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Der Futtermittelzusatz Bovaer schadet weder Kühen noch Menschen

Nutztiere tragen durch ihren Methanausstoß erheblich zur globalen Erwärmung bei. Ein wissenschaftlich geprüfter Futtermittelzusatz namens Bovaer hemmt die Methanproduktion im Kuhmagen. Im Dezember 2024 kursierten online zahlreiche Behauptungen, dass die Milch der behandelten Kühe für Menschen gefährlich sei. Fachleute und Lebensmittelbehörden widersprachen diesen Behauptungen jedoch: der Wirkstoff von Bovaer werde vollständig im Magen der Kuh abgebaut. Für Menschen bestehe demnach keinerlei Gefahr beim Verzehr von Milchprodukten. 

„Ihre Milch wird jetzt im Namen des Kampfes gegen den Klimawandel vergiftet“, schrieb ein X-Nutzer am 4. Dezember 2024. Er verwies auf „einen neuen Futtermittelzusatz namens Bovaer (…), der an Kühe verfüttert wird“. Zahlreiche weitere Social-Media-Konten auf Facebook, Telegram und Instagram teilten ähnliche Aussagen.

In vielen Beiträgen, wie einem Facebook-Post vom 3. Dezember 2024, wird behauptet, Bovaer sei „sehr giftig für die Spermienproduktion“, oder werde als „ätzend und gesundheitsschädlich eingestuft“. In anderen Posts wird neben weiteren Gesundheitsrisiken eine angebliche Verbindung zu Bill Gates angedeutet: „Bestätigt: Tesco, Morrisons und Aldi testen Bovaer, ein von Gates unterstützter Futterzusatz (…) trotz Bedenken hinsichtlich Genotoxizität und Karzinogenität.“ Die meisten deutschsprachigen Beiträge verlinken dabei als Quelle auf Artikel der Schweizer Website „Uncut News“, die in der Vergangenheit bereits mehrfach durch Falschinformationen und die Verbreitung von Verschwörungserzählungen aufgefallen ist, wie AFP überprüfte.

Beiträge mit vergleichbaren Behauptungen zirkulierten in mehreren anderen Sprachen, wie Niederländisch und Slowakisch. Auf Englisch verbreiteten sich ähnliche Behauptungen ebenfalls stark, da Bovaer im Vereinigten Königreich als Futtermittelzusatz für Nutztiere bereits eingeführt wurde. In Deutschland wurden im Jahr 2024 ebenfalls Versuche zum Einsatz von Bovaer durchgeführt.

Britische Medien berichteten, dass kritische Stimmen dazu aufgerufen hatten, Milch von Unternehmen wegzuschütten, die Bovaer bei ihren Milchkühen anwendeten. Dazu gehörte beispielsweise die Firma Arla. Auch in einigen deutschsprachigen Posts wurde dazu aufgerufen, Arla-Produkte zu boykottieren.

Facebook-Screenshots der Behauptung: 13. Dezember 2024

Fachleute erklärten jedoch gegenüber AFP, dass der Futtermittelzusatz Bovaer ausgiebig getestet worden sei und in der angewandten verdünnten Form keine Gefahr für Landwirtinnen und Landwirte, die betroffenen Tiere und auch nicht für Verbraucherinnen und Verbraucher darstelle.

Lebensmittelbehörden stufen Bovaer als sicher ein

In dem vielfach geteilten Artikel von „Uncut News“ werden die angeblichen Gesundheitsrisiken ausführlicher begründet: Zum einen wird auf ein Sicherheitsetikett verwiesen, das auf der Website der US-amerikanischen Lebensmittel- und Medikamentenbehörde (FDA) veröffentlicht wurde. Zum anderen auf eine Risikobewertung der japanischen Kommission für Lebensmittelsicherheit (FSCJ). Beide Quellen werden als Beweise dafür genannt, dass der Futtermittelzusatzstoff Bovaer nicht sicher sei und Unfruchtbarkeit verursachen würde. Screenshots der FDA-Seite zeigen hervorgehobene Abschnitte, die sich auf eine Abnahme der Fruchtbarkeit bei Laborratten und ein Warnblatt über das potenzielle Risiko von 3-Nitrooxypropanol (3-NOP), dem Wirkstoff in Bovaer, beziehen.

