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Dieses Foto wurde während der Corona-Pandemie an der deutsch-polnischen Grenze aufgenommen

Nach der Explosion eines Munitionsdepots in der westukrainischen Stadt Chmelnyzkyj im Mai 2023 wurden in sozialen Netzwerken alarmierende Behauptungen verbreitet, dass in Polen und anderen Regionen in der EU eine stark erhöhte Radioaktivität festgestellt worden sei. Ein solcher Beitrag wurde von hunderten Facebook-Nutzerinnen und -Nutzern geteilt. Er beinhaltet ein Foto, auf dem Grenzsoldaten mit Atemmasken und Schutzanzügen angeblich die Strahlung an der polnisch-ukrainischen Grenze messen. Das Foto ist jedoch manipuliert: Eigentlich zeigt es die polnisch-deutsche Grenze während der Corona-Pandemie. Das Foto wurde gespiegelt und so bearbeitet, dass es wie eine Aufnahme durch den Außenspiegel eines Autos aussieht. Polnische, ukrainische und tschechische Behörden sowie die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) erklärten, dass die Strahlungswerte in Europa in den Tagen nach dem Angriff normal gewesen seien.

Der Beitrag vom 22. Mai 2023 wurde von über 240 tschechischsprachigen Facebook-Nutzerinnen und Nutzern geteilt. Auf dem Foto sieht man zwei Männer in Militäruniform mit Visier, die die Papiere von Autofahrerinnen und Autofahrern in einer Schlange kontrollieren, außerdem ist eine weitere Person in einem weißen Schutzanzug von hinten zu sehen. Die Szene scheint durch den Außenspiegel eines Autos aufgenommen zu sein.

In der ironischen Beschreibung des Beitrags heißt es, dass es eine „lustige Bestätigung“ dafür sei, dass „nichts passiert und das abgereicherte Uran aus dem explodierten Lagerhaus nicht radioaktiv ist“ und dass angeblich „Soldaten in Schutzanzügen Fahrzeuge an der polnisch-ukrainischen Grenze  kontrollieren“.

Die Behauptung wurde mit dem gleichen Foto auch auf Russisch verbreitet.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 9. Juni 2023

Faktenchecks zum Krieg in der Ukraine sammelt AFP hier.

Was ist in Chmelnyzkyj passiert?

Am 13. Mai 2023 gaben die ukrainischen Behörden bekannt, dass in der Westukraine über der Stadt Chmelnyzkyj ein Drohnenangriff stattgefunden hatte. Am selben Tag wurden in sozialen Netzwerken Videos geteilt, die eine gewaltige Explosion zeigten, die manche Userinnen und User sogar als „Atompilz“ bezeichneten und mit der Zerstörung eines Munitionsdepots der ukrainischen Streitkräfte in Chmelnyzkyj in Verbindung brachten.

In verschiedenen Sprachen, vor allem auf Slowakisch, Deutsch, Polnisch und Bulgarisch kursierten Beiträge, in denen behauptet wurde, dass die Explosion eine angebliche radioaktive Wolke erzeugt habe, die sich in Richtung Westen bewege. AFP hat diese Behauptung hier widerlegt.

Der russische Drohnenangriff ereignete sich am frühen Morgen des 13. Mai 2023, wie der Bürgermeister von Chmelnyzkyj, Oleksandr Semtschyschyn und der stellvertretende Leiter der Militärbehörde der Oblast (OVA) Serhij Tjurin mitteilten.

Semtschyschyn sagte an diesem Tag, dass „kritische Infrastruktureinrichtungen der Region, die sich außerhalb der besiedelten Gebiete befinden“, getroffen und 21 Personen verletzt worden seien. Ukrainische und polnische Medien berichteten ebenfalls über den Angriff. Einige ukrainische Medien (hier und hier) schrieben, dass ein Kraftwerk beschädigt worden sei. Die ukrainische staatliche Nachrichtenagentur Ukrinform meldete, dass vier Drohnen das Gebiet der Region Chmelnyzkyj getroffen hätten.

Das russische Verteidigungsministerium gab am 14. Mai 2023 auf seiner Website bekannt, dass ein „AFU-Munitionsdepot in der Nähe von Chmelnyzkyj zerstört wurde“. Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Tass sagte der Sekretär des Sicherheitsrates Nikolaj Patruschew später auf einer Konferenz, dass die Zerstörung der vom Westen an die Ukraine gelieferten Munition mit abgereichertem Uran eine radioaktive Wolke verursacht habe, die sich in Richtung Europa bewege. „In Polen wurde bereits ein Anstieg der Strahlungswerte registriert“, zitierte ihn die Agentur.

Im März 2023 erklärte Großbritannien, dass es sowohl Challenger-2-Panzer als auch panzerbrechende Granaten mit abgereichertem Uran an die Ukraine liefern würde, wie Euronews und die BBC berichteten. Die Lieferung erfolgte im April 2023.

AFP konnte jedoch nicht feststellen, ob sich diese Art von Munition in den Einrichtungen befand, die am 13. Mai 2023 in Chmelnyzkyj getroffen wurden.

Bearbeitetes Foto von 2020, aufgenommen an der Grenze zwischen Polen und Deutschland

Das Foto in dem verbreiteten Beitrag zeigt Männer in Militäruniformen mit OP-Masken, die eine Reihe von Fahrzeugen kontrollieren. Unter ihnen befindet sich eine Person in weißer Schutzkleidung. AFP war zunächst nicht in der Lage, das Originalfoto zu finden, aber nach einer Spiegelung des Bildes führte eine umgekehrte Bildsuche zu einer polnischen Grenzschutzseite.

