Bewertung
Es sind nur einzelne Fälle von Inobhutnahmen ukrainischer Kinder bekannt gewesen. Diese Fälle sind jedoch bereits beendet. Adoptionen von Kindern und Jugendlichen aus Krisenregionen sind generell nicht möglich.
Fakten
Die Behauptung geht auf einen deutschsprachigen Blogartikel des russischen Mediums «RT» zurück. In diesem ist von mindestens 80 Fällen von «Kindesentziehung» durch Jugendämter in Deutschland die Rede. Außerdem würden Adoptionen herbeigeführt, obwohl das bei Kindern aus Kriegsgebieten verboten sei. Die betroffenen Frauen hätten hierzulande «keine Lobby» – doch das stimmt nicht.
In Deutschland leben derzeit über eine Million Geflüchtete aus der Ukraine. Laut Angaben des Ausländerzentralregisters (AZR) sind rund 350 000 davon Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren (Stand: Juni 2023). Insofern kann es durchaus sein, dass es unter diesen hunderttausenden jungen Menschen auch Fälle von Inobhutnahmen gab.
Bekannte Fälle von Inobhutnahmen ukrainischer Kinder
Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer leben aktuell unter anderem in Bayern und Nordrhein-Westfalen (Stand: Januar 2023). Fallzahlen zu Inobhutnahmen ukrainischer Minderjähriger gibt es allerdings nicht. Denn die Nationalitäten der Betroffenen würden gar nicht statistisch erfasst, erklärte ein Sprecher vom LWL-Landesjugendamt Westfalen auf dpa-Anfrage.
An das Generalkonsulat der Ukraine in Düsseldorf sind zwar in der Vergangenheit einzelne Fälle von Inobhutnahmen ukrainischer Kinder herangetragen worden, wie die Vertretung der dpa mitteilte. Die Kinder befänden sich jedoch in den meisten Fällen verfahrensgemäß wieder bei ihren Müttern. Die betroffenen Frauen hätten außerdem normalerweise in Absprache mit dem Jugendamt Zugang zu ihren Kindern.
In jedem Fall ist niemand auf sich allein gestellt: «Wenn die Botschaft oder das Konsulat von solchen Fällen erfahren, wenden sich die Konsularbeamten unverzüglich an das Jugendamt, klären das Vorliegen der Gründe und Entscheidungen ab», hieß es seitens des Konsulats. «Darüber hinaus informieren wir die nationalen Sozialdienste der Ukraine und stellen den Müttern im Rahmen unserer Zuständigkeit jede mögliche Unterstützung zur Verfügung.»
Schutzmaßnahme für junge Menschen
Kinder haben hierzulande gesetzmäßig ein Recht auf Fürsorge und ein gewaltfreies Aufwachsen. In Artikel 6 des Grundgesetz ist festgelegt, dass dies das «natürliche Recht der Eltern» ist. Können diese ihrer Verantwortung aber (zeitweilig) nicht nachkommen und gefährden so das Wohl ihrer Kinder, wird zum Schutz der Staat aktiv. Eine Inobhutnahme ist jedoch nicht das erste Mittel.
Die Voraussetzungen dafür finden sich in § 42 im Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Dort ist zu lesen, dass das Jugendamt verpflichtet ist, Kinder und Jugendliche in Obhut zu nehmen, wenn sie selbst darum bitten, unbegleitet aus dem Ausland nach Deutschland kommen und sich hierzulande kein Sorgeberechtigter aufhält oder aber eine dringende Gefahr für das Kindeswohl besteht.
So solle kurzfristig eine sichere Umgebung geschaffen werden, erklärte ein Sprecher des Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) gegenüber der dpa. Vor einer Inobhutnahme gäbe es jedoch erst Hilfsangebote an die Sorgeberechtigten. In besonders schwierigen Sachverhalten unterstütze das ZBFS dabei auch die örtlichen Jugendämter. Im Kontext mit ukrainischen Flüchtlingen seien solche Fälle aber bislang nicht aufgetreten.
Im Falle einer akuten Gefahr oder wenn die problematische Situation nicht beendet werden kann, müsse sich das Jugendamt ans Familiengericht wenden, so der Sprecher des ZBFS: «Das Familiengericht ist die einzige Behörde, die über einen Eingriff in die elterliche Sorge, wie beispielsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht, entscheiden kann.»
Derzeit keine Adoption ukrainischer Kinder möglich
Die meisten Inobhutnahmen sind von relativ kurzer Dauer: Wie das Statistische Bundesamt berichtete, endete im Jahr 2022 jede dritte Inobhutnahme bereits nach einer Woche, fast jede zweite nach spätestens zwei Wochen. Das Ziel ist ohnehin auch nicht, Adoptionen zu forcieren.
Gemäß dem Haager Adoptionsübereinkommen (HAÜ) muss jeder Staat zunächst sicherstellen, dass das Kind in seiner Herkunftsfamilie bleiben oder im Heimatland eine Familie gefunden werden kann. Eine internationale Adoption müsste eindeutig dem Wohlergehen des Kindes dienen. Damit soll explizit der Entführung und dem Handel mit Kindern vorgebeugt werden.
Außerdem muss im Heimatland – in diesem Fall von ukrainischen Behörden – geprüft werden, ob überhaupt Adoptionsbedarf besteht. Das bedeutet: Die familiäre Situation ist zu klären und alle Personen, deren Zustimmung erforderlich ist, müssen über die Tragweite einer Adoption informiert sein.
Genau das zu gewährleisten und so die Rechte der Kinder umfassend zu schützen, sei in akuten Notsituationen aber nicht möglich, wie die Gemeinsame Zentrale Adoptionsstelle (GZA) in Hamburg erklärt. So seien beispielsweise auch Kinder aus ukrainischen Waisenhäusern nicht zwangsläufig elternlos. Darum weist die GZA ausdrücklich darauf hin, dass Adoptionen im Zusammenhang mit Krieg, Krisen und Naturkatastrophen nicht möglich sind.
(Stand: 3.7.2023)