Auf dem von der FDA veröffentlichten Sicherheitsetikett wird beispielsweise erklärt, wie das Produkt gehandhabt werden soll. Dort heißt es, das Produkt sollte „nicht unverdünnt verfüttert werden“ und sei nicht für den direkten menschlichen Gebrauch bestimmt. „Beim Umgang mit diesem Produkt ist Vorsicht geboten. 3-Nitrooxypropanol kann die männliche Fruchtbarkeit und die Fortpflanzungsorgane schädigen, ist potenziell schädlich beim Einatmen und reizt Haut und Augen“, heißt es in der Sicherheitswarnung.

Jan Dijkstra, Professor für Tierernährung an der niederländischen Universität Wageningen, war als unabhängiger Forscher an Studien über Bovaer beteiligt. Seine Forschungsergebnisse zu 3-NOP wurden in mehreren Fachzeitschriften veröffentlicht. Am 5. Dezember 2024 erklärte er gegenüber AFP, dass es sich hierbei um normale Warnhinweise für den Umgang mit einem reinen, unverdünnten Produkt handele, in diesem Fall um 3-NOP.

Laut Dijkstra ist das Endprodukt so stark verdünnt, dass kein Gesundheitsrisiko bestehe: „Das (den Warnhinweis für den Umgang mit dem reinen Produkt, Anm. d. Red.) kann man nicht auf den Landwirt oder Verbraucher übertragen“, erklärte er. „Das Gleiche gilt für die Etiketten bestimmter Vitamine oder ätherischer Öle – häufig müssen Mitarbeiter in Fabriken, die mit reinen Produkten in Kontakt kommen, Schutzmaßnahmen ergreifen. Die Angaben eines Sicherheitsetiketts wie ‚ätzend für die Augen, hautreizend, potenziell gesundheitsschädlich beim Einatmen‘ können zunächst beängstigend wirken“, merkte der Experte an.

Screenshots von X-Beiträgen mit den Dokumenten von FSCJ und FDA: 5. Dezember 2024

In der japanischen Risikobewertung wird beschrieben, wie Daten aus Experimenten an Labortieren verwendet werden, um die schädlichen Auswirkungen von 3-NOP zu untersuchen. So soll festgestellt werden, welche Aufnahmemenge beim Menschen potentiell Schäden verursachen könnte.

Dijkstra erklärte, dass in Studien mit Labortieren tatsächlich nachgewiesen wurde, dass 3-NOP bei hoher Exposition negative Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit der Tiere haben könnte. Doch in Zulassungsstudien ermittele man das sogenannte No Observed Adverse Effect Level (NOAEL) eines Stoffes, das heißt die größte Konzentration oder Menge einer Substanz, bei der in einer exponierten Population keine beobachtbaren schädlichen Auswirkungen auftreten.

Bei 3-NOP liege das NOAEL bei 100 Milligramm 3-NOP pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag. „Angenommen, 3-NOP in Milch läge an der Nachweisgrenze von etwa 20 Mikrogramm pro Kilogramm Milch (tatsächlich liegt es darunter). Eine 70 Kilogramm schwere Person müsste dann mehr als 7 Gramm 3-NOP zu sich nehmen – das entspricht einem Milchkonsum von 350 Tonnen pro Tag“, erklärte Dijkstra.

Nico Peiren, leitender Forscher am Flämischen Institut für Landwirtschaft und Fischerei, betonte, dass der Futtermittelzusatzstoff Bovaer im Jahr 2021 von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) zugelassen und als sicher eingestuft wurde. „Der Zulassung gingen weltweit viele wissenschaftliche Studien voraus, von denen etwa 85 in von Experten begutachteten wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden“, teilte er AFP am 4. Dezember 2024 in einer E-Mail mit.