Laut der Beschreibung auf der Seite handelt es sich bei den Fotos um Angehörige des Grenzschutzes am Fluss Oder, die im Frühjahr 2020 im Rahmen von Pandemiemaßnahmen Grenzkontrollen durchführten. Die Seite ist auf den 30. April 2020 datiert und der Bildunterschrift zufolge sollen die Grenzschutzkontrollen zwischen dem 15. März und dem 13. Mai 2020 stattgefunden haben.

Das betreffende Foto ist eines der letzten auf der Seite, der genannte Fotograf ist Wladyslaw Czulak.

Screenshot eines Bildes von der Website des polnischen Grenzschutzes, erstellt am 9. Juni 2023

AFP hat sich an Wladyslaw Czulak gewandt. Er bestätigte, dass er in der Tat der Urheber des Originalfotos sei und erzählte, dass das Foto im Jahr 2020 während der Corona-Pandemie am Grenzübergang Gubinek zwischen Polen und Deutschland aufgenommen worden sei. „Ja, das ist mein Foto“, schrieb Czulak via Facebook-Messenger am 12. Juni 2023 an AFP. „Dieser Beitrag über die ukrainisch-polnische Grenze und die Strahlung ist eine Falschmeldung“, fügte er hinzu.

AFP kontaktierte auch den polnischen Grenzschutz, dessen Sprecherin Anna Michalska bestätigte, dass das Foto nichts mit Strahlungskontrolle zu tun habe. „Das ist ein altes Foto, wahrscheinlich aus der Zeit der Pandemie“, teilte sie AFP in einer Mail am 12. Juni 2023 mit. „Derzeit werden an der Grenze keine derartigen Kontrollen durchgeführt.“

Zu der angeblichen radioaktiven Wolke erkundigte sich AFP bei der in Wien ansässigen IAEO. Im Falle eines nuklearen oder radioaktiven Vorfalls oder Notfalls besteht die Aufgabe der Behörde darin, Informationen zu melden und offiziell auszutauschen, auf Anfrage öffentliche Informationen bereitzustellen und Hilfe zu leisten sowie die Reaktionen über das Vorfall- und Notfallsystem zu koordinieren.

Strahlungswerte laut IAEO „im normalen Rahmen“

„Die IAEO wurde von ihren Amtskollegen in der Ukraine und in Polen informiert, dass die Strahlungswerte in beiden Ländern normal seien. Die gemessenen leichten Erhöhungen stehen im Zusammenhang mit natürlichen Schwankungen der Strahlungswerte, stellen kein Risiko für die öffentliche Gesundheit oder die Umwelt dar und werden routinemäßig beobachtet“, sagte Sprecher Fredrik Dahlam 23. Mai 2023.

Die polnische Atomenergiebehörde (PAA) wies am 17. Mai 2023 Berichte über eine mögliche radioaktive Bedrohung in Polen zurück, bezeichnete sie als falsch und versicherte, dass die „Strahlungssituation im Land normal“ sei.

Auch das polnische Institut für Meteorologie und Wasserwirtschaft (IMGW), das ebenfalls die Radioaktivität überwacht, teilte mit, dass keine für die menschliche Gesundheit gefährlichen Ereignisse festgestellt worden seien. „Wir haben unsere Daten überprüft, obwohl wir viel weniger Stationen haben als die PAA. In unserem Fall konnten wir nichts Gefährliches feststellen“, schrieb der Sprecher des Instituts, Grzegorz Walijewski, am 23. Mai 2023 an AFP.

Dana Drábová, die Vorsitzende der tschechischen Behörde für nukleare Sicherheit (SÚJB), sagte, dass die geringe Strahlungsspitze bereits zwei Tage vor der Explosion festgestellt worden sei, und bezeichnete sie als „übliche Schwankungen“, deren Werte „natürlich vorkommen“.

Das französische Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit (IRSN) sagte in einem Kommentar am 30. Mai 2023, dass „das Eindringen von Uran in die Atmosphäre aufgrund seiner Dichte nur über kurze Strecken erfolgen kann. Daher scheint eine radioaktive Wolke mit einer hohen Urankonzentration, die sich je nach Wetterbedingungen außerhalb der Ukraine ausbreitet, unwahrscheinlich“.

Weiter hieß es: „Die in Europa durchgeführten Analysen haben keinen Anstieg der Urankonzentration in der Luft ergeben.“ Das Institut bezog sich dabei auf den „Ring of Five„, ein informelles Netzwerk, das 47 Organisationen (Universitätslabors, öffentliche Einrichtungen und Behörden) aus 27 Ländern des europäischen Kontinents, darunter die Ukraine, umfasst.

Fazit: Ein aktuell verbreitetes Foto zeigt keine Grenzsoldaten zwischen der Ukraine und Polen, die dort Strahlungswerte messen.Es stammt von 2020, aus der Zeit der Corona-Pandemie. Die Strahlungswerte in Europa sind normal. Das bestätigten polnische, ukrainische und tschechische Behörden sowie die Internationale Atomenergie-Organisation.

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Politik, Corona, Ukraine

Autor(en): Ladka MORTKOWITZ / AFP Deutschland / AFP Tschechien

Ursprünglich hier veröffentlicht.

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