem seien die mit den Impfstoffen Pfizer und Moderna „verbundenen Menstruationsbeschwerden zeitlich begrenzt. Daten von Tausenden von Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter zeigen ebenfalls keine Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit“, fügte Nicolas Dauby hinzu.
Eine weitere Metaanalyse, die im Oktober 2022 in der Zeitschrift „Vaccine“ der britischen Verlagsgruppe Elsevier veröffentlicht wurde, belegte, dass es „nach den bisher veröffentlichten Studien keine wissenschaftlichen Beweise für einen Zusammenhang zwischen Impfstoffen gegen Covid-19 und Fruchtbarkeitsstörungen bei Männern oder Frauen gibt“.
Die Frage der Impfung vor und während der Schwangerschaft wird von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf der ganzen Welt und von Pharmakovigilanz-Agenturen sehr genau beobachtet.
Derzeit empfehlen die Gesundheitsbehörden in Frankreich und Belgien mRNA-Impfstoffe gegen Covid für schwangere Frauen.
Unzuverlässige Quellen
- Eine geimpfte Person kann den Impfstoff nicht ausscheiden
In dem Artikel von „The Exposé“ heißt es, dass angebliche „vertrauliche Dokumente von Pfizer“ enthüllt hätten, „dass die Ausscheidung des Covid-Impfstoffs durch Haut-zu-Haut-Kontakt und/oder durch das Einatmen derselben Luft wie eine geimpfte Person möglich ist und zu einer Störung des Menstruationszyklus“ und bei schwangeren Frauen sogar zu einer Fehlgeburt führen könne.
Wie AFP bereits im April 2022 erklärte, ist die Erzählung, dass Geimpfte angeblich Viren ausschieden („shedding“ auf Englisch), unbegründet. Diese Erzählung beruht auf der Vorstellung, dass das „Spike“-Protein, die berühmte Spitze auf der Oberfläche des Sars-CoV-2, von mRNA-Impfstoffen nachgebildet wird, von einem Geimpften beim Husten oder Niesen ausgestoßen werden könnte und eine andere Person durch Viruspartikel infizieren könnte.
Das ist jedoch unmöglich. „Es werden keine Spike-Proteine freigesetzt, wenn wir geimpft werden“, erklärte die Mikrobiologin Dasantila Golemi-Kotra von der York Universität in Toronto, Kanada.
Der Impfstoff veranlasst den Körper, harmlose „Spike“-Proteine zu produzieren, die nur dazu dienen, den Körper darauf zu trainieren, das Virus bei einer späteren Infektion zu erkennen und zu bekämpfen. Diese Proteine, die vom menschlichen Körper schnell zerstört werden, sind nicht das Virus und können niemanden anstecken.
Außerdem enthalten mRNA-Impfstoffe kein Sars-CoV-2-Virus, auch kein abgeschwächtes oder inaktives. Diese Behauptung war bereits 2021 von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern widerlegt worden, wie AFP in mehreren Faktenchecks erläuterte.
- Eine Studie aus dem Jahr 2016 zeigt keinen Zusammenhang zwischen Impfung und Menstruationsbeschwerden oder Unfruchtbarkeit
„The Exposé“ stützt sich auch auf eine Studie aus dem Jahr 2016 und behauptet, dass „Veränderungen im regelmäßigen Menstruationszyklus einer Frau mit einer verminderten Fruchtbarkeit verbunden sind und sich negativ auf die Wahrscheinlichkeit auswirken, schwanger zu werden“.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass „die Merkmale des Menstruationszyklus, insbesondere die Zyklusdauer und das Menarche-Alter – das Alter, in dem die Menstruation einsetzt – als Marker für das Fruchtbarkeitspotenzial bei Frauen, die eine Schwangerschaft planen, dienen können“.
Abgesehen davon, dass die Impfung in dieser Studie nicht erwähnt wird, weist sie auch „einen Bias“, eine Verzerrung des Ergebnisses, auf, wie Olivier Picone gegenüber AFP erklärte.
„Es handelt sich um eine Studie auf deklarativer Basis, bei der Patientinnen ihre Menstruation selbst in einer App angeben“, erklärte Picone und sagte, dass „diese Studie nicht sehr aussagekräftig ist“.
- Daten falsch interpretiert
Schließlich zeigt der Artikel in „The Exposé“ mehrere Tabellen aus der US-amerikanischen Datenbank VAERS, die angeblich die Anzahl der Todesfälle bei Föten im Zusammenhang mit der Corona-Impfung zeigen sollen. VAERS, das Vaccine Adverse Event Reporting System, ist ein Meldesystem für Verdachtsfälle unerwünschter Wirkungen von Impfstoffen.
Seit Beginn der Pandemie verwenden Internetnutzerinnen und -nutzer fälschlicherweise Daten, die von Gesundheitsbehörden gesammelt wurden, um zu behaupten, dass die Corona-Impfstoffe für Nebenwirkungen und Todesfälle in großem Umfang verantwortlich seien.
Das VAERS, eine Datenbank, die von den Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) und der Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde (FDA) der USA betrieben wird, wird häufig in irreführenden Veröffentlichungen zitiert.
Die CDC fordert die Gesundheitsdienstleister auf, der VAERS jeden Todesfall nach einer Corona-Impfung zu melden, auch wenn nicht klar ist, ob der Impfstoff die Ursache war. Auf der Website der CDC heißt es, dass diese Meldungen „nicht unbedingt bedeuten, dass ein Impfstoff ein Gesundheitsproblem verursacht hat“.
Das VAERS listet also Meldungen über Nebenwirkungen auf, ohne deren kausalen Zusammenhang mit dem Impfstoff herzustellen, wie AFP mehrfach erklärt hat: hier, hier oder hier.
Fazit: Die europäischen Gesundheitsbehörden haben schwangeren Frauen nicht davon abgeraten, sich gegen Corona impfen zu lassen. Im Gegensatz zu einer Corona-Infektion hat die Impfung laut der aktuellen Datenlage keine besonderen Risiken für Schwangere gezeigt, wie zwei Experten gegenüber AFP erklärten.