Die Efsa ist das europäische Pendant zur FDA und FSCJ. Sie hat laut Website das Ziel, als „unparteiische Quelle wissenschaftlicher Beratung für Risikomanager zu dienen und über Risiken im Zusammenhang mit der Lebensmittelkette zu informieren“.

Nach einer Bewertung von Bovaer im Jahr 2021 kamen die Expertinnen und Experten der Efsa zu dem Schluss, dass „die Verwendung dieses Futtermittelzusatzstoffs bei Milchkühen unter den vorgeschlagenen Verwendungsbedingungen für die Verbraucher sicher ist“, teilte ein Efsa-Sprecher AFP am 4. Dezember 2024 in einer E-Mail mit.

Keine Spuren von 3-NOP in Milch nachweisbar

Viele der online kursierenden Behauptungen konzentrieren sich darauf, dass Spuren des Produkts möglicherweise in der Milch von Kühen gefunden werden könnten, die mit Bovaer gefüttert wurden. Laut dem Efsa-Sprecher haben jedoch mehrere Studien gezeigt, dass der Wirkstoff von Bovaer, 3-NOP, weder in der Milch noch im Fleisch der mit Bovaer behandelten Tiere nachweisen ließ. Somit seien Verbraucherinnen und Verbraucher dem Zusatzstoff selbst nicht ausgesetzt.

Nico Peiren erklärte gegenüber AFP, dass 3-NOP im Pansen, dem ersten Magen der Kuh, schnell abgebaut werde: „Der Zusatzstoff ist nach der Verabreichung (von Bovaer) etwa drei Stunden lang aktiv und wird dann wieder zu Nitrat und Alkohol abgebaut. Deshalb ist er auch nicht in der Milch zu finden.“ Bevor es in einzelne Bestandteile zerfällt, blockiert 3NOP die Enzyme, die für die Methanproduktion im Kuhmagen verantwortlich sind, und senkt auf diese Weise die Methanemissionen des Tieres um etwa 25 Prozent, erklärte Jan Dijkstra.

Laut Efsa ist „NOPA (3-Nitrooxypropionsäure) das Hauptabbauprodukt von 3-NOP und wurde in sehr geringer Konzentration in der Milch nachgewiesen“. In der Studie der Efsa kamen die Expertinnen und Experten jedoch zu dem Schluss, dass NOPA, zu dem das Nitrat 3-NOP reduziert wird, für Verbraucherinnen und Verbraucher von Milch unbedenklich sei. NOPA habe kein genotoxisches Potenzial, das heißt, es schädigt die DNA nicht und die Menge liegt unter dem festgelegten gesundheitsbezogenen Richtwert.

Bovaer als Methanhemmer sei auch für die Tiere sicher, fügte Dijkstra hinzu: „Sobald man aufhört, einer Kuh Bovaer zu verabreichen, steigt die Methanproduktion im Pansen wieder an. Innerhalb von 24 Stunden hat die Kuh wieder ihr ‚altes‘ Niveau erreicht“, sagte er.

Methan ist ein wichtiges Treibhausgas

Methan (CH4) ist nach Kohlendioxid (CO2) das zweitwichtigste Treibhausgas. Obwohl Methan in der Atmosphäre schneller abgebaut wird als CO2, wirkt es etwa 80- bis 100-mal stärker und ist damit ein starkes Treibhausgas. Wie das niederländische Königliche Meteorologische Institut auf seiner Website beschrieb, kann eine Verringerung des Methangehalts bereits in kurzer Zeit einen deutlichen Effekt erzielen, um die globale Erwärmung zu verlangsamen.

Methan wird bei der Förderung fossiler Brennstoffe wie Öl und Gas freigesetzt, aber auch von Nutztieren wie Kühen ausgestoßen, die bei der Verdauung Methan produzieren. Wenn Wiederkäuer wie Ziegen, Schafe und Rinder ihre Nahrung verdauen, wird diese durch Fermentation verarbeitet. Bei diesem Prozess wird die Nahrung im Laufe der Zeit abgebaut und es entsteht Methan, das sie durch Blähungen oder Rülpsen ausstoßen. Wiederkäuer sind für etwa 75 Prozent des gesamten Methans aus der weltweiten Nutztierhaltung verantwortlich. In Deutschland stammen 75,7 Prozent der gesamten Methanemissionen aus der Tierhaltung.

Niederländische Kühe in Nordbrabant – Nick Gammon / AFP

Während vegetarische Optionen immer beliebter werden, versuchen einige Unternehmen, das Viehfutter anzupassen, indem sie es etwa teilweise durch eine Art rote Meeresalgen ersetzen – oder Methanhemmer wie Bovaer hinzufügen.

Bill Gates hat nichts mit Boaver zu tun

Die ebenfalls online kursierenden Behauptungen, Bill Gates unterstütze die Einführung von Bovaer finanziell, treffen ebenfalls nicht zu. Das Gerücht wurde unter anderem durch einen englischsprachigen Artikel in „People’s Voice“ verbreitet. Dabei handelt es sich um eine Website, die für die Verbreitung von Falschinformationen bekannt ist, wie AFP wiederholt untersucht hat.

Bill Gates hat zwar tatsächlich öffentlich darüber gesprochen, dass er sich für eine Reduzierung der Methanemissionen aus der Rinderhaltung einsetzen möchte. Er widmete diesem Thema eine Passage in seinem Buch „How to avoid a Climate Disaster“ aus dem Jahr 2021: „Forscher setzen Impfstoffe ein, um die im Darm der Rinder lebenden methanogenen Mikroben zu reduzieren, züchten Rinder, damit sie auf natürliche Weise weniger Emissionen produzieren, und fügen ihrer Nahrung spezielle Futtermittel oder Medikamente hinzu. Diese Bemühungen waren größtenteils erfolglos, obwohl eine vielversprechende Ausnahme ein Präparat namens 3-Nitrooxypropanol ist, das die Methanemissionen um 30 Prozent reduziert. Aber im Moment muss man es den Rindern mindestens einmal am Tag verabreichen“, schrieb Gates über das Präparat, das heute als Bestandteil von Bovaer verwendet wird.

Im Jahr 2023 investierte Bill Gates in das konkurrierende australische Unternehmen Rumin8, dessen methanhemmendes Produkt zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht von der FDA oder einer anderen Lebensmittelbehörde zugelassen wurde.

DSM-Firmenich, das Unternehmen hinter Boaver, äußerte sich in einer öffentlichen Erklärung vom 2. Dezember 2024 zu kursierenden Falschinformationen (hier archiviert):  „Im Gegensatz zu dem jüngsten Behauptungen ist Bovaer vollständig entwickelt und Eigentum von DSM-Firmenich. Es gibt keine weiteren Investoren. Bill Gates ist nicht an der Entwicklung von Bovaer beteiligt“, schrieb das Unternehmen auf seiner Website.

Die Bill & Melinda Gates Foundation hatte in der Vergangenheit in DSM-Firmenich-Projekte investiert. Doch keines der Projekte stand im Zusammenhang mit der Ernährung von Nutztieren: Sie zielten darauf ab, Malaria zu bekämpfen und die sanitären Bedingungen in afrikanischen Ländern zu verbessern.

Alle Faktenchecks zum Thema Klima finden sich auf der Website von AFP.

Fazit: Der Futterzusatzstoff Bovaer, der Kühen zur Reduktion von Methangasen gegeben wird, ist laut Fachleuten und Lebensmittelbehörden sicher. Demnach erzeugt Bovaer keine Gesundheitsrisiken für Verbraucherinnen und Verbraucher, Tiere oder Landwirte. In Milch oder Fleisch der Kühe ist zudem kein Nachweis des Wirkstoffes zu finden.

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Verbraucher, Gesundheit

Autor(en): Gundula HAAGE / Liesa PAUWELS / AFP Niederlande / AFP Deutschland

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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